Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Wer die Ehre werth hält, was sie erhalten
kann, thut, und was sie vernichten kann, mei-
det, hat Ehrliebe; eine derjenigen Triebfedern
des Herzens, welche die Bewegungsgründe der
moralischen Vernunft am meisten beleben, und
am treusten unterstützen können. Ehrliebe macht
auf sich selbst aufmerksam, und treibt zu fortge-
setzter eifriger Bildung an. Sie unterstützt die
edlen Triebe nach Thätigkeit und Freyheit, und
hilft der Vernunft sie auf würdige Gegenstände
hinleiten. Sie befördert die Achtung vor sich
selbst, und hält das Ohr offen für die Stimme
des innern Richters über Verdienst und Schuld.
Der Ehrliebende ist ein sichrer Verwahrer des an-
vertrauten Gutes, ein treuer Ausführer des ge-
gebnen Auftrags, ein eifriger Unterstützer und
Befördrer des Jnteresse, zu welchem man sich mit
ihm verbunden hat. Jn seinen Handlungen sticht
nicht sowohl die Furcht, seine Ehre zu verlieren,
denn dafür sichert ihn sein Selbstgefühl -- als
vielmehr der Eyfer dieselbe zu erhalten und zu be-
reichern, hervor -- und alles, was er sagt und
thut, hat die Farbe des Adels seiner Seele. Er
ist vorzüglich zu den Tugenden, welche die Größe
der Seele ausmachen, geneigt: die Vertheidigung
der Unterdrückten ist ihm eine Freude, ihre Ret-
tung eine Wonne. Er kann großmüthig seyn;
wird die Beleidigung eines Nichtswürdigen ver-

achten

Wer die Ehre werth haͤlt, was ſie erhalten
kann, thut, und was ſie vernichten kann, mei-
det, hat Ehrliebe; eine derjenigen Triebfedern
des Herzens, welche die Bewegungsgruͤnde der
moraliſchen Vernunft am meiſten beleben, und
am treuſten unterſtuͤtzen koͤnnen. Ehrliebe macht
auf ſich ſelbſt aufmerkſam, und treibt zu fortge-
ſetzter eifriger Bildung an. Sie unterſtuͤtzt die
edlen Triebe nach Thaͤtigkeit und Freyheit, und
hilft der Vernunft ſie auf wuͤrdige Gegenſtaͤnde
hinleiten. Sie befoͤrdert die Achtung vor ſich
ſelbſt, und haͤlt das Ohr offen fuͤr die Stimme
des innern Richters uͤber Verdienſt und Schuld.
Der Ehrliebende iſt ein ſichrer Verwahrer des an-
vertrauten Gutes, ein treuer Ausfuͤhrer des ge-
gebnen Auftrags, ein eifriger Unterſtuͤtzer und
Befoͤrdrer des Jntereſſe, zu welchem man ſich mit
ihm verbunden hat. Jn ſeinen Handlungen ſticht
nicht ſowohl die Furcht, ſeine Ehre zu verlieren,
denn dafuͤr ſichert ihn ſein Selbſtgefuͤhl — als
vielmehr der Eyfer dieſelbe zu erhalten und zu be-
reichern, hervor — und alles, was er ſagt und
thut, hat die Farbe des Adels ſeiner Seele. Er
iſt vorzuͤglich zu den Tugenden, welche die Groͤße
der Seele ausmachen, geneigt: die Vertheidigung
der Unterdruͤckten iſt ihm eine Freude, ihre Ret-
tung eine Wonne. Er kann großmuͤthig ſeyn;
wird die Beleidigung eines Nichtswuͤrdigen ver-

