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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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kommen Leute hinabgewallfahrtet und beten und glauben der Weland
sei ein großer Heiliger gewesen.240)

Lasset sehen, wer Herrn Spazzo den Preis jetzt streitig machen
soll, sprach die Herzogin und mischte die Loose. Sie zogen. Der
kleinste Halm blieb in Praxedis Hand. Die that weder verlegen, noch
bat sie um Nachsicht; sie fuhr mit der weißen Hand über die dunkeln
Haarflechten und begann:

Mir haben zwar die Ammen keine Wiegenlieder von alten Recken
gesungen und in Waldschmieden bin ich, Gott sei es gedankt, niemalen
eingekehrt, aber selbst in Constantinopel geht die Rede von solcherlei
Abentheuer. Und wie ich am Kaiserhof unterwiesen ward in allen
Künsten, die dienenden Maiden wohl anstehen, da war eine alte
Schlüsselverwahrerin die hieß Glycerium, die sprach oft zu uns:

Höret, Mägdlein, so ihr je einer Prinzessin dienet, und ihr Herz
ist in heimlicher Minne entbrannt, und sie kann den nicht sehen,
den sie begehrt, so müsset ihr schlau sein und bedachtsam wie die
Kammerfrau Herlindis, da der König Rother um des Kaiser
Constantinus Tochter geworben. Und wenn wir im Frauensaal bei-
sammen saßen, da ward gewispert und geflüstert, bis Glycerium die
Alte erzählte vom König Rother.

Vor alten Zeiten saß in der Meerburg am Bosporus der Kaiser
Constantinus, der hatte eine wunderbar schöne Tochter und die Leute
sprachen von ihr, sie sei strahlend wie der Abendstern und leuchte
unter allen Maiden wie der Goldfaden in der Seiden. Da kam eines
Tages ein Schiff gefahren, draus stiegen zwölf edle Grafen und zwölf
Ritter, und ritten in Constantinus Hof ein, und einer ritt voran der
hieß Lupolt. Und alles Volk der Hauptstadt staunte über sie, denn
Mäntel und Gewande waren schwer von Edelstein und Jachanten be-
setzt und an den Sätteln der Rosse klang's von goldenen Schellen.
Das waren die Boten des König Rother von Wikingland, und Lupolt
sprang vom Roß und sprach zum Kaiser:

Uns schickt unser König, geheißen Rother, der ist der schönste
Mann, der je vom Weibe kam, ihm dienen die besten Helden und an
seinem Hof ist Ball und Schall und Federspiel soviel das Herz begehrt.
Er aber ist unbeweibt und sein Herz steht einsam: Ihr solltet ihm
Eure Tochter geben! Constantinus aber war ein zornmüthiger Herr;

kommen Leute hinabgewallfahrtet und beten und glauben der Weland
ſei ein großer Heiliger geweſen.240)

Laſſet ſehen, wer Herrn Spazzo den Preis jetzt ſtreitig machen
ſoll, ſprach die Herzogin und miſchte die Looſe. Sie zogen. Der
kleinſte Halm blieb in Praxedis Hand. Die that weder verlegen, noch
bat ſie um Nachſicht; ſie fuhr mit der weißen Hand über die dunkeln
Haarflechten und begann:

Mir haben zwar die Ammen keine Wiegenlieder von alten Recken
geſungen und in Waldſchmieden bin ich, Gott ſei es gedankt, niemalen
eingekehrt, aber ſelbſt in Conſtantinopel geht die Rede von ſolcherlei
Abentheuer. Und wie ich am Kaiſerhof unterwieſen ward in allen
Künſten, die dienenden Maiden wohl anſtehen, da war eine alte
Schlüſſelverwahrerin die hieß Glycerium, die ſprach oft zu uns:

Höret, Mägdlein, ſo ihr je einer Prinzeſſin dienet, und ihr Herz
iſt in heimlicher Minne entbrannt, und ſie kann den nicht ſehen,
den ſie begehrt, ſo müſſet ihr ſchlau ſein und bedachtſam wie die
Kammerfrau Herlindis, da der König Rother um des Kaiſer
Conſtantinus Tochter geworben. Und wenn wir im Frauenſaal bei-
ſammen ſaßen, da ward gewispert und geflüſtert, bis Glycerium die
Alte erzählte vom König Rother.

