B. Die Vernunftlosigkeit oder der Wahn- sinn ist ein natürliches und unzweifelhaftes Hinderniß für freye Handlungen und ihre Folgen. Die Beurthei- lung ist hier theilweise weniger schwierig als bey dem unreifen Alter, indem die Veränderung nicht wie bey dem Alter durch lang dauernde, unmerkliche Entwick- lungsstufen hindurchgeht, sondern oft ganz plötzlich, au- ßerdem wenigstens in raschen Übergängen, erfolgt. Da- gegen kann auch hier eine Schwierigkeit entstehen durch zweifelhafte Gränzen der Zustände; diese Schwierigkeit aber ist nicht, wie bey dem Alter, durch positiv durchgrei- fende Regeln zu beseitigen möglich, auch liegt sie weniger auf dem Gebiet des Richters, als auf dem des Sachver- ständigen, an dessen Urtheil der Richter hier meist gebun- den seyn wird.
Die äußere Erscheinung dieses Zustandes ist verschie- den, je nachdem er von heftigen Ausbrüchen begleitet ist oder nicht. Die Römer haben zwey Ausdrücke, furiosus und demens, die sie auf verschiedene Weise gebrauchen: bald mit ganz willkührlicher Abwechslung, als völlig gleich- bedeutende Bezeichnung der Vernunftlosigkeit überhaupt (a); bald als besondere Benennung der zwey erwähnten Er-
(a)Cicero tusc. quaest. III. 5, L. 7 § 1 de cur. fur. (27. 10.), L. 14 de off. praes. (1. 18.).
B. Die Vernunftloſigkeit oder der Wahn- ſinn iſt ein natürliches und unzweifelhaftes Hinderniß für freye Handlungen und ihre Folgen. Die Beurthei- lung iſt hier theilweiſe weniger ſchwierig als bey dem unreifen Alter, indem die Veränderung nicht wie bey dem Alter durch lang dauernde, unmerkliche Entwick- lungsſtufen hindurchgeht, ſondern oft ganz plötzlich, au- ßerdem wenigſtens in raſchen Übergängen, erfolgt. Da- gegen kann auch hier eine Schwierigkeit entſtehen durch zweifelhafte Gränzen der Zuſtände; dieſe Schwierigkeit aber iſt nicht, wie bey dem Alter, durch poſitiv durchgrei- fende Regeln zu beſeitigen möglich, auch liegt ſie weniger auf dem Gebiet des Richters, als auf dem des Sachver- ſtändigen, an deſſen Urtheil der Richter hier meiſt gebun- den ſeyn wird.
Die äußere Erſcheinung dieſes Zuſtandes iſt verſchie- den, je nachdem er von heftigen Ausbrüchen begleitet iſt oder nicht. Die Römer haben zwey Ausdrücke, furiosus und demens, die ſie auf verſchiedene Weiſe gebrauchen: bald mit ganz willkührlicher Abwechſlung, als völlig gleich- bedeutende Bezeichnung der Vernunftloſigkeit überhaupt (a); bald als beſondere Benennung der zwey erwähnten Er-
(a)Cicero tusc. quaest. III. 5, L. 7 § 1 de cur. fur. (27. 10.), L. 14 de off. praes. (1. 18.).
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[83/0095]
§. 112. Vernunftloſe. Interdicirte. Juriſtiſche Perſonen.
§. 112.
II. Freye Handlungen. — Hinderniſſe. B. Vernunft-
loſe. C. Interdicirte. D. Juriſtiſche Perſonen.
B. Die Vernunftloſigkeit oder der Wahn-
ſinn iſt ein natürliches und unzweifelhaftes Hinderniß
für freye Handlungen und ihre Folgen. Die Beurthei-
lung iſt hier theilweiſe weniger ſchwierig als bey dem
unreifen Alter, indem die Veränderung nicht wie bey
dem Alter durch lang dauernde, unmerkliche Entwick-
lungsſtufen hindurchgeht, ſondern oft ganz plötzlich, au-
ßerdem wenigſtens in raſchen Übergängen, erfolgt. Da-
gegen kann auch hier eine Schwierigkeit entſtehen durch
zweifelhafte Gränzen der Zuſtände; dieſe Schwierigkeit
aber iſt nicht, wie bey dem Alter, durch poſitiv durchgrei-
fende Regeln zu beſeitigen möglich, auch liegt ſie weniger
auf dem Gebiet des Richters, als auf dem des Sachver-
ſtändigen, an deſſen Urtheil der Richter hier meiſt gebun-
den ſeyn wird.
Die äußere Erſcheinung dieſes Zuſtandes iſt verſchie-
den, je nachdem er von heftigen Ausbrüchen begleitet iſt
oder nicht. Die Römer haben zwey Ausdrücke, furiosus
und demens, die ſie auf verſchiedene Weiſe gebrauchen:
bald mit ganz willkührlicher Abwechſlung, als völlig gleich-
bedeutende Bezeichnung der Vernunftloſigkeit überhaupt (a);
bald als beſondere Benennung der zwey erwähnten Er-
(a) Cicero tusc. quaest. III. 5, L. 7 § 1 de cur. fur. (27. 10.),
L. 14 de off. praes. (1. 18.).
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/95>, abgerufen am 23.11.2024.
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