Gegengabe einen Korb erbeutet. Man konnte damals Menschen ver- schenken, auch kaufen. Freiheit war nicht Jedem zu eigen. Aber eine Unfreiheit, wie sie das Griechenkind auf der schwäbischen Herzogsburg zu tragen hatte, war nicht drückend.
Praxedis war ein blasses feingezeichnetes Köpfchen, aus dem zwei große dunkle Augen unsäglich wehmüthig und lustig zugleich in die Welt vorschauten. Das Haar trug sie in Flechten um die Stirn ge- schlungen; sie war schön.
Praxedis, wo ist der Staar? sprach Frau Hadwig.
Ich werd' ihn bringen, sagte die Griechin. Und sie ging und brachte den schwarzen Gesellen, der saß breit und frech in seinem Käfig, als wenn sein Dasein im Weltganzen eine klaffende Lücke aus- zufüllen hätte. Der Staar hatte bei Hadwig's Hochzeit sein Glück gemacht.7) Ein alter Fiedelmann und Gaukler hatte ihm unter lang- wieriger Mühsal einen lateinischen Hochzeitgruß eingetrichtert; das gab einen großen Jubel, wie beim Festschmaus der Käfig auf den Tisch gestellt ward und der Vogel seinen Spruch sprach: Es ist ein neuer Stern am Schwabenhimmel aufgegangen, der Stern heißt Hadwig, Heil ihm! und so weiters.
Der Staar war aber tiefer gebildet. Er konnte außer dem ge- reimten Klingklang auch das Vaterunser hersagen. Der Staar war auch hartnäckig und konnte seine Grillen haben, so gut wie eine Her- zogin in Schwaben.
Heute mußte dieser eine Erinnerung an alte Zeit durch den Sinn geflogen sein, der Staar sollte den Hochzeitspruch sagen. Der Staar aber hatte seinen frommen Tag. Und wie ihn Praxedis in's Gemach trug, rief er feierlich: Amen! und wie Frau Hadwig ihm ein Stück Honigkuchen in Käfig reichte und schmeichelnd fragte: Wie war's mit dem Stern am schwäbischen Himmel, Freund Staar? da sprach er langsam: Führe uns nicht in Versuchung! Wie sie aber zu Ergän- zung seines Gedächtnisses ihm zuflüsterte: der Stern heißt Hadwig, Heil ihm! -- da fuhr der Staar in seiner Melodie fort und into- nirte würdig: Erlöse uns von dem Uebel!
Fürwahr das fehlt noch, daß auch die Vögel heutigen Tages unverschämt werden, rief Frau Hadwig, Burgkatze, wo steckst du? und sie lockte die schwarze Katze herbei, der war der Staar
Gegengabe einen Korb erbeutet. Man konnte damals Menſchen ver- ſchenken, auch kaufen. Freiheit war nicht Jedem zu eigen. Aber eine Unfreiheit, wie ſie das Griechenkind auf der ſchwäbiſchen Herzogsburg zu tragen hatte, war nicht drückend.
Praxedis war ein blaſſes feingezeichnetes Köpfchen, aus dem zwei große dunkle Augen unſäglich wehmüthig und luſtig zugleich in die Welt vorſchauten. Das Haar trug ſie in Flechten um die Stirn ge- ſchlungen; ſie war ſchön.
Praxedis, wo iſt der Staar? ſprach Frau Hadwig.
Ich werd' ihn bringen, ſagte die Griechin. Und ſie ging und brachte den ſchwarzen Geſellen, der ſaß breit und frech in ſeinem Käfig, als wenn ſein Daſein im Weltganzen eine klaffende Lücke aus- zufüllen hätte. Der Staar hatte bei Hadwig's Hochzeit ſein Glück gemacht.7) Ein alter Fiedelmann und Gaukler hatte ihm unter lang- wieriger Mühſal einen lateiniſchen Hochzeitgruß eingetrichtert; das gab einen großen Jubel, wie beim Feſtſchmaus der Käfig auf den Tiſch geſtellt ward und der Vogel ſeinen Spruch ſprach: Es iſt ein neuer Stern am Schwabenhimmel aufgegangen, der Stern heißt Hadwig, Heil ihm! und ſo weiters.
