Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.angenehme Reise wird nach der Zurückkunft noch Ver- Phantasie allein wirken läßt, so mahlt sie sich ihre
Bilder mit den grellesten Farben und völlig einarti- gen Zügen; die unangenehmen fürchterlich, die an- genehmen reizend: alles was seyn könnte, stellt sie als wirklich vor; entfernt alles, was nicht mit der Grundfarbe ihrer Vorstellungen zusammenstimmt, und mahlt alles nach den Neigungen, Launen und Wünschen des Subjekts aus. Es ist daher den Trüb- sinnigen und Melancholischen das beständige Allein- seyn sehr gefährlich, weil da nichts so leicht ihre Einbildungskraft von den Bildern, die ihre Trau- rigkeit und Schwermuth erschafft, abziehen kann. -- Es ist daher kein Verführer glücklicher als derjenige, welcher den Gegenstand, für den er jemand gewin- nen will, nicht mit Augen sehen, sondern von der Phantasie errathen und ausmahlen läßt. Nach dieser Theorie verfahren die Pariser Kupp- lerinnen, um in ihrem Geschäffte desto glücklicher zu seyn. Herr Rath Schultze, welcher in seinen vortrefflichen Werken, womit er uns beschenkt hat, so viele wichtige Beyträge zur Psychologie (die über- haupt nicht aus Compendien, wie sie bis itzt wenig- stens waren, sondern aus Erfahrung und Geschichte erlernt werden muß) liefert, erzählt die Verfah- rungsart dieser Verführerinnen, in dem sechsten Briefe seines Meisterwerks über Paris und die Pa- riser: Sie angenehme Reiſe wird nach der Zuruͤckkunft noch Ver- Phantaſie allein wirken laͤßt, ſo mahlt ſie ſich ihre
Bilder mit den grelleſten Farben und voͤllig einarti- gen Zuͤgen; die unangenehmen fuͤrchterlich, die an- genehmen reizend: alles was ſeyn koͤnnte, ſtellt ſie als wirklich vor; entfernt alles, was nicht mit der Grundfarbe ihrer Vorſtellungen zuſammenſtimmt, und mahlt alles nach den Neigungen, Launen und Wuͤnſchen des Subjekts aus. Es iſt daher den Truͤb- ſinnigen und Melancholiſchen das beſtaͤndige Allein- ſeyn ſehr gefaͤhrlich, weil da nichts ſo leicht ihre Einbildungskraft von den Bildern, die ihre Trau- rigkeit und Schwermuth erſchafft, abziehen kann. — Es iſt daher kein Verfuͤhrer gluͤcklicher als derjenige, welcher den Gegenſtand, fuͤr den er jemand gewin- nen will, nicht mit Augen ſehen, ſondern von der Phantaſie errathen und ausmahlen laͤßt. Nach dieſer Theorie verfahren die Pariſer Kupp- lerinnen, um in ihrem Geſchaͤffte deſto gluͤcklicher zu ſeyn. Herr Rath Schultze, welcher in ſeinen vortrefflichen Werken, womit er uns beſchenkt hat, ſo viele wichtige Beytraͤge zur Pſychologie (die uͤber- haupt nicht aus Compendien, wie ſie bis itzt wenig- ſtens waren, ſondern aus Erfahrung und Geſchichte erlernt werden muß) liefert, erzaͤhlt die Verfah- rungsart dieſer Verfuͤhrerinnen, in dem ſechsten Briefe ſeines Meiſterwerks uͤber Paris und die Pa- riſer: Sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0060" n="36"/> angenehme Reiſe wird nach der Zuruͤckkunft noch<lb/> oft der Stoff der Unterhaltungen, und uͤber den<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ver-</fw><lb/><note next="#seg2pn_2_3" xml:id="seg2pn_2_2" prev="#seg2pn_2_1" place="foot" n="*)"><p>Phantaſie allein wirken laͤßt, ſo mahlt