Philipp, dessen Verstand der Pfaffentrug eines Domingo verblendet, und dessen Herz die Rauhigkeit eines Alba verhärtet hatte, versteht die Himmelssprache seines edlen Sohnes nicht. Die lebhaften Aeußerungen seines feurigsten Wunsches sind ihm Gaukelspiel, die Thränen des um Va- terliebe flehenden Sohnes ein unwürdiger Anblick. Mit unnatürlicher Härte und bittern, lügenhaften Vorwürfen stößt er den Prinzen von sich. Die- ser, von dem hohen Enthusiasmus seines Herzens geweihet, vertauscht in den ersten Momenten des verabscheuenden Erstaunens, den Sohn mit dem ernsten Genius der Menschlichkeit.
Wer ist das? Durch welchen Mißverstand hat dieser Fremd- ling Zu Menschen sich verirrt? -- Die ewige Beglaubigung der Menschheit sind ja Thränen: Sein Aug ist trocken, ihn gebar kein Weib. Was Wollust aus der Marter preßt, was selbst Den Kummer neidenswürdig macht, den Menschen Noch einmal an den Himmel knüpft, und Engel Zur Sterblichkeit herunterlocken könnte, Des Weinens süße Freuden kennt er nicht.
Aber bald wird diese Sprache des ernsten Vorwurfs wieder von der Sprache des kindlichen
Ver-
Philipp, deſſen Verſtand der Pfaffentrug eines Domingo verblendet, und deſſen Herz die Rauhigkeit eines Alba verhaͤrtet hatte, verſteht die Himmelsſprache ſeines edlen Sohnes nicht. Die lebhaften Aeußerungen ſeines feurigſten Wunſches ſind ihm Gaukelſpiel, die Thraͤnen des um Va- terliebe flehenden Sohnes ein unwuͤrdiger Anblick. Mit unnatuͤrlicher Haͤrte und bittern, luͤgenhaften Vorwuͤrfen ſtoͤßt er den Prinzen von ſich. Die- ſer, von dem hohen Enthuſiasmus ſeines Herzens geweihet, vertauſcht in den erſten Momenten des verabſcheuenden Erſtaunens, den Sohn mit dem ernſten Genius der Menſchlichkeit.
Wer iſt das? Durch welchen Mißverſtand hat dieſer Fremd- ling Zu Menſchen ſich verirrt? — Die ewige Beglaubigung der Menſchheit ſind ja Thraͤnen: Sein Aug iſt trocken, ihn gebar kein Weib. Was Wolluſt aus der Marter preßt, was ſelbſt Den Kummer neidenswuͤrdig macht, den Menſchen Noch einmal an den Himmel knuͤpft, und Engel Zur Sterblichkeit herunterlocken koͤnnte, Des Weinens ſuͤße Freuden kennt er nicht.
Aber bald wird dieſe Sprache des ernſten Vorwurfs wieder von der Sprache des kindlichen
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Philipp, deſſen Verſtand der Pfaffentrug
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ſind ihm Gaukelſpiel, die Thraͤnen des um Va-
terliebe flehenden Sohnes ein unwuͤrdiger Anblick.
Mit unnatuͤrlicher Haͤrte und bittern, luͤgenhaften
Vorwuͤrfen ſtoͤßt er den Prinzen von ſich. Die-
ſer, von dem hohen Enthuſiasmus ſeines Herzens
geweihet, vertauſcht in den erſten Momenten des
verabſcheuenden Erſtaunens, den Sohn mit dem
ernſten Genius der Menſchlichkeit.
Wer iſt das?
Durch welchen Mißverſtand hat dieſer Fremd-
ling
Zu Menſchen ſich verirrt? — Die ewige
Beglaubigung der Menſchheit ſind ja Thraͤnen:
Sein Aug iſt trocken, ihn gebar kein Weib.
Was Wolluſt aus der Marter preßt, was ſelbſt
Den Kummer neidenswuͤrdig macht, den
Menſchen
Noch einmal an den Himmel knuͤpft, und Engel
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/292>, abgerufen am 22.11.2024.
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