Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.Es ist erstaunend, wie sehr Mancher, der sam- freylich von dem vortreflichen Lehrer Nutzen zie-
hen, ohne durch den schlechten Menschen Scha- den zu leiden. Aber für diesen wird ja auch nicht geredet und geschrieben. Wer bilden und lehren will, hat den größern Theil des Menschen, das heißt, die noch nicht gebildeten, im Auge. Diejenigen, meine Brüder, welche wie ich den hohen Beruf, Menschen zu Menschen zu ma- chen, haben, werden von der Wahrheit des Ge- sagten durch ihre eigne Erfahrung überzeugt seyn, und die Wichtigkeit dieser Wahrheit fühlen! Wodurch wirkte ein Socrates, Christus, Luther, Zollikofer, Spalding und ihnen ähnliche Männer auf ihr Jahrhundert und die Nachwelt so vortheilhaft? Dadurch, daß sie lebten, wie sie lehrten, daß sie selbst so handelten, wie sie's von Andern forderten. Männer, die ihr eure Brüder lehren sollt, die Religion, diese gute Freundin der Tugend, zu lie- ben und werthzuschätzen, vergeßt, vorzüglich itzt, wo hie und da der Leichtsinn in der Religion allgemeiner werden will, nicht, daß ihr, um eure er- habene Pflicht zu erfüllen, nicht blos Religion pre- digen, sondern Religiosität in Herzen haben, und in eurem Wandel zeigen müßt! Jhr empfehlt euren Brüdern das Beyspiel Jesu Christi: ahmt ihr selbst seinem Beyspiel nach, und eure Lehren werden willi- Es iſt erſtaunend, wie ſehr Mancher, der ſam- freylich von dem vortreflichen Lehrer Nutzen zie-
hen, ohne durch den ſchlechten Menſchen Scha- den zu leiden. Aber fuͤr dieſen wird ja auch nicht geredet und geſchrieben. Wer bilden und lehren will, hat den groͤßern Theil des Menſchen, das heißt, die noch nicht gebildeten, im Auge. Diejenigen, meine Bruͤder, welche wie ich den hohen Beruf, Menſchen zu Menſchen zu ma- chen, haben, werden von der Wahrheit des Ge- ſagten durch ihre eigne Erfahrung uͤberzeugt ſeyn, und die Wichtigkeit dieſer Wahrheit fuͤhlen! Wodurch wirkte ein Socrates, Chriſtus, Luther, Zollikofer, Spalding und ihnen aͤhnliche Maͤnner auf ihr Jahrhundert und die Nachwelt ſo vortheilhaft? Dadurch, daß ſie lebten, wie ſie lehrten, daß ſie ſelbſt ſo handelten, wie ſie's von Andern forderten. Maͤnner, die ihr eure Bruͤder lehren ſollt, die Religion, dieſe gute Freundin der Tugend, zu lie- ben und werthzuſchaͤtzen, vergeßt, vorzuͤglich itzt, wo hie und da der Leichtſinn in der Religion allgemeiner werden will, nicht, daß ihr, um eure er- habene Pflicht zu erfuͤllen, nicht blos Religion pre- digen, ſondern Religioſitaͤt in Herzen haben, und in eurem Wandel zeigen muͤßt! Jhr empfehlt euren Bruͤdern das Beyſpiel Jeſu Chriſti: ahmt ihr ſelbſt ſeinem Beyſpiel nach, und eure Lehren werden willi- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0068" n="352"/> <p>Es iſt erſtaunend, wie ſehr Mancher, der<lb/> haͤufig mit einer Perſon, welche ſeine Aufmerk-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſam-</fw><lb/><note next="#seg2pn_4_3" xml:id="seg2pn_4_2" prev="#seg2pn_4_1" place="foot" n="*)"><p>freylich von dem <hi rendition="#fr">vortreflichen Lehrer</hi> Nutzen zie-<lb/> hen, ohne durch den <hi rendition="#fr">ſchlechten Menſchen</hi> Scha-<lb/> den zu leiden. Aber fuͤr <hi rendition="#fr">dieſen</hi> wird ja auch nicht<lb/> geredet und geſchrieben. Wer bilden und lehren<lb/> will, hat den groͤßern Theil des Menſchen, das<lb/> heißt, die noch nicht gebildeten, im Auge.