Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

nen angenehmer, als ein Jahr, welches ihre
Scheuren füllt, und die Fruchtbarkeit ihres Vie-
hes. Die Freuden sind ihnen willkommen, wel-
che nichts kosten; sollen sie selbst Geld darauf
verwenden, so nimmt der Schmerz über die Aus-
gabe ihren Freuden alles Angenehme. Täglich
ermahnen sie Gatten und Kinder und Gesinde,
wirthschaftlich und sparsam zu seyn, damit sie
nicht in der Zukunft darben müßten. Wer von
ihnen leihen will, erhält statt des Geldes, Be-
weise ihres Unvermögens, ihm zu dienen, und
hört Geseufze und Klagen über die magern Zei-
ten: nur, wenn er eine ganz sichre Bürgschaft
leisten kann, überwinden sie sich, ihm etwas zu
borgen, doch nicht ohne die Versichrung, daß sie
es nur aus besondrer Freundschaft gegen ihn und
christlicher Liebe thäten*). Jhr Schuldner zu

seyn,
sellschaft meine Verwunderung darüber zu erkennen.
Ja, antwortete er mir, es ist wahr: er handelt
nicht recht; aber sie können es ihm nicht verdenken,
daß er aufgebracht ist; denn heute Mittag hat ein
Marqueur sein Kleid mit Brühe begossen.!
*) Herr Simon bittet in Moliers l'Avare den Harpa-
gon, einem jungen Manne eine Geldsumme zu bor-
gen. Ja, fragt Harpagon, hat man bey ihm
auch nichts zu risqniren? -- Als ihm Simon ver-
sichert, daß er von sehr reicher Familie sey, und
schon seine Mutter verloren, erwacht das Pflichtge-
fühl

nen angenehmer, als ein Jahr, welches ihre
Scheuren fuͤllt, und die Fruchtbarkeit ihres Vie-
hes. Die Freuden ſind ihnen willkommen, wel-
che nichts koſten; ſollen ſie ſelbſt Geld darauf
verwenden, ſo nimmt der Schmerz uͤber die Aus-
gabe ihren Freuden alles Angenehme. Taͤglich
ermahnen ſie Gatten und Kinder und Geſinde,
wirthſchaftlich und ſparſam zu ſeyn, damit ſie
nicht in der Zukunft darben muͤßten. Wer von
ihnen leihen will, erhaͤlt ſtatt des Geldes, Be-
weiſe ihres Unvermoͤgens, ihm zu dienen, und
hoͤrt Geſeufze und Klagen uͤber die magern Zei-
ten: nur, wenn er eine ganz ſichre Buͤrgſchaft
leiſten kann, uͤberwinden ſie ſich, ihm etwas zu
borgen, doch nicht ohne die Verſichrung, daß ſie
es nur aus beſondrer Freundſchaft gegen ihn und
chriſtlicher Liebe thaͤten*). Jhr Schuldner zu

