Das Hochzeitfest war in stufenweiser Entwicklung bis dahin ge- diehen, wo Chaos einzubrechen droht. Der Meth wirkte in den Ge- müthern. Einer hing sein Obergewand an einen Baumast und fühlte unwiderstehliche Neigung, Alles zu zertrümmern, ein Anderer hingegen strebte Alles zu umarmen, ein Dritter, der vor zehn Jahren manchen Kuß von Friderun's Wangen gepflückt zu haben sich erinnerte, saß trübsinnig am Tisch und hatte Viel getrunken und sah den Ameisen zu, die ihm zu Füßen wimmelten und sprach: Kling, klang gloria! Keine ist was nutz ... Die jungen Leute, die in der Frühe so verschämt als Hochzeitbitter bei der Herzogin waren, führten mit ihrem hunnischen Anverwandten ein germanisches Schalksspiel aus: sie hatten ein großes linnenes Laken aus einer der Hochzeittruhen gerissen, den Cappan drauf, an den vier Ecken hielten sie's starr und schleuderten den Unseligen von der prallen Decke empor, daß er in die blauen Lüfte hinauf- wirbelte wie eine Lerche.205) Er hielt's für den landesüblichen Aus- druck verwandtschaftlicher Hochachtung und schwang sich gewandt auf und nieder.
Da plötzlich that die lange Friderun einen lauten Schrei. Alle Köpfe wandten sich, schier ließen die Vettern den Aufgeschnellten hinab in's kühle Erdreich sausen, ein Freudenjubel brach aus, ungeheuer und dröhnend, daß es schien, als wollten selber die verwitterten Basalt- felsen im Tannenwald verwundert umschauen, und die hatten in Sturm und Wetter schon manch tüchtigen Lärm gehört. Audifax und Hadumoth kamen auf ihrer Flucht aus hunnischer Hand des Wegs gezogen. Audifax führte den Gaul mit der Schatztruhe am Zügel, glückselig gingen die Kinder neben einand, sie hatten heut zum ersten- mal den Gipfel des hohen Twiel wieder erschaut und mit frohem Aufjauchzen begrüßt. Erzähl' ihnen nicht Alles! flüsterte Audifax seiner Gefährtin zu und flocht dichtes Weidengezweig um die Körbe. Schon war die lange Friderun herbeigesprungen und trug die Hadu- moth halb auf den Armen weg: "Grüß Gott, verloren Söhnlein! Trink Sackpfeifer, trink Sturmläufer!" rief's aus Aller Mund dem Audifax zu -- sie wußten von des Jungen Gefangenschaft und reichten ihm die großen Steinkrüge zum Willkomm.
Die Kinder hatten unterwegs beredet, wie sie der Herzogin zu Haus entgegen treten wollten. Wir müssen ihr schön danken, hatte
Das Hochzeitfeſt war in ſtufenweiſer Entwicklung bis dahin ge- diehen, wo Chaos einzubrechen droht. Der Meth wirkte in den Ge- müthern. Einer hing ſein Obergewand an einen Baumaſt und fühlte unwiderſtehliche Neigung, Alles zu zertrümmern, ein Anderer hingegen ſtrebte Alles zu umarmen, ein Dritter, der vor zehn Jahren manchen Kuß von Friderun's Wangen gepflückt zu haben ſich erinnerte, ſaß trübſinnig am Tiſch und hatte Viel getrunken und ſah den Ameiſen zu, die ihm zu Füßen wimmelten und ſprach: Kling, klang gloria! Keine iſt was nutz ... Die jungen Leute, die in der Frühe ſo verſchämt als Hochzeitbitter bei der Herzogin waren, führten mit ihrem hunniſchen Anverwandten ein germaniſches Schalksſpiel aus: ſie hatten ein großes linnenes Laken aus einer der Hochzeittruhen geriſſen, den Cappan drauf, an den vier Ecken hielten ſie's ſtarr und ſchleuderten den Unſeligen von der prallen Decke empor, daß er in die blauen Lüfte hinauf- wirbelte wie eine Lerche.205) Er hielt's für den landesüblichen Aus- druck verwandtſchaftlicher Hochachtung und ſchwang ſich gewandt auf und nieder.