ſie ſich ihre<lb/> Bilder mit den grelleſten Farben und voͤllig einarti-<lb/> gen Zuͤgen; die unangenehmen <hi rendition="#fr">fuͤrchterlich</hi>, die an-<lb/> genehmen <hi rendition="#fr">reizend</hi>: alles was ſeyn koͤnnte, ſtellt ſie<lb/> als <hi rendition="#fr">wirklich</hi> vor; entfernt alles, was nicht mit der<lb/> Grundfarbe ihrer Vorſtellungen zuſammenſtimmt,<lb/> und mahlt alles nach den Neigungen, Launen und<lb/> Wuͤnſchen des Subjekts aus. Es iſt daher den Truͤb-<lb/> ſinnigen und Melancholiſchen das beſtaͤndige Allein-<lb/> ſeyn ſehr gefaͤhrlich, weil da nichts ſo leicht ihre<lb/> Einbildungskraft von den Bildern, die ihre Trau-<lb/> rigkeit und Schwermuth erſchafft, abziehen kann. —<lb/> Es iſt daher kein Verfuͤhrer gluͤcklicher als derjenige,<lb/> welcher den Gegenſtand, fuͤr den er jemand gewin-<lb/> nen will, nicht mit Augen ſehen, ſondern von der<lb/> Phantaſie errathen und ausmahlen laͤßt.</p><lb/><p>Nach dieſer Theorie verfahren die Pariſer Kupp-<lb/> lerinnen, um in ihrem Geſchaͤffte deſto gluͤcklicher<lb/> zu ſeyn. Herr Rath Schultze, welcher in ſeinen<lb/> vortrefflichen Werken, womit er uns beſchenkt hat,<lb/> ſo viele wichtige Beytraͤge zur Pſychologie (die uͤber-<lb/> haupt nicht aus Compendien, wie ſie bis itzt wenig-<lb/> ſtens waren, ſondern aus Erfahrung und Geſchichte<lb/> erlernt werden muß) liefert, erzaͤhlt die Verfah-<lb/> rungsart dieſer Verfuͤhrerinnen, in dem ſechsten<lb/> Briefe ſeines Meiſterwerks uͤber Paris und die Pa-<lb/> riſer:</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Sie</fw></note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0060]
angenehme Reiſe wird nach der Zuruͤckkunft noch
oft der Stoff der Unterhaltungen, und uͤber den
Ver-
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*) Phantaſie allein wirken laͤßt, ſo mahlt ſie ſich ihre
Bilder mit den grelleſten Farben und voͤllig einarti-
gen Zuͤgen; die unangenehmen fuͤrchterlich, die an-
genehmen reizend: alles was ſeyn koͤnnte, ſtellt ſie
als wirklich vor; entfernt alles, was nicht mit der
Grundfarbe ihrer Vorſtellungen zuſammenſtimmt,
und mahlt alles nach den Neigungen, Launen und
Wuͤnſchen des Subjekts aus. Es iſt daher den Truͤb-
ſinnigen und Melancholiſchen das beſtaͤndige Allein-
ſeyn ſehr gefaͤhrlich, weil da nichts ſo leicht ihre
Einbildungskraft von den Bildern, die ihre Trau-
rigkeit und Schwermuth erſchafft, abziehen kann. —
Es iſt daher kein Verfuͤhrer gluͤcklicher als derjenige,
welcher den Gegenſtand, fuͤr den er jemand gewin-
nen will, nicht mit Augen ſehen, ſondern von der
Phantaſie errathen und ausmahlen laͤßt.
Nach dieſer Theorie verfahren die Pariſer Kupp-
lerinnen, um in ihrem Geſchaͤffte deſto gluͤcklicher
zu ſeyn. Herr Rath Schultze, welcher in ſeinen
vortrefflichen Werken, womit er uns beſchenkt hat,
ſo viele wichtige Beytraͤge zur Pſychologie (die uͤber-
haupt nicht aus Compendien, wie ſie bis itzt wenig-
ſtens waren, ſondern aus Erfahrung und Geſchichte
erlernt werden muß) liefert, erzaͤhlt die Verfah-
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Zitationshilfe: | Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/60>, abgerufen am 16.02.2025. |