Vor alten Zeiten ſaß in der Meerburg am Bosporus der Kaiſer
Conſtantinus, der hatte eine wunderbar ſchöne Tochter und die Leute
ſprachen von ihr, ſie ſei ſtrahlend wie der Abendſtern und leuchte
unter allen Maiden wie der Goldfaden in der Seiden. Da kam eines
Tages ein Schiff gefahren, draus ſtiegen zwölf edle Grafen und zwölf
Ritter, und ritten in Conſtantinus Hof ein, und einer ritt voran der
hieß Lupolt. Und alles Volk der Hauptſtadt ſtaunte über ſie, denn
Mäntel und Gewande waren ſchwer von Edelſtein und Jachanten be-
ſetzt und an den Sätteln der Roſſe klang's von goldenen Schellen.
Das waren die Boten des König Rother von Wikingland, und Lupolt
ſprang vom Roß und ſprach zum Kaiſer:

Uns ſchickt unſer König, geheißen Rother, der iſt der ſchönſte
Mann, der je vom Weibe kam, ihm dienen die beſten Helden und an
ſeinem Hof iſt Ball und Schall und Federſpiel ſoviel das Herz begehrt.
Er aber iſt unbeweibt und ſein Herz ſteht einſam: Ihr ſolltet ihm
Eure Tochter geben! Conſtantinus aber war ein zornmüthiger Herr;

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[292/0314] kommen Leute hinabgewallfahrtet und beten und glauben der Weland ſei ein großer Heiliger geweſen. ²⁴⁰⁾ Laſſet ſehen, wer Herrn Spazzo den Preis jetzt ſtreitig machen ſoll, ſprach die Herzogin und miſchte die Looſe. Sie zogen. Der kleinſte Halm blieb in Praxedis Hand. Die that weder verlegen, noch bat ſie um Nachſicht; ſie fuhr mit der weißen Hand über die dunkeln Haarflechten und begann: Mir haben zwar die Ammen keine Wiegenlieder von alten Recken geſungen und in Waldſchmieden bin ich, Gott ſei es gedankt, niemalen eingekehrt, aber ſelbſt in Conſtantinopel geht die Rede von ſolcherlei Abentheuer. Und wie ich am Kaiſerhof unterwieſen ward in allen Künſten, die dienenden Maiden wohl anſtehen, da war eine alte Schlüſſelverwahrerin die hieß Glycerium, die ſprach oft zu uns: Höret, Mägdlein, ſo ihr je einer Prinzeſſin dienet, und ihr Herz iſt in heimlicher Minne entbrannt, und ſie kann den nicht ſehen, den ſie begehrt, ſo müſſet ihr ſchlau ſein und bedachtſam wie die Kammerfrau Herlindis, da der König Rother um des Kaiſer Conſtantinus Tochter geworben. Und wenn wir im Frauenſaal bei- ſammen ſaßen, da ward gewispert und geflüſtert, bis Glycerium die Alte erzählte vom König Rother. Vor alten Zeiten ſaß in der Meerburg am Bosporus der Kaiſer Conſtantinus, der hatte eine wunderbar ſchöne Tochter und die Leute ſprachen von ihr, ſie ſei ſtrahlend wie der Abendſtern und leuchte unter allen Maiden wie der Goldfaden in der Seiden. Da kam eines Tages ein Schiff gefahren, draus ſtiegen zwölf edle Grafen und zwölf Ritter, und ritten in Conſtantinus Hof ein, und einer ritt voran der hieß Lupolt. Und alles Volk der Hauptſtadt ſtaunte über ſie, denn Mäntel und Gewande waren ſchwer von Edelſtein und Jachanten be- ſetzt und an den Sätteln der Roſſe klang's von goldenen Schellen. Das waren die Boten des König Rother von Wikingland, und Lupolt ſprang vom Roß und ſprach zum Kaiſer: Uns ſchickt unſer König, geheißen Rother, der iſt der ſchönſte Mann, der je vom Weibe kam, ihm dienen die beſten Helden und an ſeinem Hof iſt Ball und Schall und Federſpiel ſoviel das Herz begehrt. Er aber iſt unbeweibt und ſein Herz ſteht einſam: Ihr ſolltet ihm Eure Tochter geben! Conſtantinus aber war ein zornmüthiger Herr;

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/314>, abgerufen am 21.11.2024.