</p><lb/><p>Diejenigen, meine Bruͤder, welche wie ich<lb/> den hohen Beruf, Menſchen zu <hi rendition="#fr">Menſchen</hi> zu ma-<lb/> chen, haben, werden von der Wahrheit des Ge-<lb/> ſagten durch ihre eigne Erfahrung uͤberzeugt ſeyn,<lb/> und die Wichtigkeit dieſer Wahrheit fuͤhlen!</p><lb/><p>Wodurch wirkte ein <hi rendition="#fr">Socrates, Chriſtus,<lb/> Luther, Zollikofer, Spalding</hi> und ihnen aͤhnliche<lb/> Maͤnner auf ihr Jahrhundert und die Nachwelt ſo<lb/> vortheilhaft? Dadurch, daß ſie <hi rendition="#fr">lebten</hi>, wie ſie<lb/><hi rendition="#fr">lehrten</hi>, daß ſie ſelbſt <hi rendition="#fr">ſo handelten</hi>, wie ſie's von<lb/> Andern forderten.</p><lb/><p>Maͤnner, die ihr eure Bruͤder lehren ſollt, die<lb/> Religion, dieſe gute Freundin der Tugend, zu lie-<lb/> ben und werthzuſchaͤtzen, vergeßt, vorzuͤglich<lb/> itzt, wo hie und da der Leichtſinn in der Religion<lb/> allgemeiner werden will, nicht, daß ihr, um eure er-<lb/> habene Pflicht zu erfuͤllen, nicht blos Religion <hi rendition="#fr">pre-<lb/> digen</hi>, ſondern <hi rendition="#fr">Religioſitaͤt in Herzen haben</hi>, und<lb/> in <hi rendition="#fr">eurem Wandel zeigen muͤßt</hi>! Jhr empfehlt<lb/> euren Bruͤdern das Beyſpiel Jeſu Chriſti: ahmt ihr<lb/> ſelbſt ſeinem Beyſpiel nach, und eure Lehren werden</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">willi-</fw></note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [352/0068]
Es iſt erſtaunend, wie ſehr Mancher, der
haͤufig mit einer Perſon, welche ſeine Aufmerk-
ſam-
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*) freylich von dem vortreflichen Lehrer Nutzen zie-
hen, ohne durch den ſchlechten Menſchen Scha-
den zu leiden. Aber fuͤr dieſen wird ja auch nicht
geredet und geſchrieben. Wer bilden und lehren
will, hat den groͤßern Theil des Menſchen, das
heißt, die noch nicht gebildeten, im Auge.
Diejenigen, meine Bruͤder, welche wie ich
den hohen Beruf, Menſchen zu Menſchen zu ma-
chen, haben, werden von der Wahrheit des Ge-
ſagten durch ihre eigne Erfahrung uͤberzeugt ſeyn,
und die Wichtigkeit dieſer Wahrheit fuͤhlen!
Wodurch wirkte ein Socrates, Chriſtus,
Luther, Zollikofer, Spalding und ihnen aͤhnliche
Maͤnner auf ihr Jahrhundert und die Nachwelt ſo
vortheilhaft? Dadurch, daß ſie lebten, wie ſie
lehrten, daß ſie ſelbſt ſo handelten, wie ſie's von
Andern forderten.
Maͤnner, die ihr eure Bruͤder lehren ſollt, die
Religion, dieſe gute Freundin der Tugend, zu lie-
ben und werthzuſchaͤtzen, vergeßt, vorzuͤglich
itzt, wo hie und da der Leichtſinn in der Religion
allgemeiner werden will, nicht, daß ihr, um eure er-
habene Pflicht zu erfuͤllen, nicht blos Religion pre-
digen, ſondern Religioſitaͤt in Herzen haben, und
in eurem Wandel zeigen muͤßt! Jhr empfehlt
euren Bruͤdern das Beyſpiel Jeſu Chriſti: ahmt ihr
ſelbſt ſeinem Beyſpiel nach, und eure Lehren werden
willi-
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