Da plötzlich that die lange Friderun einen lauten Schrei. Alle Köpfe wandten ſich, ſchier ließen die Vettern den Aufgeſchnellten hinab in's kühle Erdreich ſauſen, ein Freudenjubel brach aus, ungeheuer und dröhnend, daß es ſchien, als wollten ſelber die verwitterten Baſalt- felſen im Tannenwald verwundert umſchauen, und die hatten in Sturm und Wetter ſchon manch tüchtigen Lärm gehört. Audifax und Hadumoth kamen auf ihrer Flucht aus hunniſcher Hand des Wegs gezogen. Audifax führte den Gaul mit der Schatztruhe am Zügel, glückſelig gingen die Kinder neben einand, ſie hatten heut zum erſten- mal den Gipfel des hohen Twiel wieder erſchaut und mit frohem Aufjauchzen begrüßt. Erzähl' ihnen nicht Alles! flüſterte Audifax ſeiner Gefährtin zu und flocht dichtes Weidengezweig um die Körbe. Schon war die lange Friderun herbeigeſprungen und trug die Hadu- moth halb auf den Armen weg: „Grüß Gott, verloren Söhnlein! Trink Sackpfeifer, trink Sturmläufer!“ rief's aus Aller Mund dem Audifax zu — ſie wußten von des Jungen Gefangenſchaft und reichten ihm die großen Steinkrüge zum Willkomm.
Die Kinder hatten unterwegs beredet, wie ſie der Herzogin zu Haus entgegen treten wollten. Wir müſſen ihr ſchön danken, hatte
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0251"n="229"/><p>Das Hochzeitfeſt war in ſtufenweiſer Entwicklung bis dahin ge-<lb/>
diehen, wo Chaos einzubrechen droht. Der Meth wirkte in den Ge-<lb/>
müthern. Einer hing ſein Obergewand an einen Baumaſt und fühlte<lb/>
unwiderſtehliche Neigung, Alles zu zertrümmern, ein Anderer hingegen<lb/>ſtrebte Alles zu umarmen, ein Dritter, der vor zehn Jahren manchen<lb/>
Kuß von Friderun's Wangen gepflückt zu haben ſich erinnerte, ſaß<lb/>
trübſinnig am Tiſch und hatte Viel getrunken und ſah den Ameiſen<lb/>
zu, die ihm zu Füßen wimmelten und ſprach: Kling, klang <hirendition="#aq">gloria!</hi><lb/>
Keine iſt was nutz ... Die jungen Leute, die in der Frühe ſo verſchämt<lb/>
als Hochzeitbitter bei der Herzogin waren, führten mit ihrem hunniſchen<lb/>
Anverwandten ein germaniſches Schalksſpiel aus: ſie hatten ein großes<lb/>
linnenes Laken aus einer der Hochzeittruhen geriſſen, den Cappan drauf,<lb/>
an den vier Ecken hielten ſie's ſtarr und ſchleuderten den Unſeligen<lb/>
von der prallen Decke empor, daß er in die blauen Lüfte hinauf-<lb/>
wirbelte wie eine Lerche.<notexml:id="ed205"next="#edt205"place="end"n="205)"/> Er hielt's für den landesüblichen Aus-<lb/>
druck verwandtſchaftlicher Hochachtung und ſchwang ſich gewandt auf<lb/>
und nieder.</p><lb/><p>Da plötzlich that die lange Friderun einen lauten Schrei. Alle<lb/>
Köpfe wandten ſich, ſchier ließen die Vettern den Aufgeſchnellten hinab<lb/>
in's kühle Erdreich ſauſen, ein Freudenjubel brach aus, ungeheuer und<lb/>
dröhnend, daß es ſchien, als wollten ſelber die verwitterten Baſalt-<lb/>
felſen im Tannenwald verwundert umſchauen, und die hatten in<lb/>
Sturm und Wetter ſchon manch tüchtigen Lärm gehört. Audifax und<lb/>
Hadumoth kamen auf ihrer Flucht aus hunniſcher Hand des Wegs<lb/>
gezogen. Audifax führte den Gaul mit der Schatztruhe am Zügel,<lb/>
glückſelig gingen die Kinder neben einand, ſie hatten heut zum erſten-<lb/>