ſeyn,
ſellſchaft meine Verwunderung daruͤber zu erkennen.
Ja, antwortete er mir, es iſt wahr: er handelt
nicht recht; aber ſie koͤnnen es ihm nicht verdenken,
daß er aufgebracht iſt; denn heute Mittag hat ein
Marqueur ſein Kleid mit Bruͤhe begoſſen.!
*) Herr Simon bittet in Moliers l'Avare den Harpa-
gon, einem jungen Manne eine Geldſumme zu bor-
gen. Ja, fragt Harpagon, hat man bey ihm
auch nichts zu riſqniren? — Als ihm Simon ver-
ſichert, daß er von ſehr reicher Familie ſey, und
ſchon ſeine Mutter verloren, erwacht das Pflichtge-
fuͤhl
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0194" n="478"/>
nen angenehmer, als ein Jahr, welches ihre<lb/>
Scheuren fu&#x0364;llt, und die Fruchtbarkeit ihres Vie-<lb/>
hes. <hi rendition="#b">Die</hi> Freuden &#x017F;ind ihnen willkommen, wel-<lb/>
che nichts ko&#x017F;ten; &#x017F;ollen &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t Geld darauf<lb/>
verwenden, &#x017F;o nimmt der Schmerz u&#x0364;ber die Aus-<lb/>
gabe ihren Freuden alles Angenehme. Ta&#x0364;glich<lb/>
ermahnen &#x017F;ie Gatten und Kinder und Ge&#x017F;inde,<lb/>
wirth&#x017F;chaftlich und &#x017F;par&#x017F;am zu &#x017F;eyn, damit &#x017F;ie<lb/>
nicht in der Zukunft darben mu&#x0364;ßten. Wer von<lb/>
ihnen leihen will, erha&#x0364;lt &#x017F;tatt des Geldes, Be-<lb/>
wei&#x017F;e ihres Unvermo&#x0364;gens, ihm zu dienen, und<lb/>
ho&#x0364;rt Ge&#x017F;eufze und Klagen u&#x0364;ber die magern Zei-<lb/>
ten: nur, wenn er eine ganz &#x017F;ichre Bu&#x0364;rg&#x017F;chaft<lb/>
lei&#x017F;ten kann, u&#x0364;berwinden &#x017F;ie &#x017F;ich, ihm etwas zu<lb/>
borgen, doch nicht ohne die Ver&#x017F;ichrung, daß &#x017F;ie<lb/>
es nur aus be&#x017F;ondrer Freund&#x017F;chaft gegen ihn und<lb/>
chri&#x017F;tlicher Liebe tha&#x0364;ten<note xml:id="seg2pn_17_1" next="#seg2pn_17_2" place="foot" n="*)">Herr Simon bittet in <hi rendition="#aq">Moliers l'Avare</hi> den Harpa-<lb/>
gon, einem jungen Manne eine Geld&#x017F;umme zu bor-<lb/>
gen. Ja, fragt Harpagon, hat man bey ihm<lb/>
auch nichts zu ri&#x017F;qniren? &#x2014; Als ihm Simon ver-<lb/>
&#x017F;ichert, daß er von &#x017F;ehr reicher Familie &#x017F;ey, und<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;eine Mutter verloren, erwacht das Pflichtge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;hl</fw></note>. Jhr Schuldner zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;eyn,</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_16_2" prev="#seg2pn_16_1" place="foot" n="*)">&#x017F;ell&#x017F;chaft meine Verwunderung daru&#x0364;ber zu erkennen.<lb/>
Ja, antwortete er mir, es i&#x017F;t wahr: er handelt<lb/>
nicht recht; aber &#x017F;ie ko&#x0364;nnen es ihm nicht verdenken,<lb/>
daß er aufgebracht i&#x017F;t; denn heute Mittag hat ein<lb/>
Marqueur &#x017F;ein <hi rendition="#fr">Kleid</hi> mit <hi rendition="#fr">Bru&#x0364;he bego&#x017F;&#x017F;en</hi>.!</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[478/0194] nen angenehmer, als ein Jahr, welches ihre Scheuren fuͤllt, und die Fruchtbarkeit ihres Vie- hes. Die Freuden ſind ihnen willkommen, wel- che nichts koſten; ſollen ſie ſelbſt Geld darauf verwenden, ſo nimmt der Schmerz uͤber die Aus- gabe ihren Freuden alles Angenehme. Taͤglich ermahnen ſie Gatten und Kinder und Geſinde, wirthſchaftlich und ſparſam zu ſeyn, damit ſie nicht in der Zukunft darben muͤßten. Wer von ihnen leihen will, erhaͤlt ſtatt des Geldes, Be- weiſe ihres Unvermoͤgens, ihm zu dienen, und hoͤrt Geſeufze und Klagen uͤber die magern Zei- ten: nur, wenn er eine ganz ſichre Buͤrgſchaft leiſten kann, uͤberwinden ſie ſich, ihm etwas zu borgen, doch nicht ohne die Verſichrung, daß ſie es nur aus beſondrer Freundſchaft gegen ihn und chriſtlicher Liebe thaͤten *). Jhr Schuldner zu ſeyn, *) *) Herr Simon bittet in Moliers l'Avare den Harpa- gon, einem jungen Manne eine Geldſumme zu bor- gen. Ja, fragt Harpagon, hat man bey ihm auch nichts zu riſqniren? — Als ihm Simon ver- ſichert, daß er von ſehr reicher Familie ſey, und ſchon ſeine Mutter verloren, erwacht das Pflichtge- fuͤhl *) ſellſchaft meine Verwunderung daruͤber zu erkennen. Ja, antwortete er mir, es iſt wahr: er handelt nicht recht; aber ſie koͤnnen es ihm nicht verdenken, daß er aufgebracht iſt; denn heute Mittag hat ein Marqueur ſein Kleid mit Bruͤhe begoſſen.!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/194
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/194>, abgerufen am 21.11.2024.