Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

So trinke denn aus dieser reichen Quelle der
Glückseligkeit, welche mit den Quellen der Freund-
schaft, Liebe und Wissenschaft unversiegbar für
dich strömt, trinke und nähre deine Phantasie
aus derselben. Aber, wenn du dieses thun willst,
mußt du auch bemüht seyn, ihr Geschmack dar-
an zu verschaffen
, und sie gesund zu be-
wahren
.

So Mancher möchte gern die Freudenblumen,
die auf dem Wege des Lebens dem Pilger lächeln,
pflücken und genießen; aber er kömmt nie zum
Genuß, weil der Sturm der Leidenschaft ihm kei-
ne Ruhe gönnt.

Wem es also darum zu thun ist, seiner Ein-
bildungskraft einen Schatz zu sammeln, der ihn nie
freudenarm lasse; der verjage aus seinem Herzen
jede unmäßige, prätendirende, unruhige Leiden-
schaft.

Ja ihr stolzen, herrschsüchtigen, alles begeh-
renden Leidenschaften, ihr seyd die Mörder der
Ruhe und Freude des Menschen! Wenn aus
dem ruhig gewordnen Herzen die sanften Bilder
der Freude und Zufriedenheit in die Phantasie
schweben; ach wie bald, wie bald zerstreut sie
wieder euer verzehrender Sturm, daß der von euch
Gequälte ja nur Minuten lang glückselig werde.

Da

So trinke denn aus dieſer reichen Quelle der
Gluͤckſeligkeit, welche mit den Quellen der Freund-
ſchaft, Liebe und Wiſſenſchaft unverſiegbar fuͤr
dich ſtroͤmt, trinke und naͤhre deine Phantaſie
aus derſelben. Aber, wenn du dieſes thun willſt,
mußt du auch bemuͤht ſeyn, ihr Geſchmack dar-
an zu verſchaffen
, und ſie geſund zu be-
wahren
.

So Mancher moͤchte gern die Freudenblumen,
die auf dem Wege des Lebens dem Pilger laͤcheln,
pfluͤcken und genießen; aber er koͤmmt nie zum
Genuß, weil der Sturm der Leidenſchaft ihm kei-
ne Ruhe goͤnnt.

Wem es alſo darum zu thun iſt, ſeiner Ein-
bildungskraft einen Schatz zu ſammeln, der ihn nie
freudenarm laſſe; der verjage aus ſeinem Herzen
jede unmaͤßige, praͤtendirende, unruhige Leiden-
ſchaft.

Ja ihr ſtolzen, herrſchſuͤchtigen, alles begeh-
renden Leidenſchaften, ihr ſeyd die Moͤrder der
Ruhe und Freude des Menſchen! Wenn aus
dem ruhig gewordnen Herzen die ſanften Bilder
der Freude und Zufriedenheit in die Phantaſie
ſchweben; ach wie bald, wie bald zerſtreut ſie
wieder euer verzehrender Sturm, daß der von euch
Gequaͤlte ja nur Minuten lang gluͤckſelig werde.

Da
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0294" n="270"/>
            <p>So trinke denn aus die&#x017F;er reichen Quelle der<lb/>
Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit, welche mit den Quellen der Freund-<lb/>
&#x017F;chaft, Liebe und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft unver&#x017F;iegbar fu&#x0364;r<lb/>
dich &#x017F;tro&#x0364;mt, trinke und na&#x0364;hre deine Phanta&#x017F;ie<lb/>
aus der&#x017F;elben. Aber, wenn du die&#x017F;es thun will&#x017F;t,<lb/>
mußt du auch bemu&#x0364;ht &#x017F;eyn, ihr <hi rendition="#b">Ge&#x017F;chmack dar-<lb/>
an zu ver&#x017F;chaffen</hi>, und &#x017F;ie <hi rendition="#b">ge&#x017F;und zu be-<lb/>
wahren</hi>.</p><lb/>
            <p>So Mancher mo&#x0364;chte gern die Freudenblumen,<lb/>
die auf dem Wege des Lebens dem Pilger la&#x0364;cheln,<lb/>
pflu&#x0364;cken und genießen; aber er ko&#x0364;mmt nie zum<lb/>
Genuß, weil der Sturm der Leiden&#x017F;chaft ihm kei-<lb/>
ne Ruhe go&#x0364;nnt.</p><lb/>
            <p>Wem es al&#x017F;o darum zu thun i&#x017F;t, &#x017F;einer Ein-<lb/>
bildungskraft einen Schatz zu &#x017F;ammeln, der ihn nie<lb/>
freudenarm la&#x017F;&#x017F;e; der verjage aus &#x017F;einem Herzen<lb/>
jede unma&#x0364;ßige, pra&#x0364;tendirende, unruhige Leiden-<lb/>
&#x017F;chaft.</p><lb/>
            <p>Ja ihr &#x017F;tolzen, herr&#x017F;ch&#x017F;u&#x0364;chtigen, alles begeh-<lb/>
renden Leiden&#x017F;chaften, ihr &#x017F;eyd die Mo&#x0364;rder der<lb/>
Ruhe und Freude des Men&#x017F;chen! Wenn aus<lb/>
dem ruhig gewordnen Herzen die &#x017F;anften Bilder<lb/>
der Freude und Zufriedenheit in die Phanta&#x017F;ie<lb/>
&#x017F;chweben; ach wie bald, wie bald zer&#x017F;treut &#x017F;ie<lb/>
wieder euer verzehrender Sturm, daß der von euch<lb/>
Gequa&#x0364;lte ja nur Minuten lang glu&#x0364;ck&#x017F;elig werde.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Da</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0294] So trinke denn aus dieſer reichen Quelle der Gluͤckſeligkeit, welche mit den Quellen der Freund- ſchaft, Liebe und Wiſſenſchaft unverſiegbar fuͤr dich ſtroͤmt, trinke und naͤhre deine Phantaſie aus derſelben. Aber, wenn du dieſes thun willſt, mußt du auch bemuͤht ſeyn, ihr Geſchmack dar- an zu verſchaffen, und ſie geſund zu be- wahren. So Mancher moͤchte gern die Freudenblumen, die auf dem Wege des Lebens dem Pilger laͤcheln, pfluͤcken und genießen; aber er koͤmmt nie zum Genuß, weil der Sturm der Leidenſchaft ihm kei- ne Ruhe goͤnnt. Wem es alſo darum zu thun iſt, ſeiner Ein- bildungskraft einen Schatz zu ſammeln, der ihn nie freudenarm laſſe; der verjage aus ſeinem Herzen jede unmaͤßige, praͤtendirende, unruhige Leiden- ſchaft. Ja ihr ſtolzen, herrſchſuͤchtigen, alles begeh- renden Leidenſchaften, ihr ſeyd die Moͤrder der Ruhe und Freude des Menſchen! Wenn aus dem ruhig gewordnen Herzen die ſanften Bilder der Freude und Zufriedenheit in die Phantaſie ſchweben; ach wie bald, wie bald zerſtreut ſie wieder euer verzehrender Sturm, daß der von euch Gequaͤlte ja nur Minuten lang gluͤckſelig werde. Da

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/294
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/294>, abgerufen am 21.11.2024.