mal den Gipfel des hohen Twiel wieder erſchaut und mit frohem<lb/>
Aufjauchzen begrüßt. Erzähl' ihnen nicht Alles! flüſterte Audifax<lb/>ſeiner Gefährtin zu und flocht dichtes Weidengezweig um die Körbe.<lb/>
Schon war die lange Friderun herbeigeſprungen und trug die Hadu-<lb/>
moth halb auf den Armen weg: „Grüß Gott, verloren Söhnlein!<lb/>
Trink Sackpfeifer, trink Sturmläufer!“ rief's aus Aller Mund dem<lb/>
Audifax zu —ſie wußten von des Jungen Gefangenſchaft und<lb/>
reichten ihm die großen Steinkrüge zum Willkomm.</p><lb/><p>Die Kinder hatten unterwegs beredet, wie ſie der Herzogin zu<lb/>
Haus entgegen treten wollten. Wir müſſen ihr ſchön danken, hatte<lb/></p></div></body></text></TEI>
[229/0251]
Das Hochzeitfeſt war in ſtufenweiſer Entwicklung bis dahin ge-
diehen, wo Chaos einzubrechen droht. Der Meth wirkte in den Ge-
müthern. Einer hing ſein Obergewand an einen Baumaſt und fühlte
unwiderſtehliche Neigung, Alles zu zertrümmern, ein Anderer hingegen
ſtrebte Alles zu umarmen, ein Dritter, der vor zehn Jahren manchen
Kuß von Friderun's Wangen gepflückt zu haben ſich erinnerte, ſaß
trübſinnig am Tiſch und hatte Viel getrunken und ſah den Ameiſen
zu, die ihm zu Füßen wimmelten und ſprach: Kling, klang gloria!
Keine iſt was nutz ... Die jungen Leute, die in der Frühe ſo verſchämt
als Hochzeitbitter bei der Herzogin waren, führten mit ihrem hunniſchen
Anverwandten ein germaniſches Schalksſpiel aus: ſie hatten ein großes
linnenes Laken aus einer der Hochzeittruhen geriſſen, den Cappan drauf,
an den vier Ecken hielten ſie's ſtarr und ſchleuderten den Unſeligen
von der prallen Decke empor, daß er in die blauen Lüfte hinauf-
wirbelte wie eine Lerche.
²⁰⁵⁾
Er hielt's für den landesüblichen Aus-
druck verwandtſchaftlicher Hochachtung und ſchwang ſich gewandt auf
und nieder.
Da plötzlich that die lange Friderun einen lauten Schrei. Alle
Köpfe wandten ſich, ſchier ließen die Vettern den Aufgeſchnellten hinab
in's kühle Erdreich ſauſen, ein Freudenjubel brach aus, ungeheuer und
dröhnend, daß es ſchien, als wollten ſelber die verwitterten Baſalt-
felſen im Tannenwald verwundert umſchauen, und die hatten in
Sturm und Wetter ſchon manch tüchtigen Lärm gehört. Audifax und
Hadumoth kamen auf ihrer Flucht aus hunniſcher Hand des Wegs
gezogen. Audifax führte den Gaul mit der Schatztruhe am Zügel,
glückſelig gingen die Kinder neben einand, ſie hatten heut zum erſten-
mal den Gipfel des hohen Twiel wieder erſchaut und mit frohem
Aufjauchzen begrüßt. Erzähl' ihnen nicht Alles! flüſterte Audifax
ſeiner Gefährtin zu und flocht dichtes Weidengezweig um die Körbe.
Schon war die lange Friderun herbeigeſprungen und trug die Hadu-
moth halb auf den Armen weg: „Grüß Gott, verloren Söhnlein!
Trink Sackpfeifer, trink Sturmläufer!“ rief's aus Aller Mund dem
Audifax zu — ſie wußten von des Jungen Gefangenſchaft und
reichten ihm die großen Steinkrüge zum Willkomm.
Die Kinder hatten unterwegs beredet, wie ſie der Herzogin zu
Haus entgegen treten wollten. Wir müſſen ihr ſchön danken, hatte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/251>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.