wundere mich" und ich kein anderes Wort dafür in unsrer Sprache finde.
Man wundert sich über einen Knaben, der schon im sechsten Jahre Gedichte schreibt; über einen sonst sehr reizbaren und schwachen Jüng- ling, der einer verführerischen Versuchung wider- steht; über einen furchtsamen Mann, der laut für die Sache der Wahrheit spricht. An sich ist das, was wir an ihnen wahrnehmen, nichts über unsre Begriffe Erhabenes, daher es auch nicht Be- wunderung erzeugt; aber es ist doch etwas, was uns in diesen Verhältnissen groß erscheint, daher wir uns doch darüber wundern. Auch das Ge- behrdenspiel, welches dieser Affekt veranlaßt, ist aus dem der Bewunderung und Verwunderung zusammengesetzt. Zuerst auf einige Augenblicke das Staunen der Bewunderung, und zuletzt das Kopfwiegen oder Schütteln der Verwunderung. Zwischen diesem Staunen und Kopfwiegen pflegt sich gewöhnlich die Bewegung des Hauptes zu zei- gen, durch welche man Beyfall ausdrückt, und welche ich für die eigne Gebehrde der Wunderung halte. Das Staunen löst sich gewöhnlich in ein leises oder lautes ausgesprochenes hm, hm, das Kopfnicken in ein "ey, sieh einmal!" und das Kopfschütteln in ein "das hätte ich doch wahrlich nicht gedacht" auf.
Wenn
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wundere mich„ und ich kein anderes Wort dafuͤr in unſrer Sprache finde.
Man wundert ſich uͤber einen Knaben, der ſchon im ſechſten Jahre Gedichte ſchreibt; uͤber einen ſonſt ſehr reizbaren und ſchwachen Juͤng- ling, der einer verfuͤhreriſchen Verſuchung wider- ſteht; uͤber einen furchtſamen Mann, der laut fuͤr die Sache der Wahrheit ſpricht. An ſich iſt das, was wir an ihnen wahrnehmen, nichts uͤber unſre Begriffe Erhabenes, daher es auch nicht Be- wunderung erzeugt; aber es iſt doch etwas, was uns in dieſen Verhaͤltniſſen groß erſcheint, daher wir uns doch daruͤber wundern. Auch das Ge- behrdenſpiel, welches dieſer Affekt veranlaßt, iſt aus dem der Bewunderung und Verwunderung zuſammengeſetzt. Zuerſt auf einige Augenblicke das Staunen der Bewunderung, und zuletzt das Kopfwiegen oder Schuͤtteln der Verwunderung. Zwiſchen dieſem Staunen und Kopfwiegen pflegt ſich gewoͤhnlich die Bewegung des Hauptes zu zei- gen, durch welche man Beyfall ausdruͤckt, und welche ich fuͤr die eigne Gebehrde der Wunderung halte. Das Staunen loͤſt ſich gewoͤhnlich in ein leiſes oder lautes ausgeſprochenes hm, hm, das Kopfnicken in ein „ey, ſieh einmal!„ und das Kopfſchuͤtteln in ein „das haͤtte ich doch wahrlich nicht gedacht„ auf.
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wundere mich„ und ich kein anderes Wort dafuͤr
in unſrer Sprache finde.
Man wundert ſich uͤber einen Knaben, der
ſchon im ſechſten Jahre Gedichte ſchreibt; uͤber
einen ſonſt ſehr reizbaren und ſchwachen Juͤng-
ling, der einer verfuͤhreriſchen Verſuchung wider-
ſteht; uͤber einen furchtſamen Mann, der laut
fuͤr die Sache der Wahrheit ſpricht. An ſich iſt
das, was wir an ihnen wahrnehmen, nichts uͤber
unſre Begriffe Erhabenes, daher es auch nicht Be-
wunderung erzeugt; aber es iſt doch etwas, was
uns in dieſen Verhaͤltniſſen groß erſcheint, daher
wir uns doch daruͤber wundern. Auch das Ge-
behrdenſpiel, welches dieſer Affekt veranlaßt, iſt
aus dem der Bewunderung und Verwunderung
zuſammengeſetzt. Zuerſt auf einige Augenblicke
das Staunen der Bewunderung, und zuletzt das
Kopfwiegen oder Schuͤtteln der Verwunderung.
Zwiſchen dieſem Staunen und Kopfwiegen pflegt
ſich gewoͤhnlich die Bewegung des Hauptes zu zei-
gen, durch welche man Beyfall ausdruͤckt, und
welche ich fuͤr die eigne Gebehrde der Wunderung
halte. Das Staunen loͤſt ſich gewoͤhnlich in ein
leiſes oder lautes ausgeſprochenes hm, hm, das
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/311>, abgerufen am 22.11.2024.
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