mit den drey vorhergehenden vollkommen übereinstimmt. Ihr eigenthümlich ist noch ein Einwurf, dem hier Ulpian zu begegnen nöthig findet. Das intra dies centum, sagt er, dürfe nicht so verstanden werden, als ob die verstattete Zeit weniger betrage als 100 Tage, so daß etwa schon mit dem vorletzten Tage die Frist abliefe; es heiße viel- mehr, daß sie bis an die Gränze (und zwar die juristisch be- rechnete) Gränze derselben fortgehe. Dieses bestätigt er noch durch die Analogie von intra Kalendas, welches auch nicht heiße: diesseits der Kalenden (also nur bis zu pridie), son- dern mit Einschluß der ganzen Kalenden selbst, bis zu de- ren völligem Ablauf.
Es muß hier noch eine gemeinschaftliche Bemerkung über alle hier erklärte Stellen, worin Zahlen vorkommen, hinzugefügt werden. Man könnte einwenden, die willkühr- lich abwechselnde Art der Zahlenbezeichnung von Seiten der Römischen Juristen sey durch ihre Zweydeutigkeit un- vorsichtig gewesen, und eben darum könne sie nicht mit Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt werden. Diese Einwen- dung würde Grund haben, wenn den Verfassern der Stelle die Bezeichnung des Tages als eigentlicher Gegenstand des Zweifels und der Entscheidung vorgeschwebt hätte, wenn es ihnen darauf angekommen wäre, zu bestimmen, ob gerade dieser Tag, oder etwa der vorhergehende oder nachfolgende, die Frist endige. Dieses aber stand gar nicht in Frage; sie setzen überall als gewiß und bekannt voraus, daß stets nur von dem novissimus dies die Rede
mit den drey vorhergehenden vollkommen übereinſtimmt. Ihr eigenthümlich iſt noch ein Einwurf, dem hier Ulpian zu begegnen nöthig findet. Das intra dies centum, ſagt er, dürfe nicht ſo verſtanden werden, als ob die verſtattete Zeit weniger betrage als 100 Tage, ſo daß etwa ſchon mit dem vorletzten Tage die Friſt abliefe; es heiße viel- mehr, daß ſie bis an die Gränze (und zwar die juriſtiſch be- rechnete) Gränze derſelben fortgehe. Dieſes beſtätigt er noch durch die Analogie von intra Kalendas, welches auch nicht heiße: dieſſeits der Kalenden (alſo nur bis zu pridie), ſon- dern mit Einſchluß der ganzen Kalenden ſelbſt, bis zu de- ren völligem Ablauf.
Es muß hier noch eine gemeinſchaftliche Bemerkung über alle hier erklärte Stellen, worin Zahlen vorkommen, hinzugefügt werden. Man könnte einwenden, die willkühr- lich abwechſelnde Art der Zahlenbezeichnung von Seiten der Roͤmiſchen Juriſten ſey durch ihre Zweydeutigkeit un- vorſichtig geweſen, und eben darum könne ſie nicht mit Wahrſcheinlichkeit vorausgeſetzt werden. Dieſe Einwen- dung würde Grund haben, wenn den Verfaſſern der Stelle die Bezeichnung des Tages als eigentlicher Gegenſtand des Zweifels und der Entſcheidung vorgeſchwebt hätte, wenn es ihnen darauf angekommen wäre, zu beſtimmen, ob gerade dieſer Tag, oder etwa der vorhergehende oder nachfolgende, die Friſt endige. Dieſes aber ſtand gar nicht in Frage; ſie ſetzen überall als gewiß und bekannt voraus, daß ſtets nur von dem novissimus dies die Rede
26*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0417"n="403"/><fwplace="top"type="header">§. 186. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)</fw><lb/>
mit den drey vorhergehenden vollkommen übereinſtimmt.<lb/>
Ihr eigenthümlich iſt noch ein Einwurf, dem hier Ulpian<lb/>
zu begegnen nöthig findet. Das <hirendition="#aq"><hirendition="#i">intra</hi> dies centum,</hi>ſagt<lb/>
