Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

in Gefahr und Unglück, Krankheit und Tod konnten kaum eine andere Gestalt, als diejenige der hergebrachten Gilden annehmen und wurden erst allmählig als reine und ganz beschränkte Handwerksgenossenschaften, als die Zünfte mit den städtischen Verfassungen ausgebildet. Vielleicht dürfte der Gegensatz der Gilden und der spätern eigentlichen Zünfte darin gefunden werden, dass jene allgemeine Volksgenossenschaften diese Genossenschaften der städtischen Handwerker gewesen seien. Die gemeinsamen Mahlzeiten und Gelage, das Minnetrinken, waren aber beiden Genossenschaften gemeinsam; die Gildebrüder sowohl im Holsteinischen, als in Schwaben wurden auch Minnebrüder genannt, wie später auch manche Gilden Minnen hiessen. In dem Capitulare vom Jahr 779 (bei Pertz, I. 37) heisst es: "De sacramentis per gildonia invicem conjurantibus, ut nemo facere praesumat. Alio vero modo de eorum elemosinis, aut de incendio, aut de naufragio, quamvis convenientiam faciant, nemo in hoc jurare praesumat." Die alten und ursprünglichen Gilden hingen auch wohl mit der Gemeinde- und Gerichtsverfassung, selbst mit dem Heerbanne zusammen, oder waren Gemeinds-, Gerichts- und Heerverbände, gerade wie später die Zünfte mit der städtischen Gemeindeverfassung und dem städtischen Heerwesen in Verbindung traten, mehr oder weniger die bestimmende Unterlage derselben wurden, - die Zunftmeister zugleich Rathsmitglieder, Gerichtsmitglieder und Heerführer waren. Je weniger noch eine centrale Staats- und Stadtgewalt sich entwickelt hatte, je weniger von dieser Schutz und Hülfe zu erwarten stand, um so mächtiger, thätiger und einflussreicher mussten jene sein; Selbsthülfe durch Genossenschaften ist ein Grundzug des germanischen Mittelalters und musste die noch fehlende centrale Staatsgewalt ersetzen, weshalb auch bei dem spätern Hervortreten dieser in demselben Verhältniss jene zurücktritt und machtlos wird. Gerade aus dem Capitulare von 779 ist zu ersehen, dass die Gilden auch Verbrüderungen gegen Schaden durch Brand und Schiffbruch waren, und noch mehr mussten dieselben bei der dermaligen Rechtsunsicherheit gegen Verbrechen, besonders gegen Mord und Diebstahl, ihre Glieder schützen; eine gemeinschaftliche

in Gefahr und Unglück, Krankheit und Tod konnten kaum eine andere Gestalt, als diejenige der hergebrachten Gilden annehmen und wurden erst allmählig als reine und ganz beschränkte Handwerksgenossenschaften, als die Zünfte mit den städtischen Verfassungen ausgebildet. Vielleicht dürfte der Gegensatz der Gilden und der spätern eigentlichen Zünfte darin gefunden werden, dass jene allgemeine Volksgenossenschaften diese Genossenschaften der städtischen Handwerker gewesen seien. Die gemeinsamen Mahlzeiten und Gelage, das Minnetrinken, waren aber beiden Genossenschaften gemeinsam; die Gildebrüder sowohl im Holsteinischen, als in Schwaben wurden auch Minnebrüder genannt, wie später auch manche Gilden Minnen hiessen. In dem Capitulare vom Jahr 779 (bei Pertz, I. 37) heisst es: „Dè sacramentis per gildonia invicem conjurantibus, ut nemo facere praesumat. Alio vero modo de eorum elemosinis, aut de incendio, aut de naufragio, quamvis convenientiam faciant, nemo in hoc jurare praesumat.“ Die alten und ursprünglichen Gilden hingen auch wohl mit der Gemeinde- und Gerichtsverfassung, selbst mit dem Heerbanne zusammen, oder waren Gemeinds-, Gerichts- und Heerverbände, gerade wie später die Zünfte mit der städtischen Gemeindeverfassung und dem städtischen Heerwesen in Verbindung traten, mehr oder weniger die bestimmende Unterlage derselben wurden, – die Zunftmeister zugleich Rathsmitglieder, Gerichtsmitglieder und Heerführer waren. Je weniger noch eine centrale Staats- und Stadtgewalt sich entwickelt hatte, je weniger von dieser Schutz und Hülfe zu erwarten stand, um so mächtiger, thätiger und einflussreicher mussten jene sein; Selbsthülfe durch Genossenschaften ist ein Grundzug des germanischen Mittelalters und musste die noch fehlende centrale Staatsgewalt ersetzen, weshalb auch bei dem spätern Hervortreten dieser in demselben Verhältniss jene zurücktritt und machtlos wird. Gerade aus dem Capitulare von 779 ist zu ersehen, dass die Gilden auch Verbrüderungen gegen Schaden durch Brand und Schiffbruch waren, und noch mehr mussten dieselben bei der dermaligen Rechtsunsicherheit gegen Verbrechen, besonders gegen Mord und Diebstahl, ihre Glieder schützen; eine gemeinschaftliche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0659" n="643"/>
in
 Gefahr und Unglück, Krankheit und Tod konnten kaum eine andere Gestalt, als diejenige der
 hergebrachten Gilden annehmen und wurden erst allmählig als reine und ganz beschränkte
 Handwerksgenossenschaften, als die Zünfte mit den städtischen Verfassungen ausgebildet. Vielleicht
 dürfte der Gegensatz der Gilden und der spätern eigentlichen Zünfte darin gefunden werden, dass jene
 allgemeine Volksgenossenschaften diese Genossenschaften der städtischen Handwerker gewesen seien.
