Uebel danieder drückt. Schüchtern zieht er sich aus dem Umgang mit Menschen in seine einsame Kammer mit seiner Schwermuth zurück. Die Natur und die Welt haben keine Freuden mehr für ihn. Sein kraftloser Geist, seine lügenhafte Phantasie, sein nervenschwacher Körper, alles, alles vereinigt sich, ihn zu quälen. Aus den früh- sten Jahren seines Lebens ruft die Erinnerung die Leiden hervor, die ihn drückten, und um das Gemählde seines Elends ja recht schrecklich zu ma- chen, vergrößert seine Einbildungskraft die wirk- lichen Uebel, und erdichtet, wo sie nichts Wirkliches findet. Selbst den Glauben an Freundschaft entwendet ihm die schwarze Urheberin seiner Schwermuth. Er traut keinem Menschen, sich selber am wenigsten.
Aber auch starke Seelen können in Schwer- muth versinken, vorzüglich wenn ihre Hofnung auf Freude, auf Befreyung vom Uebel, schon oft getäuscht ist. O wie Mancher, mit einem edlen, freyen, herzlichen Sinne geboren, wurde durch die wiederhohlte Niederschlagung seines Ver- trauens auf die Menschen, seine Brüder, end- lich zurückgescheucht in seine einsame Celle, ohne seinem guten Willen für die Welt, die ihn nicht verstand, zu wirken, genug thun zu können! O wie Mancher, der lange und männlich den Leiden des Lebens widerstand, wurde endlich durch
ihre
Uebel danieder druͤckt. Schuͤchtern zieht er ſich aus dem Umgang mit Menſchen in ſeine einſame Kammer mit ſeiner Schwermuth zuruͤck. Die Natur und die Welt haben keine Freuden mehr fuͤr ihn. Sein kraftloſer Geiſt, ſeine luͤgenhafte Phantaſie, ſein nervenſchwacher Koͤrper, alles, alles vereinigt ſich, ihn zu quaͤlen. Aus den fruͤh- ſten Jahren ſeines Lebens ruft die Erinnerung die Leiden hervor, die ihn druͤckten, und um das Gemaͤhlde ſeines Elends ja recht ſchrecklich zu ma- chen, vergroͤßert ſeine Einbildungskraft die wirk- lichen Uebel, und erdichtet, wo ſie nichts Wirkliches findet. Selbſt den Glauben an Freundſchaft entwendet ihm die ſchwarze Urheberin ſeiner Schwermuth. Er traut keinem Menſchen, ſich ſelber am wenigſten.
Aber auch ſtarke Seelen koͤnnen in Schwer- muth verſinken, vorzuͤglich wenn ihre Hofnung auf Freude, auf Befreyung vom Uebel, ſchon oft getaͤuſcht iſt. O wie Mancher, mit einem edlen, freyen, herzlichen Sinne geboren, wurde durch die wiederhohlte Niederſchlagung ſeines Ver- trauens auf die Menſchen, ſeine Bruͤder, end- lich zuruͤckgeſcheucht in ſeine einſame Celle, ohne ſeinem guten Willen fuͤr die Welt, die ihn nicht verſtand, zu wirken, genug thun zu koͤnnen! O wie Mancher, der lange und maͤnnlich den Leiden des Lebens widerſtand, wurde endlich durch
ihre
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0324"n="608"/>
Uebel danieder druͤckt. Schuͤchtern zieht er ſich<lb/>
aus dem Umgang mit Menſchen in ſeine einſame<lb/>
Kammer mit ſeiner Schwermuth zuruͤck. Die<lb/>
Natur und die Welt haben keine Freuden mehr<lb/>
fuͤr ihn. Sein kraftloſer Geiſt, ſeine luͤgenhafte<lb/>
Phantaſie, ſein nervenſchwacher Koͤrper, alles,<lb/>
alles vereinigt ſich, ihn zu quaͤlen. Aus den fruͤh-<lb/>ſten Jahren ſeines Lebens ruft die Erinnerung die<lb/>
Leiden hervor, die ihn druͤckten, und um das<lb/>
Gemaͤhlde ſeines Elends ja recht ſchrecklich zu ma-<lb/>
chen, vergroͤßert ſeine Einbildungskraft die wirk-<lb/>
lichen Uebel, und erdichtet, wo ſie nichts Wirkliches<lb/>
findet. Selbſt den Glauben an Freundſchaft<lb/>
entwendet ihm die ſchwarze Urheberin ſeiner<lb/>
Schwermuth. Er traut keinem Menſchen, ſich<lb/>ſelber am wenigſten.</p><lb/><p>Aber auch ſtarke Seelen koͤnnen in Schwer-<lb/>
muth verſinken, vorzuͤglich wenn ihre Hofnung<lb/>
auf Freude, auf Befreyung vom Uebel, ſchon<lb/>
oft getaͤuſcht iſt. O wie Mancher, mit einem<lb/>
edlen, freyen, herzlichen Sinne geboren, wurde<lb/>
durch die wiederhohlte Niederſchlagung ſeines Ver-<lb/>
trauens auf die Menſchen, ſeine Bruͤder, end-<lb/>
lich zuruͤckgeſcheucht in ſeine einſame Celle, ohne<lb/>ſeinem guten Willen fuͤr die Welt, die ihn<lb/>
nicht verſtand, zu wirken, genug thun zu koͤnnen!<lb/>
O wie Mancher, der lange und maͤnnlich den<lb/>
Leiden des Lebens widerſtand, wurde endlich durch<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ihre</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[608/0324]
Uebel danieder druͤckt. Schuͤchtern zieht er ſich
aus dem Umgang mit Menſchen in ſeine einſame
Kammer mit ſeiner Schwermuth zuruͤck. Die
Natur und die Welt haben keine Freuden mehr
fuͤr ihn. Sein kraftloſer Geiſt, ſeine luͤgenhafte
Phantaſie, ſein nervenſchwacher Koͤrper, alles,
alles vereinigt ſich, ihn zu quaͤlen. Aus den fruͤh-
ſten Jahren ſeines Lebens ruft die Erinnerung die
Leiden hervor, die ihn druͤckten, und um das
Gemaͤhlde ſeines Elends ja recht ſchrecklich zu ma-
chen, vergroͤßert ſeine Einbildungskraft die wirk-
lichen Uebel, und erdichtet, wo ſie nichts Wirkliches
findet. Selbſt den Glauben an Freundſchaft
entwendet ihm die ſchwarze Urheberin ſeiner
Schwermuth. Er traut keinem Menſchen, ſich
ſelber am wenigſten.
Aber auch ſtarke Seelen koͤnnen in Schwer-
muth verſinken, vorzuͤglich wenn ihre Hofnung
auf Freude, auf Befreyung vom Uebel, ſchon
oft getaͤuſcht iſt. O wie Mancher, mit einem
edlen, freyen, herzlichen Sinne geboren, wurde
durch die wiederhohlte Niederſchlagung ſeines Ver-
trauens auf die Menſchen, ſeine Bruͤder, end-
lich zuruͤckgeſcheucht in ſeine einſame Celle, ohne
ſeinem guten Willen fuͤr die Welt, die ihn
nicht verſtand, zu wirken, genug thun zu koͤnnen!
O wie Mancher, der lange und maͤnnlich den
Leiden des Lebens widerſtand, wurde endlich durch
ihre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/324>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.