Nein, sie sind zur Ruhe und ewigen Glückselig- keit hinübergeschlummert.
Wohl dem, der Religion im Herzen hat! Jhm wird es leicht, an allen Dingen eine gute Seite aufzufinden; denn auch das bitterste Leiden drückt ihn nicht zu Boden, weil er überzeugt ist, daß er unter der Vorsehung eines gütigen Vaters steht, welcher alles zum Besten zu kehren Willen und Macht hat und in jedem Seufzer der Weh- muth den Saamen zukünftiger Wonne verbirgt.
Unaussprechlich rührend und erhaben ist die Gottergebenheit und die Selbstberuhigung Na- thans, in unsers unsterblichen Lessings eben ge- nannten Gedichte, welches dieser einzigen Stelle wegen schon einer Ewigkeit werth ist.
Nathan hat in Gath, wo die Christen alle Juden mit Weib und Kind ermordet hatten, auch sein geliebtes Weib und sieben hofnungsvolle Söh- ne verloren. Sie waren, sich zu retten, nach Gath geflohn, und mußten, wo sie Rettung zu finden glaubten, verbrennen. Drey Tage und Nächte lag Nathan, der Weib- und Kinderlose, in Staub und Asche vor Gott und weinte; rech- tete beyher auch wohl mit Gott und zürnte und verwünschte die Welt, und schwor der Christenheit den unversöhnlichsten Haß. Aber dies that Na- than der Weise nicht länger, als das Leiden ihn seines Bewußtseyns beraubte, und seiner selbst
ver-
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Nein, ſie ſind zur Ruhe und ewigen Gluͤckſelig- keit hinuͤbergeſchlummert.
Wohl dem, der Religion im Herzen hat! Jhm wird es leicht, an allen Dingen eine gute Seite aufzufinden; denn auch das bitterſte Leiden druͤckt ihn nicht zu Boden, weil er uͤberzeugt iſt, daß er unter der Vorſehung eines guͤtigen Vaters ſteht, welcher alles zum Beſten zu kehren Willen und Macht hat und in jedem Seufzer der Weh- muth den Saamen zukuͤnftiger Wonne verbirgt.
Unausſprechlich ruͤhrend und erhaben iſt die Gottergebenheit und die Selbſtberuhigung Na- thans, in unſers unſterblichen Leſſings eben ge- nannten Gedichte, welches dieſer einzigen Stelle wegen ſchon einer Ewigkeit werth iſt.
Nathan hat in Gath, wo die Chriſten alle Juden mit Weib und Kind ermordet hatten, auch ſein geliebtes Weib und ſieben hofnungsvolle Soͤh- ne verloren. Sie waren, ſich zu retten, nach Gath geflohn, und mußten, wo ſie Rettung zu finden glaubten, verbrennen. Drey Tage und Naͤchte lag Nathan, der Weib- und Kinderloſe, in Staub und Aſche vor Gott und weinte; rech- tete beyher auch wohl mit Gott und zuͤrnte und verwuͤnſchte die Welt, und ſchwor der Chriſtenheit den unverſoͤhnlichſten Haß. Aber dies that Na- than der Weiſe nicht laͤnger, als das Leiden ihn ſeines Bewußtſeyns beraubte, und ſeiner ſelbſt
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Nein, ſie ſind zur Ruhe und ewigen Gluͤckſelig-
keit hinuͤbergeſchlummert.
Wohl dem, der Religion im Herzen hat!
Jhm wird es leicht, an allen Dingen eine gute
Seite aufzufinden; denn auch das bitterſte Leiden
druͤckt ihn nicht zu Boden, weil er uͤberzeugt iſt,
daß er unter der Vorſehung eines guͤtigen Vaters
ſteht, welcher alles zum Beſten zu kehren Willen
und Macht hat und in jedem Seufzer der Weh-
muth den Saamen zukuͤnftiger Wonne verbirgt.
Unausſprechlich ruͤhrend und erhaben iſt die
Gottergebenheit und die Selbſtberuhigung Na-
thans, in unſers unſterblichen Leſſings eben ge-
nannten Gedichte, welches dieſer einzigen Stelle
wegen ſchon einer Ewigkeit werth iſt.
Nathan hat in Gath, wo die Chriſten alle
Juden mit Weib und Kind ermordet hatten, auch
ſein geliebtes Weib und ſieben hofnungsvolle Soͤh-
ne verloren. Sie waren, ſich zu retten, nach
Gath geflohn, und mußten, wo ſie Rettung zu
finden glaubten, verbrennen. Drey Tage und
Naͤchte lag Nathan, der Weib- und Kinderloſe,
in Staub und Aſche vor Gott und weinte; rech-
tete beyher auch wohl mit Gott und zuͤrnte und
verwuͤnſchte die Welt, und ſchwor der Chriſtenheit
den unverſoͤhnlichſten Haß. Aber dies that Na-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/301>, abgerufen am 16.02.2025.
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