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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Die Waldfrau hatte ihm ohne große Erregung zugehört. Ein
gesalbter Mann wird dir dreimal Schimpf anthun unter deinem eige-
nen Dach, murmelte sie, deß sollt du ein Zeichen in den Stab schnei-
den und mit selbem Stab sollst du ausziehen gen Niedergang, denn
sie werden dir nicht lassen wo du dein Haupt niederlegest. O Mut-
ter, meine Mutter!

Sie raffte ihren Plunder in ein Bündel zusammen, griff den
Stab und rüstete sich zu gehen. Den Diacon von Singen kam eine
Rührung an. Rufet Gott durch seine Diener um Verzeihung an, sprach
er, und thut eine christliche Pönitenz, daß Ihr in Gnade gesund
werdet.

Dafür ist die Waldfrau zu alt,130) sagte sie, und lockte ihren Specht,
der flog ihr um die Schulter und der Rabe hüpfte ängstlich hinter
ihr drein, schon war die Thür aufgerissen, noch einen Blick auf Wand
und Heerd und Kräuter und Pferdsschädel -- sie stieß den Stab auf
die Schwelle, daß die Steinplatten erdröhnten: seid verflucht, ihr
Hunde! klang's vernehmlich den Zurückbleibenden, sie wandte sich mit
ihren Vögeln dem Walde zu, und verschwand.

Und wir ziehen stumm, ein geschlagen Heer,
Erloschen sind unsere Sterne --
O Island, eisiger Fels im Meer,
Steig' auf aus nächtiger Ferne!

tönte leis murmelnder Gesang durch die entlaubten Stämme herüber.

Ekkehard aber ließ sich vom Diacon die Stola umhängen und das
Meßbuch vortragen, er hielt einen Umgang durch Stube und Kam-
mer, die Wände weihte er mit dem Zeichen des Kreuzes, auf daß das
Getriebe böser Geister gebannt sei für immer, dann sprach er unter
Gebeten den großen Exorcismus über die Stätte.

Das fromme Werk hatte lang gedauert. Dem Diacon stand der
Angstschweiß auf der Stirn als er Ekkehard die Stola wieder abnahm,
er hatte so große Worte noch nie gehört. Jetzt tönte Pferdegetrab
durch den Wald.

Es war die Herzogin, von einem einzigen Diener geleitet. Ekke-
hard ging ihr entgegen; der Diacon von Singen trat seinen Heimweg
an. Ihr seid lange ausgeblieben, rief die Herzogin gnädig, ich muß
wohl selber sehen, was Ihr geschlichtet und gerichtet.

Die Waldfrau hatte ihm ohne große Erregung zugehört. Ein
geſalbter Mann wird dir dreimal Schimpf anthun unter deinem eige-
nen Dach, murmelte ſie, deß ſollt du ein Zeichen in den Stab ſchnei-
den und mit ſelbem Stab ſollſt du ausziehen gen Niedergang, denn
ſie werden dir nicht laſſen wo du dein Haupt niederlegeſt. O Mut-
ter, meine Mutter!

Sie raffte ihren Plunder in ein Bündel zuſammen, griff den
Stab und rüſtete ſich zu gehen. Den Diacon von Singen kam eine
Rührung an. Rufet Gott durch ſeine Diener um Verzeihung an, ſprach
er, und thut eine chriſtliche Pönitenz, daß Ihr in Gnade geſund
werdet.

Dafür iſt die Waldfrau zu alt,130) ſagte ſie, und lockte ihren Specht,
der flog ihr um die Schulter und der Rabe hüpfte ängſtlich hinter
ihr drein, ſchon war die Thür aufgeriſſen, noch einen Blick auf Wand
und Heerd und Kräuter und Pferdsſchädel — ſie ſtieß den Stab auf
die Schwelle, daß die Steinplatten erdröhnten: ſeid verflucht, ihr
Hunde! klang's vernehmlich den Zurückbleibenden, ſie wandte ſich mit
ihren Vögeln dem Walde zu, und verſchwand.

