Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
erkannt. Der strenge Schutz durch eigentliches Richteramt
soll nur gelten für die zuerst dargestellte Klasse von Fällen.
Wenn aber in den Fällen, welche eigentlich nur unter
dem Schutz redlicher Sitte stehen, unter zwey Personen
eine Meynungsverschiedenheit entsteht, so daß Jeder das
Recht auf seiner Seite zu haben glaubt, so werden sie
sich, die Möglichkeit des Irrthums in der eigenen Person
und in dem Gegner anerkennend, über einen unpartheyi-
schen Schiedsrichter einigen, dessen Ausspruch sie unter
sich als das wahre Recht gelten lassen wollen. Diese Aus-
kunft ist dem natürlichen Verhältniß redlicher Menschen so
angemessen, daß sie keiner verweigern kann, ohne sich dem
Verdacht eines Unrechts mit Bewußtseyn auszusetzen. Da-
her wird in solchen Fällen Jeder genöthigt, zu dieser Aus-
kunft die Hand zu bieten. Der unter Mitwirkung beider
Theile ernannte Schiedsrichter hat nun nicht, wie der
eigentliche Richter, festzustellen, was das strenge Recht ge-
biete, sondern was im vorliegenden Fall, nach redlicher
Sitte, von selbst und ohne Zwang zu beobachten sey (c).

Das, was hier, von dem Standpunkt allgemeiner Be-
trachtung aus, auch in allgemeine Ausdrücke gefaßt wor-
den ist, erscheint nun bey den Römern in folgender con-
creten Gestalt (§ 218.). In den Fällen, worin eine strenge
Forderung, dem strengen Recht des Eigenthums ähnlich,
begründet ist, kann Dieselbe durch eine stricti juris actio,
häufiger condictio genannt, geltend gemacht werden. Über

(c) Beylage XIII. Num. XIII.

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
erkannt. Der ſtrenge Schutz durch eigentliches Richteramt
ſoll nur gelten für die zuerſt dargeſtellte Klaſſe von Fällen.
Wenn aber in den Fällen, welche eigentlich nur unter
dem Schutz redlicher Sitte ſtehen, unter zwey Perſonen
eine Meynungsverſchiedenheit entſteht, ſo daß Jeder das
Recht auf ſeiner Seite zu haben glaubt, ſo werden ſie
ſich, die Möglichkeit des Irrthums in der eigenen Perſon
und in dem Gegner anerkennend, über einen unpartheyi-
ſchen Schiedsrichter einigen, deſſen Ausſpruch ſie unter
ſich als das wahre Recht gelten laſſen wollen. Dieſe Aus-
kunft iſt dem natürlichen Verhältniß redlicher Menſchen ſo
angemeſſen, daß ſie keiner verweigern kann, ohne ſich dem
Verdacht eines Unrechts mit Bewußtſeyn auszuſetzen. Da-
her wird in ſolchen Fällen Jeder genöthigt, zu dieſer Aus-
kunft die Hand zu bieten. Der unter Mitwirkung beider
Theile ernannte Schiedsrichter hat nun nicht, wie der
eigentliche Richter, feſtzuſtellen, was das ſtrenge Recht ge-
biete, ſondern was im vorliegenden Fall, nach redlicher
Sitte, von ſelbſt und ohne Zwang zu beobachten ſey (c).

Das, was hier, von dem Standpunkt allgemeiner Be-
trachtung aus, auch in allgemeine Ausdrücke gefaßt wor-
den iſt, erſcheint nun bey den Römern in folgender con-
creten Geſtalt (§ 218.). In den Fällen, worin eine ſtrenge
Forderung, dem ſtrengen Recht des Eigenthums ähnlich,
begründet iſt, kann Dieſelbe durch eine stricti juris actio,
häufiger condictio genannt, geltend gemacht werden. Über

