ertragen kann, der fährt mit dem Kopf in ein Bette, um beyde Sinne zugleich zu verwahren. -- Wiederum fliehet der, der einem von unten kom- menden Uebel, wie z. B. einer giftigen zischenden Schlange, ausweicht, mit weit in die Höhe ge- zogenen Beinen; hingegen wer gerade über seinem Haupt eine Gefahr sieht, und alles Entfliehen vergeblich glaubt, der drückt sich mit dem ganzen Körper zitternd nieder; gleich der Lerche, die beym Anblick des über ihr kreisenden Stoßvogels senk- recht in die Furche hinabfährt." Selbst wenn die gefürchteten oder schreckenden Gegenstände unsinnlich sind, z. B. verabscheuungswürdige Ge- danken, zeigt sich dieses Bemühen, sich vor den- selben zu verbergen. Wenn Medea in ihrer rachgierigen Wuth gegen Jason überlegt, wie sie ihm die tödtlichste, schmerzhafteste Wunde schlagen könne, und diese Ueberlegung sie zu dem schrecklichen Wunsch und der noch schrecklichern Frage führt: "Daß er schon Kinder von Kreu- sen hätte!" -- "Hat er nicht Kinder?" so führt sie gleichsam vor sich selbst mit verwandtem Angesichte, die Hände vorgeworfen und den Kör- per weit übergebogen zusammen, indem plötzlich die empörte Natur aus dem Herzen der Mutter heraufschreyt: "Entsetzlicher Gedanke! Wie Schauder des Todes durchbebt er mein Gebein."*)
Jst
*) Engels Mimik, 1. Th. 199. S. 26. Fig.
ertragen kann, der faͤhrt mit dem Kopf in ein Bette, um beyde Sinne zugleich zu verwahren. — Wiederum fliehet der, der einem von unten kom- menden Uebel, wie z. B. einer giftigen ziſchenden Schlange, ausweicht, mit weit in die Hoͤhe ge- zogenen Beinen; hingegen wer gerade uͤber ſeinem Haupt eine Gefahr ſieht, und alles Entfliehen vergeblich glaubt, der druͤckt ſich mit dem ganzen Koͤrper zitternd nieder; gleich der Lerche, die beym Anblick des uͤber ihr kreiſenden Stoßvogels ſenk- recht in die Furche hinabfaͤhrt.„ Selbſt wenn die gefuͤrchteten oder ſchreckenden Gegenſtaͤnde unſinnlich ſind, z. B. verabſcheuungswuͤrdige Ge- danken, zeigt ſich dieſes Bemuͤhen, ſich vor den- ſelben zu verbergen. Wenn Medea in ihrer rachgierigen Wuth gegen Jaſon uͤberlegt, wie ſie ihm die toͤdtlichſte, ſchmerzhafteſte Wunde ſchlagen koͤnne, und dieſe Ueberlegung ſie zu dem ſchrecklichen Wunſch und der noch ſchrecklichern Frage fuͤhrt: „Daß er ſchon Kinder von Kreu- ſen haͤtte!„ — „Hat er nicht Kinder?„ ſo fuͤhrt ſie gleichſam vor ſich ſelbſt mit verwandtem Angeſichte, die Haͤnde vorgeworfen und den Koͤr- per weit uͤbergebogen zuſammen, indem ploͤtzlich die empoͤrte Natur aus dem Herzen der Mutter heraufſchreyt: „Entſetzlicher Gedanke! Wie Schauder des Todes durchbebt er mein Gebein.„*)
Jſt
*) Engels Mimik, 1. Th. 199. S. 26. Fig.
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ertragen kann, der faͤhrt mit dem Kopf in ein
Bette, um beyde Sinne zugleich zu verwahren. —
Wiederum fliehet der, der einem von unten kom-
menden Uebel, wie z. B. einer giftigen ziſchenden
Schlange, ausweicht, mit weit in die Hoͤhe ge-
zogenen Beinen; hingegen wer gerade uͤber ſeinem
Haupt eine Gefahr ſieht, und alles Entfliehen
vergeblich glaubt, der druͤckt ſich mit dem ganzen
Koͤrper zitternd nieder; gleich der Lerche, die beym
Anblick des uͤber ihr kreiſenden Stoßvogels ſenk-
recht in die Furche hinabfaͤhrt.„ Selbſt wenn
die gefuͤrchteten oder ſchreckenden Gegenſtaͤnde
unſinnlich ſind, z. B. verabſcheuungswuͤrdige Ge-
danken, zeigt ſich dieſes Bemuͤhen, ſich vor den-
ſelben zu verbergen. Wenn Medea in ihrer
rachgierigen Wuth gegen Jaſon uͤberlegt, wie
ſie ihm die toͤdtlichſte, ſchmerzhafteſte Wunde
ſchlagen koͤnne, und dieſe Ueberlegung ſie zu dem
ſchrecklichen Wunſch und der noch ſchrecklichern
Frage fuͤhrt: „Daß er ſchon Kinder von Kreu-
ſen haͤtte!„ — „Hat er nicht Kinder?„ ſo
fuͤhrt ſie gleichſam vor ſich ſelbſt mit verwandtem
Angeſichte, die Haͤnde vorgeworfen und den Koͤr-
per weit uͤbergebogen zuſammen, indem ploͤtzlich
die empoͤrte Natur aus dem Herzen der Mutter
heraufſchreyt: „Entſetzlicher Gedanke! Wie
Schauder des Todes durchbebt er mein Gebein.„ *)
Jſt
*) Engels Mimik, 1. Th. 199. S. 26. Fig.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/330>, abgerufen am 25.11.2024.
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