Und wir ziehen ſtumm, ein geſchlagen Heer,
Erloſchen ſind unſere Sterne —
O Island, eiſiger Fels im Meer,
Steig' auf aus nächtiger Ferne!

tönte leis murmelnder Geſang durch die entlaubten Stämme herüber.

Ekkehard aber ließ ſich vom Diacon die Stola umhängen und das
Meßbuch vortragen, er hielt einen Umgang durch Stube und Kam-
mer, die Wände weihte er mit dem Zeichen des Kreuzes, auf daß das
Getriebe böſer Geiſter gebannt ſei für immer, dann ſprach er unter
Gebeten den großen Exorcismus über die Stätte.

Das fromme Werk hatte lang gedauert. Dem Diacon ſtand der
Angſtſchweiß auf der Stirn als er Ekkehard die Stola wieder abnahm,
er hatte ſo große Worte noch nie gehört. Jetzt tönte Pferdegetrab
durch den Wald.

Es war die Herzogin, von einem einzigen Diener geleitet. Ekke-
hard ging ihr entgegen; der Diacon von Singen trat ſeinen Heimweg
an. Ihr ſeid lange ausgeblieben, rief die Herzogin gnädig, ich muß
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[114/0136] Die Waldfrau hatte ihm ohne große Erregung zugehört. Ein geſalbter Mann wird dir dreimal Schimpf anthun unter deinem eige- nen Dach, murmelte ſie, deß ſollt du ein Zeichen in den Stab ſchnei- den und mit ſelbem Stab ſollſt du ausziehen gen Niedergang, denn ſie werden dir nicht laſſen wo du dein Haupt niederlegeſt. O Mut- ter, meine Mutter! Sie raffte ihren Plunder in ein Bündel zuſammen, griff den Stab und rüſtete ſich zu gehen. Den Diacon von Singen kam eine Rührung an. Rufet Gott durch ſeine Diener um Verzeihung an, ſprach er, und thut eine chriſtliche Pönitenz, daß Ihr in Gnade geſund werdet. Dafür iſt die Waldfrau zu alt, ¹³⁰⁾ ſagte ſie, und lockte ihren Specht, der flog ihr um die Schulter und der Rabe hüpfte ängſtlich hinter ihr drein, ſchon war die Thür aufgeriſſen, noch einen Blick auf Wand und Heerd und Kräuter und Pferdsſchädel — ſie ſtieß den Stab auf die Schwelle, daß die Steinplatten erdröhnten: ſeid verflucht, ihr Hunde! klang's vernehmlich den Zurückbleibenden, ſie wandte ſich mit ihren Vögeln dem Walde zu, und verſchwand. Und wir ziehen ſtumm, ein geſchlagen Heer, Erloſchen ſind unſere Sterne — O Island, eiſiger Fels im Meer, Steig' auf aus nächtiger Ferne! tönte leis murmelnder Geſang durch die entlaubten Stämme herüber. Ekkehard aber ließ ſich vom Diacon die Stola umhängen und das Meßbuch vortragen, er hielt einen Umgang durch Stube und Kam- mer, die Wände weihte er mit dem Zeichen des Kreuzes, auf daß das Getriebe böſer Geiſter gebannt ſei für immer, dann ſprach er unter Gebeten den großen Exorcismus über die Stätte. Das fromme Werk hatte lang gedauert. Dem Diacon ſtand der Angſtſchweiß auf der Stirn als er Ekkehard die Stola wieder abnahm, er hatte ſo große Worte noch nie gehört. Jetzt tönte Pferdegetrab durch den Wald. Es war die Herzogin, von einem einzigen Diener geleitet. Ekke- hard ging ihr entgegen; der Diacon von Singen trat ſeinen Heimweg an. Ihr ſeid lange ausgeblieben, rief die Herzogin gnädig, ich muß wohl ſelber ſehen, was Ihr geſchlichtet und gerichtet.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/136>, abgerufen am 22.05.2024.