 Die gemeinsamen Mahlzeiten und Gelage, das Minnetrinken, waren aber beiden Genossenschaften
 gemeinsam; die Gildebrüder sowohl im Holsteinischen, als in Schwaben wurden auch Minnebrüder
 genannt, wie später auch manche Gilden Minnen hiessen. In dem Capitulare vom Jahr 779 (bei Pertz, I.
 37) heisst es: &#x201E;Dè sacramentis per gildonia invicem conjurantibus, ut nemo facere praesumat. Alio
 vero modo de eorum elemosinis, aut de incendio, aut de naufragio, quamvis <choice><sic>convenientibus faciant,
   nemo in hac</sic><corr>convenientiam faciant, nemo in hoc</corr></choice> jurare praesumat.&#x201C; Die alten und ursprünglichen Gilden hingen auch wohl mit der Gemeinde- und Gerichtsverfassung, selbst mit dem Heerbanne zusammen, oder waren Gemeinds-, Gerichts-
 und Heerverbände, gerade wie später die Zünfte mit der städtischen Gemeindeverfassung und dem
 städtischen Heerwesen in Verbindung traten, mehr oder weniger die bestimmende Unterlage derselben
 wurden, &#x2013; die Zunftmeister zugleich Rathsmitglieder, Gerichtsmitglieder und Heerführer waren. Je
 weniger noch eine centrale Staats- und Stadtgewalt sich entwickelt hatte, je weniger von dieser
 Schutz und Hülfe zu erwarten stand, um so mächtiger, thätiger und einflussreicher mussten jene sein;
 Selbsthülfe durch Genossenschaften ist ein Grundzug des germanischen Mittelalters und musste die
 noch fehlende centrale Staatsgewalt ersetzen, weshalb auch bei dem spätern Hervortreten dieser in
 demselben Verhältniss jene zurücktritt und machtlos wird. Gerade aus dem Capitulare von 779 ist zu
 ersehen, dass die Gilden auch Verbrüderungen gegen Schaden durch Brand und Schiffbruch waren, und
 noch mehr mussten dieselben bei der dermaligen Rechtsunsicherheit gegen Verbrechen, besonders gegen
 Mord und Diebstahl, ihre Glieder schützen; eine gemeinschaftliche
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[643/0659] in Gefahr und Unglück, Krankheit und Tod konnten kaum eine andere Gestalt, als diejenige der hergebrachten Gilden annehmen und wurden erst allmählig als reine und ganz beschränkte Handwerksgenossenschaften, als die Zünfte mit den städtischen Verfassungen ausgebildet. Vielleicht dürfte der Gegensatz der Gilden und der spätern eigentlichen Zünfte darin gefunden werden, dass jene allgemeine Volksgenossenschaften diese Genossenschaften der städtischen Handwerker gewesen seien. Die gemeinsamen Mahlzeiten und Gelage, das Minnetrinken, waren aber beiden Genossenschaften gemeinsam; die Gildebrüder sowohl im Holsteinischen, als in Schwaben wurden auch Minnebrüder genannt, wie später auch manche Gilden Minnen hiessen. In dem Capitulare vom Jahr 779 (bei Pertz, I. 37) heisst es: „Dè sacramentis per gildonia invicem conjurantibus, ut nemo facere praesumat. Alio vero modo de eorum elemosinis, aut de incendio, aut de naufragio, quamvis convenientiam faciant, nemo in hoc jurare praesumat.“ Die alten und ursprünglichen Gilden hingen auch wohl mit der Gemeinde- und Gerichtsverfassung, selbst mit dem Heerbanne zusammen, oder waren Gemeinds-, Gerichts- und Heerverbände, gerade wie später die Zünfte mit der städtischen Gemeindeverfassung und dem städtischen Heerwesen in Verbindung traten, mehr oder weniger die bestimmende Unterlage derselben wurden, – die Zunftmeister zugleich Rathsmitglieder, Gerichtsmitglieder und Heerführer waren. Je weniger noch eine centrale Staats- und Stadtgewalt sich entwickelt hatte, je weniger von dieser Schutz und Hülfe zu erwarten stand, um so mächtiger, thätiger und einflussreicher mussten jene sein; Selbsthülfe durch Genossenschaften ist ein Grundzug des germanischen Mittelalters und musste die noch fehlende centrale Staatsgewalt ersetzen, weshalb auch bei dem spätern Hervortreten dieser in demselben Verhältniss jene zurücktritt und machtlos wird. Gerade aus dem Capitulare von 779 ist zu ersehen, dass die Gilden auch Verbrüderungen gegen Schaden durch Brand und Schiffbruch waren, und noch mehr mussten dieselben bei der dermaligen Rechtsunsicherheit gegen Verbrechen, besonders gegen Mord und Diebstahl, ihre Glieder schützen; eine gemeinschaftliche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-14T13:44:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-14T13:44:32Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-08-14T13:44:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/659
Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/659>, abgerufen am 21.11.2024.