Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

stes seyn, und darnach die Schwärmerey eine
sinnliche oder geistige, welche letztere wiederum
in die intellektuelle und moralische getheilt wer-
den kann, in so fern ihr Gegenstand dem Ver-
stande oder dem Willen angehört.

Der sinnliche Schwärmer hat einen wirkli-
chen Gegenstand; aber die geblendete Phantasie
läßt ihn das Maaß des Gefühls für denselben
überschreiten. Jeder, der etwas, was die Sinn-
lichkeit afficirt, heftiger begehrt, oder ängstlicher
flieht, als Vernunft und Pflicht es billigen, ist
in so fern dieses Namens werth. Hier ver-
schwendet einer Haab und Gut, um bauen zu
können; läßt aus allen Theilen der Welt Modelle
verschreiben, und vergißt sich, sein Weib und
seine Kinder, wenn er nur seine schwärmerische
Lust befriedigen kann. -- Dort taumelt ein andrer
in dem Gewirre erhabner Gefühle, erregt durch
den Anblick eines Hügels, den die Phantasie zur
Riesenkoppe zaubert; durch die Schatten eines
Tannenwäldchens, den er zum heiligen Hayn
umschaft, oder durch die Anhörung einer Musik,
die ihm die sphärische dünkt. Dieser wird gequält
von widrigen Empfindungen, wenn er einen Uhu,
eine Maus oder eine Katze erblickt; wähnt, er
könne diesen Anblick nicht ertragen, und flieht,
ohne verfolgt zu werden. Jener wird betäubt
von schmerzhaften Empfindungen bey dem Anblick

einer

ſtes ſeyn, und darnach die Schwaͤrmerey eine
ſinnliche oder geiſtige, welche letztere wiederum
in die intellektuelle und moraliſche getheilt wer-
den kann, in ſo fern ihr Gegenſtand dem Ver-
ſtande oder dem Willen angehoͤrt.

Der ſinnliche Schwaͤrmer hat einen wirkli-
chen Gegenſtand; aber die geblendete Phantaſie
laͤßt ihn das Maaß des Gefuͤhls fuͤr denſelben
uͤberſchreiten. Jeder, der etwas, was die Sinn-
lichkeit afficirt, heftiger begehrt, oder aͤngſtlicher
flieht, als Vernunft und Pflicht es billigen, iſt
in ſo fern dieſes Namens werth. Hier ver-
ſchwendet einer Haab und Gut, um bauen zu
koͤnnen; laͤßt aus allen Theilen der Welt Modelle
verſchreiben, und vergißt ſich, ſein Weib und
ſeine Kinder, wenn er nur ſeine ſchwaͤrmeriſche
Luſt befriedigen kann. — Dort taumelt ein andrer
in dem Gewirre erhabner Gefuͤhle, erregt durch
den Anblick eines Huͤgels, den die Phantaſie zur
Rieſenkoppe zaubert; durch die Schatten eines
Tannenwaͤldchens, den er zum heiligen Hayn
umſchaft, oder durch die Anhoͤrung einer Muſik,
die ihm die ſphaͤriſche duͤnkt. Dieſer wird gequaͤlt
von widrigen Empfindungen, wenn er einen Uhu,
eine Maus oder eine Katze erblickt; waͤhnt, er
koͤnne dieſen Anblick nicht ertragen, und flieht,
ohne verfolgt zu werden. Jener wird betaͤubt
von ſchmerzhaften Empfindungen bey dem Anblick