(c) Beylage XIII. Num. XIII.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0126" n="112"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Verletzung.</fw><lb/>
erkannt. Der &#x017F;trenge Schutz durch eigentliches Richteramt<lb/>
&#x017F;oll nur gelten für die zuer&#x017F;t darge&#x017F;tellte Kla&#x017F;&#x017F;e von Fällen.<lb/>
Wenn aber in den Fällen, welche eigentlich nur unter<lb/>
dem Schutz redlicher Sitte &#x017F;tehen, unter zwey Per&#x017F;onen<lb/>
eine Meynungsver&#x017F;chiedenheit ent&#x017F;teht, &#x017F;o daß Jeder das<lb/>
Recht auf &#x017F;einer Seite zu haben glaubt, &#x017F;o werden &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich, die Möglichkeit des Irrthums in der eigenen Per&#x017F;on<lb/>
und in dem Gegner anerkennend, über einen unpartheyi-<lb/>
&#x017F;chen Schiedsrichter einigen, de&#x017F;&#x017F;en Aus&#x017F;pruch &#x017F;ie unter<lb/>
&#x017F;ich als das wahre Recht gelten la&#x017F;&#x017F;en wollen. Die&#x017F;e Aus-<lb/>
kunft i&#x017F;t dem natürlichen Verhältniß redlicher Men&#x017F;chen &#x017F;o<lb/>
angeme&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie keiner verweigern kann, ohne &#x017F;ich dem<lb/>
Verdacht eines Unrechts mit Bewußt&#x017F;eyn auszu&#x017F;etzen. Da-<lb/>
her wird in &#x017F;olchen Fällen Jeder genöthigt, zu die&#x017F;er Aus-<lb/>
kunft die Hand zu bieten. Der unter Mitwirkung beider<lb/>
Theile ernannte Schiedsrichter hat nun nicht, wie der<lb/>
eigentliche Richter, fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen, was das &#x017F;trenge Recht ge-<lb/>
biete, &#x017F;ondern was im vorliegenden Fall, nach redlicher<lb/>
Sitte, von &#x017F;elb&#x017F;t und ohne Zwang zu beobachten &#x017F;ey <note place="foot" n="(c)">Beylage <hi rendition="#aq">XIII.</hi> Num. <hi rendition="#aq">XIII.</hi></note>.</p><lb/>
            <p>Das, was hier, von dem Standpunkt allgemeiner Be-<lb/>
trachtung aus, auch in allgemeine Ausdrücke gefaßt wor-<lb/>
den i&#x017F;t, er&#x017F;cheint nun bey den Römern in folgender con-<lb/>
creten Ge&#x017F;talt (§ 218.). In den Fällen, worin eine &#x017F;trenge<lb/>
Forderung, dem &#x017F;trengen Recht des Eigenthums ähnlich,<lb/>
begründet i&#x017F;t, kann Die&#x017F;elbe durch eine <hi rendition="#aq">stricti juris actio,</hi><lb/>
häufiger <hi rendition="#aq">condictio</hi> genannt, geltend gemacht werden. Über<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0126] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. erkannt. Der ſtrenge Schutz durch eigentliches Richteramt ſoll nur gelten für die zuerſt dargeſtellte Klaſſe von Fällen. Wenn aber in den Fällen, welche eigentlich nur unter dem Schutz redlicher Sitte ſtehen, unter zwey Perſonen eine Meynungsverſchiedenheit entſteht, ſo daß Jeder das Recht auf ſeiner Seite zu haben glaubt, ſo werden ſie ſich, die Möglichkeit des Irrthums in der eigenen Perſon und in dem Gegner anerkennend, über einen unpartheyi- ſchen Schiedsrichter einigen, deſſen Ausſpruch ſie unter ſich als das wahre Recht gelten laſſen wollen. Dieſe Aus- kunft iſt dem natürlichen Verhältniß redlicher Menſchen ſo angemeſſen, daß ſie keiner verweigern kann, ohne ſich dem Verdacht eines Unrechts mit Bewußtſeyn auszuſetzen. Da- her wird in ſolchen Fällen Jeder genöthigt, zu dieſer Aus- kunft die Hand zu bieten. Der unter Mitwirkung beider Theile ernannte Schiedsrichter hat nun nicht, wie der eigentliche Richter, feſtzuſtellen, was das ſtrenge Recht ge- biete, ſondern was im vorliegenden Fall, nach redlicher Sitte, von ſelbſt und ohne Zwang zu beobachten ſey (c). Das, was hier, von dem Standpunkt allgemeiner Be- trachtung aus, auch in allgemeine Ausdrücke gefaßt wor- den iſt, erſcheint nun bey den Römern in folgender con- creten Geſtalt (§ 218.). In den Fällen, worin eine ſtrenge Forderung, dem ſtrengen Recht des Eigenthums ähnlich, begründet iſt, kann Dieſelbe durch eine stricti juris actio, häufiger condictio genannt, geltend gemacht werden. Über (c) Beylage XIII. Num. XIII.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/126
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/126>, abgerufen am 22.12.2024.