Namen und Formen hervorsuchen, und in dem heutigen Prozeß von Klagenconsumtion, negativer Function, Nova- tion sprechen? Ich muß ein solches Verfahren durchaus für eine falsche, verwirrende Gelehrsamkeit erklären, für einen Weg, der von der Wahrheit abzuführen geeignet ist.
Insbesondere muß dabei noch auf folgende Analogie des heutigen Rechts mit dem alten Recht aufmerksam gemacht werden. Nach der von mir oben aufgestellten Formel kommt Alles darauf an, was und wie viel zum Gegenstand des Rechtsstreits erhoben, und dadurch dem Urtheil des Richters unterworfen worden ist (S. 304). Wir können Das mit einem altrömischen Kunstausdruck so bezeichnen: Es kommt darauf an, was in judicium deducirt ist. Dabei ist nur der Unterschied zu beachten, daß die Römer den Umfang des in judicium deductum aus der formula, und zwar vorzugsweise aus der in derselben ent- haltenen intentio beurtheilten; wir haben eine so feste, gleich- förmige Prozeßform nicht, müssen uns aber an den Inhalt der Klagschrift (insbesondere des Antrags) halten, so daß unsre Beurtheilung dieses Gegenstandes auf der einen Seite freier, auf der anderen Seite aber schwankender und unsicherer ist, als es die der Römer war. Auch hierin also haben wir die Analogie eines altrömischen Rechts- instituts vor uns, dessen genaues Studium uns sehr för- dern und vergleichend belehren, dessen versuchte unmittel- bare Anwendung aber nur irre führen kann.
§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.
Namen und Formen hervorſuchen, und in dem heutigen Prozeß von Klagenconſumtion, negativer Function, Nova- tion ſprechen? Ich muß ein ſolches Verfahren durchaus für eine falſche, verwirrende Gelehrſamkeit erklären, für einen Weg, der von der Wahrheit abzuführen geeignet iſt.
Insbeſondere muß dabei noch auf folgende Analogie des heutigen Rechts mit dem alten Recht aufmerkſam gemacht werden. Nach der von mir oben aufgeſtellten Formel kommt Alles darauf an, was und wie viel zum Gegenſtand des Rechtsſtreits erhoben, und dadurch dem Urtheil des Richters unterworfen worden iſt (S. 304). Wir können Das mit einem altrömiſchen Kunſtausdruck ſo bezeichnen: Es kommt darauf an, was in judicium deducirt iſt. Dabei iſt nur der Unterſchied zu beachten, daß die Römer den Umfang des in judicium deductum aus der formula, und zwar vorzugsweiſe aus der in derſelben ent- haltenen intentio beurtheilten; wir haben eine ſo feſte, gleich- förmige Prozeßform nicht, müſſen uns aber an den Inhalt der Klagſchrift (insbeſondere des Antrags) halten, ſo daß unſre Beurtheilung dieſes Gegenſtandes auf der einen Seite freier, auf der anderen Seite aber ſchwankender und unſicherer iſt, als es die der Römer war. Auch hierin alſo haben wir die Analogie eines altrömiſchen Rechts- inſtituts vor uns, deſſen genaues Studium uns ſehr för- dern und vergleichend belehren, deſſen verſuchte unmittel- bare Anwendung aber nur irre führen kann.
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§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.
Namen und Formen hervorſuchen, und in dem heutigen
Prozeß von Klagenconſumtion, negativer Function, Nova-
tion ſprechen? Ich muß ein ſolches Verfahren durchaus
für eine falſche, verwirrende Gelehrſamkeit erklären, für
einen Weg, der von der Wahrheit abzuführen geeignet iſt.
Insbeſondere muß dabei noch auf folgende Analogie
des heutigen Rechts mit dem alten Recht aufmerkſam
gemacht werden. Nach der von mir oben aufgeſtellten
Formel kommt Alles darauf an, was und wie viel zum
Gegenſtand des Rechtsſtreits erhoben, und dadurch dem
Urtheil des Richters unterworfen worden iſt (S. 304).
Wir können Das mit einem altrömiſchen Kunſtausdruck ſo
bezeichnen: Es kommt darauf an, was in judicium deducirt
iſt. Dabei iſt nur der Unterſchied zu beachten, daß die
Römer den Umfang des in judicium deductum aus der
formula, und zwar vorzugsweiſe aus der in derſelben ent-
haltenen intentio beurtheilten; wir haben eine ſo feſte, gleich-
förmige Prozeßform nicht, müſſen uns aber an den Inhalt
der Klagſchrift (insbeſondere des Antrags) halten, ſo daß
unſre Beurtheilung dieſes Gegenſtandes auf der einen
Seite freier, auf der anderen Seite aber ſchwankender und
unſicherer iſt, als es die der Römer war. Auch hierin
alſo haben wir die Analogie eines altrömiſchen Rechts-
inſtituts vor uns, deſſen genaues Studium uns ſehr för-
dern und vergleichend belehren, deſſen verſuchte unmittel-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/327>, abgerufen am 25.11.2024.
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