er, dürfe nicht ſo verſtanden werden, als ob die verſtattete<lb/>
Zeit <hirendition="#g">weniger</hi> betrage als 100 Tage, ſo daß etwa ſchon<lb/>
mit dem vorletzten Tage die Friſt abliefe; es heiße viel-<lb/>
mehr, daß ſie bis an die Gränze (und zwar die juriſtiſch be-<lb/>
rechnete) Gränze derſelben fortgehe. Dieſes beſtätigt er noch<lb/>
durch die Analogie von <hirendition="#aq">intra Kalendas,</hi> welches auch nicht<lb/>
heiße: dieſſeits der Kalenden (alſo nur bis zu <hirendition="#aq">pridie</hi>), ſon-<lb/>
dern mit Einſchluß der ganzen Kalenden ſelbſt, bis zu de-<lb/>
ren völligem Ablauf.</p><lb/><p>Es muß hier noch eine gemeinſchaftliche Bemerkung<lb/>
über alle hier erklärte Stellen, worin Zahlen vorkommen,<lb/>
hinzugefügt werden. Man könnte einwenden, die willkühr-<lb/>
lich abwechſelnde Art der Zahlenbezeichnung von Seiten<lb/>
der Roͤmiſchen Juriſten ſey durch ihre Zweydeutigkeit un-<lb/>
vorſichtig geweſen, und eben darum könne ſie nicht mit<lb/>
Wahrſcheinlichkeit vorausgeſetzt werden. Dieſe Einwen-<lb/>
dung würde Grund haben, wenn den Verfaſſern der Stelle<lb/>
die Bezeichnung des Tages als eigentlicher Gegenſtand<lb/>
des Zweifels und der Entſcheidung vorgeſchwebt hätte,<lb/>
wenn es ihnen darauf angekommen wäre, zu beſtimmen,<lb/>
ob gerade dieſer Tag, oder etwa der vorhergehende oder<lb/>
nachfolgende, die Friſt endige. Dieſes aber ſtand gar<lb/>
nicht in Frage; ſie ſetzen überall als gewiß und bekannt<lb/>
voraus, daß ſtets nur von dem <hirendition="#aq">novissimus dies</hi> die Rede<lb/><fwplace="bottom"type="sig">26*</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[403/0417]
§. 186. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)
mit den drey vorhergehenden vollkommen übereinſtimmt.
Ihr eigenthümlich iſt noch ein Einwurf, dem hier Ulpian
zu begegnen nöthig findet. Das intra dies centum, ſagt
er, dürfe nicht ſo verſtanden werden, als ob die verſtattete
Zeit weniger betrage als 100 Tage, ſo daß etwa ſchon
mit dem vorletzten Tage die Friſt abliefe; es heiße viel-
mehr, daß ſie bis an die Gränze (und zwar die juriſtiſch be-
rechnete) Gränze derſelben fortgehe. Dieſes beſtätigt er noch
durch die Analogie von intra Kalendas, welches auch nicht
heiße: dieſſeits der Kalenden (alſo nur bis zu pridie), ſon-
dern mit Einſchluß der ganzen Kalenden ſelbſt, bis zu de-
ren völligem Ablauf.
Es muß hier noch eine gemeinſchaftliche Bemerkung
über alle hier erklärte Stellen, worin Zahlen vorkommen,
hinzugefügt werden. Man könnte einwenden, die willkühr-
lich abwechſelnde Art der Zahlenbezeichnung von Seiten
der Roͤmiſchen Juriſten ſey durch ihre Zweydeutigkeit un-
vorſichtig geweſen, und eben darum könne ſie nicht mit
Wahrſcheinlichkeit vorausgeſetzt werden. Dieſe Einwen-
dung würde Grund haben, wenn den Verfaſſern der Stelle
die Bezeichnung des Tages als eigentlicher Gegenſtand
des Zweifels und der Entſcheidung vorgeſchwebt hätte,
wenn es ihnen darauf angekommen wäre, zu beſtimmen,
ob gerade dieſer Tag, oder etwa der vorhergehende oder
nachfolgende, die Friſt endige. Dieſes aber ſtand gar
nicht in Frage; ſie ſetzen überall als gewiß und bekannt
voraus, daß ſtets nur von dem novissimus dies die Rede
26*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/417>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.