Der Staar war aber tiefer gebildet. Er konnte außer dem ge- reimten Klingklang auch das Vaterunſer herſagen. Der Staar war auch hartnäckig und konnte ſeine Grillen haben, ſo gut wie eine Her- zogin in Schwaben.
Heute mußte dieſer eine Erinnerung an alte Zeit durch den Sinn geflogen ſein, der Staar ſollte den Hochzeitſpruch ſagen. Der Staar aber hatte ſeinen frommen Tag. Und wie ihn Praxedis in's Gemach trug, rief er feierlich: Amen! und wie Frau Hadwig ihm ein Stück Honigkuchen in Käfig reichte und ſchmeichelnd fragte: Wie war's mit dem Stern am ſchwäbiſchen Himmel, Freund Staar? da ſprach er langſam: Führe uns nicht in Verſuchung! Wie ſie aber zu Ergän- zung ſeines Gedächtniſſes ihm zuflüſterte: der Stern heißt Hadwig, Heil ihm! — da fuhr der Staar in ſeiner Melodie fort und into- nirte würdig: Erlöſe uns von dem Uebel!
Fürwahr das fehlt noch, daß auch die Vögel heutigen Tages unverſchämt werden, rief Frau Hadwig, Burgkatze, wo ſteckſt du? und ſie lockte die ſchwarze Katze herbei, der war der Staar
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Gegengabe einen Korb erbeutet. Man konnte damals Menſchen ver-
ſchenken, auch kaufen. Freiheit war nicht Jedem zu eigen. Aber eine
Unfreiheit, wie ſie das Griechenkind auf der ſchwäbiſchen Herzogsburg
zu tragen hatte, war nicht drückend.
Praxedis war ein blaſſes feingezeichnetes Köpfchen, aus dem zwei
große dunkle Augen unſäglich wehmüthig und luſtig zugleich in die
Welt vorſchauten. Das Haar trug ſie in Flechten um die Stirn ge-
ſchlungen; ſie war ſchön.
Praxedis, wo iſt der Staar? ſprach Frau Hadwig.
Ich werd' ihn bringen, ſagte die Griechin. Und ſie ging und
brachte den ſchwarzen Geſellen, der ſaß breit und frech in ſeinem
Käfig, als wenn ſein Daſein im Weltganzen eine klaffende Lücke aus-
zufüllen hätte. Der Staar hatte bei Hadwig's Hochzeit ſein Glück
gemacht.
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Ein alter Fiedelmann und Gaukler hatte ihm unter lang-
wieriger Mühſal einen lateiniſchen Hochzeitgruß eingetrichtert; das gab
einen großen Jubel, wie beim Feſtſchmaus der Käfig auf den Tiſch
geſtellt ward und der Vogel ſeinen Spruch ſprach: Es iſt ein neuer
Stern am Schwabenhimmel aufgegangen, der Stern heißt Hadwig,
Heil ihm! und ſo weiters.
Der Staar war aber tiefer gebildet. Er konnte außer dem ge-
reimten Klingklang auch das Vaterunſer herſagen. Der Staar war
auch hartnäckig und konnte ſeine Grillen haben, ſo gut wie eine Her-
zogin in Schwaben.
Heute mußte dieſer eine Erinnerung an alte Zeit durch den Sinn
geflogen ſein, der Staar ſollte den Hochzeitſpruch ſagen. Der Staar
aber hatte ſeinen frommen Tag. Und wie ihn Praxedis in's Gemach
trug, rief er feierlich: Amen! und wie Frau Hadwig ihm ein Stück
Honigkuchen in Käfig reichte und ſchmeichelnd fragte: Wie war's mit
dem Stern am ſchwäbiſchen Himmel, Freund Staar? da ſprach er
langſam: Führe uns nicht in Verſuchung! Wie ſie aber zu Ergän-
zung ſeines Gedächtniſſes ihm zuflüſterte: der Stern heißt Hadwig,
Heil ihm! — da fuhr der Staar in ſeiner Melodie fort und into-
nirte würdig: Erlöſe uns von dem Uebel!
Fürwahr das fehlt noch, daß auch die Vögel heutigen Tages
unverſchämt werden, rief Frau Hadwig, Burgkatze, wo ſteckſt du?
und ſie lockte die ſchwarze Katze herbei, der war der Staar
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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