Wege derselbe praktische Zweck im heutigen Prozeß erreicht wird, ist so eben bereits gezeigt worden.
Fassen wir die eben erörterte Streitfrage kurz zusam- men. Die Römer hatten in ihrem Prozeß einige alte Rechtsinstitute, die zu Justinian's Zeit längst verschwunden waren, uns aber in der neuesten Zeit bekannt geworden sind. In diesen Instituten war Vieles ganz formell und historisch: Anderes beruhte auf einem allgemeinen und bleibenden praktischen Bedürfniß, das eben durch jene geschichtlichen Formen damals seine Befriedigung erhalten sollte. In den anderthalb tausend Jahren, seit welchen jene Formen verschwanden, hat das praktische Bedürfniß stets fortgedauert, und man hat sich auf andere Weise zu helfen gesucht, besser oder schlechter, mit mehr oder weniger deutlichem Bewußtseyn, wie es eben gelingen wollte. Jetzt werden jene alten Formen entdeckt, und wir finden, daß die Römer dieselben gebraucht haben, um praktische Bedürf- nisse zu befriedigen, die auch wir bisher anerkannt haben. Zu verwundern ist daran nicht viel, da ja die Römer bei der Aufstellung jener Formen nicht aus einer wunderlichen Laune zu Werke gingen, sondern mit ächt praktischem Sinn, wovon sie bekanntlich ein nicht geringes Maaß hatten.
Die neue Entdeckung zeigt uns also, daß wir uns das bleibende Wesen jener alten Rechtsinstitute unter anderen Formen und Namen wirklich angeeignet haben, und diese Bestätigung der Richtigkeit unsres Verfahrens ist sehr an- ziehend und belehrend. Sollen wir aber deshalb die alten
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Wege derſelbe praktiſche Zweck im heutigen Prozeß erreicht wird, iſt ſo eben bereits gezeigt worden.
Faſſen wir die eben erörterte Streitfrage kurz zuſam- men. Die Römer hatten in ihrem Prozeß einige alte Rechtsinſtitute, die zu Juſtinian’s Zeit längſt verſchwunden waren, uns aber in der neueſten Zeit bekannt geworden ſind. In dieſen Inſtituten war Vieles ganz formell und hiſtoriſch: Anderes beruhte auf einem allgemeinen und bleibenden praktiſchen Bedürfniß, das eben durch jene geſchichtlichen Formen damals ſeine Befriedigung erhalten ſollte. In den anderthalb tauſend Jahren, ſeit welchen jene Formen verſchwanden, hat das praktiſche Bedürfniß ſtets fortgedauert, und man hat ſich auf andere Weiſe zu helfen geſucht, beſſer oder ſchlechter, mit mehr oder weniger deutlichem Bewußtſeyn, wie es eben gelingen wollte. Jetzt werden jene alten Formen entdeckt, und wir finden, daß die Römer dieſelben gebraucht haben, um praktiſche Bedürf- niſſe zu befriedigen, die auch wir bisher anerkannt haben. Zu verwundern iſt daran nicht viel, da ja die Römer bei der Aufſtellung jener Formen nicht aus einer wunderlichen Laune zu Werke gingen, ſondern mit ächt praktiſchem Sinn, wovon ſie bekanntlich ein nicht geringes Maaß hatten.
Die neue Entdeckung zeigt uns alſo, daß wir uns das bleibende Weſen jener alten Rechtsinſtitute unter anderen Formen und Namen wirklich angeeignet haben, und dieſe Beſtätigung der Richtigkeit unſres Verfahrens iſt ſehr an- ziehend und belehrend. Sollen wir aber deshalb die alten
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Wege derſelbe praktiſche Zweck im heutigen Prozeß erreicht
wird, iſt ſo eben bereits gezeigt worden.
Faſſen wir die eben erörterte Streitfrage kurz zuſam-
men. Die Römer hatten in ihrem Prozeß einige alte
Rechtsinſtitute, die zu Juſtinian’s Zeit längſt verſchwunden
waren, uns aber in der neueſten Zeit bekannt geworden
ſind. In dieſen Inſtituten war Vieles ganz formell und
hiſtoriſch: Anderes beruhte auf einem allgemeinen und
bleibenden praktiſchen Bedürfniß, das eben durch jene
geſchichtlichen Formen damals ſeine Befriedigung erhalten
ſollte. In den anderthalb tauſend Jahren, ſeit welchen
jene Formen verſchwanden, hat das praktiſche Bedürfniß
ſtets fortgedauert, und man hat ſich auf andere Weiſe zu
helfen geſucht, beſſer oder ſchlechter, mit mehr oder weniger
deutlichem Bewußtſeyn, wie es eben gelingen wollte. Jetzt
werden jene alten Formen entdeckt, und wir finden, daß
die Römer dieſelben gebraucht haben, um praktiſche Bedürf-
niſſe zu befriedigen, die auch wir bisher anerkannt haben.
Zu verwundern iſt daran nicht viel, da ja die Römer bei
der Aufſtellung jener Formen nicht aus einer wunderlichen
Laune zu Werke gingen, ſondern mit ächt praktiſchem Sinn,
wovon ſie bekanntlich ein nicht geringes Maaß hatten.
Die neue Entdeckung zeigt uns alſo, daß wir uns das
bleibende Weſen jener alten Rechtsinſtitute unter anderen
Formen und Namen wirklich angeeignet haben, und dieſe
Beſtätigung der Richtigkeit unſres Verfahrens iſt ſehr an-
ziehend und belehrend. Sollen wir aber deshalb die alten
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/326>, abgerufen am 25.11.2024.
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