und daß die Entschiedenheit an sich (abgesehen von dem Inhalt des Urtheils), im Gegensatz der fortdauernden Un- gewißheit, für alle Theile wünschenswerth ist -- wenn man dieses Alles erwägt, so wird man geneigt seyn, die hohe Wichtigkeit des Einflusses der Rechtskraft auch für den Fall gerechter Urtheile anzuerkennen.
Die nun folgende Lehre von der Rechtskraft ruht, so wie das ganze vorliegende Werk, auf dem Boden des Rö- mischen Rechts; aber die Fragen, die hier zur Erörterung kommen müssen, sind so allgemeiner Natur, daß sie überall ihre Beantwortung fordern, auch da, wo von dem Römi- schen Recht keine Anwendung gemacht wird. -- Ferner würde es irrig seyn anzunehmen, daß der Werth und Erfolg dieser Untersuchung an irgend eine besondere Form des Prozeßverfahrens gebunden wäre. Sie wird schon hier angestellt für den altrömischen Formularprozeß, den Prozeß der Justinianischen Zeit, und den gemeinen deutschen Prozeß. Das Bedürfniß derselben tritt aber auch gleichmäßig hervor im Prozeß des Preußischen, so wie in dem des Französischen Rechts.
Das Rechtsinstitut, welches nunmehr abgehandelt werden soll, und zu dessen Einleitung die vorstehende Betrachtung bestimmt ist, setzt den regelmäßigen Gang eines Rechts- streits voraus. Der vollständigen Übersicht wegen muß aber schon hier auf die anomalen Entwicklungen streitiger
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
und daß die Entſchiedenheit an ſich (abgeſehen von dem Inhalt des Urtheils), im Gegenſatz der fortdauernden Un- gewißheit, für alle Theile wünſchenswerth iſt — wenn man dieſes Alles erwägt, ſo wird man geneigt ſeyn, die hohe Wichtigkeit des Einfluſſes der Rechtskraft auch für den Fall gerechter Urtheile anzuerkennen.
Die nun folgende Lehre von der Rechtskraft ruht, ſo wie das ganze vorliegende Werk, auf dem Boden des Rö- miſchen Rechts; aber die Fragen, die hier zur Erörterung kommen müſſen, ſind ſo allgemeiner Natur, daß ſie überall ihre Beantwortung fordern, auch da, wo von dem Römi- ſchen Recht keine Anwendung gemacht wird. — Ferner würde es irrig ſeyn anzunehmen, daß der Werth und Erfolg dieſer Unterſuchung an irgend eine beſondere Form des Prozeßverfahrens gebunden wäre. Sie wird ſchon hier angeſtellt für den altrömiſchen Formularprozeß, den Prozeß der Juſtinianiſchen Zeit, und den gemeinen deutſchen Prozeß. Das Bedürfniß derſelben tritt aber auch gleichmäßig hervor im Prozeß des Preußiſchen, ſo wie in dem des Franzöſiſchen Rechts.
Das Rechtsinſtitut, welches nunmehr abgehandelt werden ſoll, und zu deſſen Einleitung die vorſtehende Betrachtung beſtimmt iſt, ſetzt den regelmäßigen Gang eines Rechts- ſtreits voraus. Der vollſtändigen Überſicht wegen muß aber ſchon hier auf die anomalen Entwicklungen ſtreitiger
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
und daß die Entſchiedenheit an ſich (abgeſehen von dem
Inhalt des Urtheils), im Gegenſatz der fortdauernden Un-
gewißheit, für alle Theile wünſchenswerth iſt — wenn man
dieſes Alles erwägt, ſo wird man geneigt ſeyn, die hohe
Wichtigkeit des Einfluſſes der Rechtskraft auch für den
Fall gerechter Urtheile anzuerkennen.
Die nun folgende Lehre von der Rechtskraft ruht, ſo
wie das ganze vorliegende Werk, auf dem Boden des Rö-
miſchen Rechts; aber die Fragen, die hier zur Erörterung
kommen müſſen, ſind ſo allgemeiner Natur, daß ſie überall
ihre Beantwortung fordern, auch da, wo von dem Römi-
ſchen Recht keine Anwendung gemacht wird. — Ferner
würde es irrig ſeyn anzunehmen, daß der Werth und
Erfolg dieſer Unterſuchung an irgend eine beſondere Form
des Prozeßverfahrens gebunden wäre. Sie wird ſchon
hier angeſtellt für den altrömiſchen Formularprozeß, den
Prozeß der Juſtinianiſchen Zeit, und den gemeinen
deutſchen Prozeß. Das Bedürfniß derſelben tritt aber auch
gleichmäßig hervor im Prozeß des Preußiſchen, ſo wie in
dem des Franzöſiſchen Rechts.
Das Rechtsinſtitut, welches nunmehr abgehandelt werden
ſoll, und zu deſſen Einleitung die vorſtehende Betrachtung
beſtimmt iſt, ſetzt den regelmäßigen Gang eines Rechts-
ſtreits voraus. Der vollſtändigen Überſicht wegen muß
aber ſchon hier auf die anomalen Entwicklungen ſtreitiger
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/282>, abgerufen am 22.11.2024.
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