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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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geben, oder jemandem das Leben zu nehmen, der
es wagte, auf das unsrige einen Anschlag zu
machen*). --

Sehr rührend sind die Beyspiele der reinen
Menschenliebe und herzlichen Theilnehmung, wel-
che die Hottentotten gegen Herrn Vaillant und
einander selbst bewiesen.

Unter den Begleitern, welche unser Reise-
beschreiber aus der Capstadt mitgenommen hatte,
befand sich unter Andern ein Hottentotte, der
Klaas hieß. Einst gerieth Herr Vaillant auf
der Jagd in große Lebensgefahr. Ein verwunde-
ter Elephant wandte sich voll Wuth gegen ihn,
und jeder Augenblick schien das wüthende Unge-
heuer und den schrecklichsten Tod dem Fliehenden
näher zu bringen. Klaas wich nicht von der
Seite seines Herrn; aber ein Versteck, welchem
dieser sich wegen des immer näher kommenden
Elephanten anvertrauen mußte, entzog ihn den
Augen des treuen Gefährten. Unaufhörlich rief
Klaas den Namen seines Herrn, der nicht ant-
worten durfte, um das erzürnte Thür nicht zu
sich zu rufen; unaufhörlich jammerte er, ver-
wies seinen Mitbrüdern ihre feigherzige Flucht,
und sprach: "Macht ihr was ihr wollt -- ich
werde diesen Platz nicht verlassen, todt oder le-
bendig -- ich muß meinen unglücklichen Herrn

wieder
*) Das. 105.

geben, oder jemandem das Leben zu nehmen, der
es wagte, auf das unſrige einen Anſchlag zu
machen*). —

Sehr ruͤhrend ſind die Beyſpiele der reinen
Menſchenliebe und herzlichen Theilnehmung, wel-
che die Hottentotten gegen Herrn Vaillant und
einander ſelbſt bewieſen.

Unter den Begleitern, welche unſer Reiſe-
beſchreiber aus der Capſtadt mitgenommen hatte,
befand ſich unter Andern ein Hottentotte, der
Klaas hieß. Einſt gerieth Herr Vaillant auf
der Jagd in große Lebensgefahr. Ein verwunde-
ter Elephant wandte ſich voll Wuth gegen ihn,
und jeder Augenblick ſchien das wuͤthende Unge-
heuer und den ſchrecklichſten Tod dem Fliehenden
naͤher zu bringen. Klaas wich nicht von der
Seite ſeines Herrn; aber ein Verſteck, welchem
dieſer ſich wegen des immer naͤher kommenden
Elephanten anvertrauen mußte, entzog ihn den
Augen des treuen Gefaͤhrten. Unaufhoͤrlich rief
Klaas den Namen ſeines Herrn, der nicht ant-
worten durfte, um das erzuͤrnte Thuͤr nicht zu
ſich zu rufen; unaufhoͤrlich jammerte er, ver-
wies ſeinen Mitbruͤdern ihre feigherzige Flucht,
und ſprach: „Macht ihr was ihr wollt — ich
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bendig — ich muß meinen ungluͤcklichen Herrn

wieder
*) Daſ. 105.
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[502/0218] geben, oder jemandem das Leben zu nehmen, der es wagte, auf das unſrige einen Anſchlag zu machen *). — Sehr ruͤhrend ſind die Beyſpiele der reinen Menſchenliebe und herzlichen Theilnehmung, wel- che die Hottentotten gegen Herrn Vaillant und einander ſelbſt bewieſen. Unter den Begleitern, welche unſer Reiſe- beſchreiber aus der Capſtadt mitgenommen hatte, befand ſich unter Andern ein Hottentotte, der Klaas hieß. Einſt gerieth Herr Vaillant auf der Jagd in große Lebensgefahr. Ein verwunde- ter Elephant wandte ſich voll Wuth gegen ihn, und jeder Augenblick ſchien das wuͤthende Unge- heuer und den ſchrecklichſten Tod dem Fliehenden naͤher zu bringen. Klaas wich nicht von der Seite ſeines Herrn; aber ein Verſteck, welchem dieſer ſich wegen des immer naͤher kommenden Elephanten anvertrauen mußte, entzog ihn den Augen des treuen Gefaͤhrten. Unaufhoͤrlich rief Klaas den Namen ſeines Herrn, der nicht ant- worten durfte, um das erzuͤrnte Thuͤr nicht zu ſich zu rufen; unaufhoͤrlich jammerte er, ver- wies ſeinen Mitbruͤdern ihre feigherzige Flucht, und ſprach: „Macht ihr was ihr wollt — ich werde dieſen Platz nicht verlaſſen, todt oder le- bendig — ich muß meinen ungluͤcklichen Herrn wieder *) Daſ. 105.

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/218>, abgerufen am 24.11.2024.