achten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0100" n="384"/>
        <p>Wer die Ehre werth ha&#x0364;lt, was &#x017F;ie erhalten<lb/>
kann, thut, und was &#x017F;ie vernichten kann, mei-<lb/>
det, hat <hi rendition="#b">Ehrliebe</hi>; eine derjenigen Triebfedern<lb/>
des Herzens, welche die Bewegungsgru&#x0364;nde der<lb/>
morali&#x017F;chen Vernunft am mei&#x017F;ten beleben, und<lb/>
am treu&#x017F;ten unter&#x017F;tu&#x0364;tzen ko&#x0364;nnen. <hi rendition="#b">Ehrliebe</hi> macht<lb/>
auf &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t aufmerk&#x017F;am, und treibt zu fortge-<lb/>
&#x017F;etzter eifriger Bildung an. Sie unter&#x017F;tu&#x0364;tzt die<lb/>
edlen Triebe nach Tha&#x0364;tigkeit und Freyheit, und<lb/>
hilft der Vernunft &#x017F;ie auf wu&#x0364;rdige Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
hinleiten. Sie befo&#x0364;rdert die Achtung vor &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, und ha&#x0364;lt das Ohr offen fu&#x0364;r die Stimme<lb/>
des innern Richters u&#x0364;ber Verdien&#x017F;t und Schuld.<lb/>
Der Ehrliebende i&#x017F;t ein &#x017F;ichrer Verwahrer des an-<lb/>
vertrauten Gutes, ein treuer Ausfu&#x0364;hrer des ge-<lb/>
gebnen Auftrags, ein eifriger Unter&#x017F;tu&#x0364;tzer und<lb/>
Befo&#x0364;rdrer des Jntere&#x017F;&#x017F;e, zu welchem man &#x017F;ich mit<lb/>
ihm verbunden hat. Jn &#x017F;einen Handlungen &#x017F;ticht<lb/>
nicht &#x017F;owohl die Furcht, &#x017F;eine Ehre zu verlieren,<lb/>
denn dafu&#x0364;r &#x017F;ichert ihn &#x017F;ein Selb&#x017F;tgefu&#x0364;hl &#x2014; als<lb/>
vielmehr der Eyfer die&#x017F;elbe zu erhalten und zu be-<lb/>
reichern, hervor &#x2014; und alles, was er &#x017F;agt und<lb/>
thut, hat die Farbe des Adels &#x017F;einer Seele. Er<lb/>
i&#x017F;t vorzu&#x0364;glich zu den Tugenden, welche die Gro&#x0364;ße<lb/>
der Seele ausmachen, geneigt: die Vertheidigung<lb/>
der Unterdru&#x0364;ckten i&#x017F;t ihm eine Freude, ihre Ret-<lb/>
tung eine Wonne. Er kann großmu&#x0364;thig &#x017F;eyn;<lb/>
wird die Beleidigung eines Nichtswu&#x0364;rdigen ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">achten</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[384/0100] Wer die Ehre werth haͤlt, was ſie erhalten kann, thut, und was ſie vernichten kann, mei- det, hat Ehrliebe; eine derjenigen Triebfedern des Herzens, welche die Bewegungsgruͤnde der moraliſchen Vernunft am meiſten beleben, und am treuſten unterſtuͤtzen koͤnnen. Ehrliebe macht auf ſich ſelbſt aufmerkſam, und treibt zu fortge- ſetzter eifriger Bildung an. Sie unterſtuͤtzt die edlen Triebe nach Thaͤtigkeit und Freyheit, und hilft der Vernunft ſie auf wuͤrdige Gegenſtaͤnde hinleiten. Sie befoͤrdert die Achtung vor ſich ſelbſt, und haͤlt das Ohr offen fuͤr die Stimme des innern Richters uͤber Verdienſt und Schuld. Der Ehrliebende iſt ein ſichrer Verwahrer des an- vertrauten Gutes, ein treuer Ausfuͤhrer des ge- gebnen Auftrags, ein eifriger Unterſtuͤtzer und Befoͤrdrer des Jntereſſe, zu welchem man ſich mit ihm verbunden hat. Jn ſeinen Handlungen ſticht nicht ſowohl die Furcht, ſeine Ehre zu verlieren, denn dafuͤr ſichert ihn ſein Selbſtgefuͤhl — als vielmehr der Eyfer dieſelbe zu erhalten und zu be- reichern, hervor — und alles, was er ſagt und thut, hat die Farbe des Adels ſeiner Seele. Er iſt vorzuͤglich zu den Tugenden, welche die Groͤße der Seele ausmachen, geneigt: die Vertheidigung der Unterdruͤckten iſt ihm eine Freude, ihre Ret- tung eine Wonne. Er kann großmuͤthig ſeyn; wird die Beleidigung eines Nichtswuͤrdigen ver- achten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/100
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/100>, abgerufen am 09.11.2024.