einer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0264" n="240"/>
&#x017F;tes &#x017F;eyn, und darnach die Schwa&#x0364;rmerey eine<lb/><hi rendition="#b">&#x017F;innliche</hi> oder <hi rendition="#b">gei&#x017F;tige</hi>, welche letztere wiederum<lb/>
in die <hi rendition="#b">intellektuelle</hi> und <hi rendition="#b">morali&#x017F;che</hi> getheilt wer-<lb/>
den kann, in &#x017F;o fern ihr Gegen&#x017F;tand dem Ver-<lb/>
&#x017F;tande oder dem Willen angeho&#x0364;rt.</p><lb/>
          <p>Der &#x017F;innliche Schwa&#x0364;rmer hat einen wirkli-<lb/>
chen Gegen&#x017F;tand; aber die geblendete Phanta&#x017F;ie<lb/>
la&#x0364;ßt ihn das Maaß des Gefu&#x0364;hls fu&#x0364;r den&#x017F;elben<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;chreiten. Jeder, der etwas, was die Sinn-<lb/>
lichkeit afficirt, heftiger begehrt, oder a&#x0364;ng&#x017F;tlicher<lb/>
flieht, als Vernunft und Pflicht es billigen, i&#x017F;t<lb/>
in &#x017F;o fern die&#x017F;es Namens werth. Hier ver-<lb/>
&#x017F;chwendet einer Haab und Gut, um bauen zu<lb/>
ko&#x0364;nnen; la&#x0364;ßt aus allen Theilen der Welt Modelle<lb/>
ver&#x017F;chreiben, und vergißt &#x017F;ich, &#x017F;ein Weib und<lb/>
&#x017F;eine Kinder, wenn er nur &#x017F;eine &#x017F;chwa&#x0364;rmeri&#x017F;che<lb/>
Lu&#x017F;t befriedigen kann. &#x2014; Dort taumelt ein andrer<lb/>
in dem Gewirre erhabner Gefu&#x0364;hle, erregt durch<lb/>
den Anblick eines Hu&#x0364;gels, den die Phanta&#x017F;ie zur<lb/>
Rie&#x017F;enkoppe zaubert; durch die Schatten eines<lb/>
Tannenwa&#x0364;ldchens, den er zum heiligen Hayn<lb/>
um&#x017F;chaft, oder durch die Anho&#x0364;rung einer Mu&#x017F;ik,<lb/>
die ihm die &#x017F;pha&#x0364;ri&#x017F;che du&#x0364;nkt. Die&#x017F;er wird gequa&#x0364;lt<lb/>
von widrigen Empfindungen, wenn er einen Uhu,<lb/>
eine Maus oder eine Katze erblickt; wa&#x0364;hnt, er<lb/>
ko&#x0364;nne die&#x017F;en Anblick nicht ertragen, und flieht,<lb/>
ohne verfolgt zu werden. Jener wird beta&#x0364;ubt<lb/>
von &#x017F;chmerzhaften Empfindungen bey dem Anblick<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">einer</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0264] ſtes ſeyn, und darnach die Schwaͤrmerey eine ſinnliche oder geiſtige, welche letztere wiederum in die intellektuelle und moraliſche getheilt wer- den kann, in ſo fern ihr Gegenſtand dem Ver- ſtande oder dem Willen angehoͤrt. Der ſinnliche Schwaͤrmer hat einen wirkli- chen Gegenſtand; aber die geblendete Phantaſie laͤßt ihn das Maaß des Gefuͤhls fuͤr denſelben uͤberſchreiten. Jeder, der etwas, was die Sinn- lichkeit afficirt, heftiger begehrt, oder aͤngſtlicher flieht, als Vernunft und Pflicht es billigen, iſt in ſo fern dieſes Namens werth. Hier ver- ſchwendet einer Haab und Gut, um bauen zu koͤnnen; laͤßt aus allen Theilen der Welt Modelle verſchreiben, und vergißt ſich, ſein Weib und ſeine Kinder, wenn er nur ſeine ſchwaͤrmeriſche Luſt befriedigen kann. — Dort taumelt ein andrer in dem Gewirre erhabner Gefuͤhle, erregt durch den Anblick eines Huͤgels, den die Phantaſie zur Rieſenkoppe zaubert; durch die Schatten eines Tannenwaͤldchens, den er zum heiligen Hayn umſchaft, oder durch die Anhoͤrung einer Muſik, die ihm die ſphaͤriſche duͤnkt. Dieſer wird gequaͤlt von widrigen Empfindungen, wenn er einen Uhu, eine Maus oder eine Katze erblickt; waͤhnt, er koͤnne dieſen Anblick nicht ertragen, und flieht, ohne verfolgt zu werden. Jener wird betaͤubt von ſchmerzhaften Empfindungen bey dem Anblick einer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/264
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/264>, abgerufen am 21.11.2024.