Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

bleibe, als ich es bey kleinen Anlässen leider
nicht immer bin.

Wieland, der durch seine, eines kri-
tischen Rothmantels eher, als einer braven,
wachsamen Schildwache würdige Aeußerung
über Herder und Kant mein Zutrauen
zur Unpartheylichkeit seines Urtheils eben
nicht vermehrt hat, sagt indessen sehr tref-
fend im Agathodämon (1 B. VI. pag. m.
52.) "Nenne mir einen Fall, wo es nicht
"in unsrer Macht stünde, jedem Eindruck
"der Sinne, jedem Reiz und Drange der
"Begier blos dadurch hinlänglichen Wider-
"stand zu thun, daß wir widerstehen wol-
"len.
Laß uns nicht an unsrer Kraft ver-
"zweifeln, ehe wir versucht haben, wie weit
"sie gehen kann, und zu welchem Grade
"wir sie durch unabläßliche Uebung, oder
"da, wo es Noth ist, durch ungewöhnliche
"Anstrengung erhöhen können! Gewiß
"ist es unsre eigne Schuld, daß wir nicht
"ganz andre Menschen sind."
Es dürfte
also wohl das Sprichwort: des Men-
schen Wille ist sein Himmelreich,
zu
den wahren gehören, so wie es denn auch
mir den cathegorischen Jmperativ so ehren-

bleibe, als ich es bey kleinen Anlaͤſſen leider
nicht immer bin.

Wieland, der durch ſeine, eines kri-
tiſchen Rothmantels eher, als einer braven,
wachſamen Schildwache wuͤrdige Aeußerung
uͤber Herder und Kant mein Zutrauen
zur Unpartheylichkeit ſeines Urtheils eben
nicht vermehrt hat, ſagt indeſſen ſehr tref-
fend im Agathodaͤmon (1 B. VI. pag. m.
52.) „Nenne mir einen Fall, wo es nicht
„in unſrer Macht ſtuͤnde, jedem Eindruck
„der Sinne, jedem Reiz und Drange der
„Begier blos dadurch hinlaͤnglichen Wider-
„ſtand zu thun, daß wir widerſtehen wol-
„len.
Laß uns nicht an unſrer Kraft ver-
„zweifeln, ehe wir verſucht haben, wie weit
„ſie gehen kann, und zu welchem Grade
„wir ſie durch unablaͤßliche Uebung, oder
„da, wo es Noth iſt, durch ungewoͤhnliche
Anſtrengung erhoͤhen koͤnnen! Gewiß
„iſt es unſre eigne Schuld, daß wir nicht
„ganz andre Menſchen ſind.“
Es duͤrfte
alſo wohl das Sprichwort: des Men-
ſchen Wille iſt ſein Himmelreich,
zu
den wahren gehoͤren, ſo wie es denn auch
mir den cathegoriſchen Jmperativ ſo ehren-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0127" n="110"/>
bleibe, als ich es bey kleinen Anla&#x0364;&#x017F;&#x017F;en leider<lb/>
nicht immer bin.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Wieland,</hi> der durch &#x017F;eine, eines kri-<lb/>
ti&#x017F;chen Rothmantels eher, als einer braven,<lb/>
wach&#x017F;amen Schildwache wu&#x0364;rdige Aeußerung<lb/>
u&#x0364;ber <hi rendition="#g">Herder</hi> und <hi rendition="#g">Kant</hi> mein Zutrauen<lb/>
zur Unpartheylichkeit &#x017F;eines Urtheils eben<lb/>
nicht vermehrt hat, &#x017F;agt inde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehr tref-<lb/>
fend im Agathoda&#x0364;mon (1 B. <hi rendition="#aq">VI. pag. m.</hi><lb/>
52.) <cit><quote>&#x201E;Nenne mir einen Fall, wo es nicht<lb/>
&#x201E;in un&#x017F;rer Macht &#x017F;tu&#x0364;nde, jedem Eindruck<lb/>
&#x201E;der Sinne, jedem Reiz und Drange der<lb/>
&#x201E;Begier blos dadurch hinla&#x0364;nglichen Wider-<lb/>
&#x201E;&#x017F;tand zu thun, daß wir wider&#x017F;tehen <hi rendition="#g">wol-<lb/>
&#x201E;len.</hi> Laß uns nicht an un&#x017F;rer Kraft ver-<lb/>
&#x201E;zweifeln, ehe wir ver&#x017F;ucht haben, wie weit<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie gehen kann, und zu welchem Grade<lb/>
&#x201E;wir &#x017F;ie durch unabla&#x0364;ßliche <hi rendition="#g">Uebung,</hi> oder<lb/>
&#x201E;da, wo es Noth i&#x017F;t, durch ungewo&#x0364;hnliche<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">An&#x017F;trengung</hi> erho&#x0364;hen ko&#x0364;nnen! Gewiß<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t es un&#x017F;re eigne Schuld, daß wir nicht<lb/>
&#x201E;ganz andre Men&#x017F;chen &#x017F;ind.&#x201C;</quote></cit> Es du&#x0364;rfte<lb/>
al&#x017F;o wohl das Sprichwort: <hi rendition="#g">des Men-<lb/>
&#x017F;chen Wille i&#x017F;t &#x017F;ein Himmelreich,</hi> zu<lb/>
den wahren geho&#x0364;ren, &#x017F;o wie es denn auch<lb/>
mir den cathegori&#x017F;chen Jmperativ &#x017F;o ehren-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0127] bleibe, als ich es bey kleinen Anlaͤſſen leider nicht immer bin. Wieland, der durch ſeine, eines kri- tiſchen Rothmantels eher, als einer braven, wachſamen Schildwache wuͤrdige Aeußerung uͤber Herder und Kant mein Zutrauen zur Unpartheylichkeit ſeines Urtheils eben nicht vermehrt hat, ſagt indeſſen ſehr tref- fend im Agathodaͤmon (1 B. VI. pag. m. 52.) „Nenne mir einen Fall, wo es nicht „in unſrer Macht ſtuͤnde, jedem Eindruck „der Sinne, jedem Reiz und Drange der „Begier blos dadurch hinlaͤnglichen Wider- „ſtand zu thun, daß wir widerſtehen wol- „len. Laß uns nicht an unſrer Kraft ver- „zweifeln, ehe wir verſucht haben, wie weit „ſie gehen kann, und zu welchem Grade „wir ſie durch unablaͤßliche Uebung, oder „da, wo es Noth iſt, durch ungewoͤhnliche „Anſtrengung erhoͤhen koͤnnen! Gewiß „iſt es unſre eigne Schuld, daß wir nicht „ganz andre Menſchen ſind.“ Es duͤrfte alſo wohl das Sprichwort: des Men- ſchen Wille iſt ſein Himmelreich, zu den wahren gehoͤren, ſo wie es denn auch mir den cathegoriſchen Jmperativ ſo ehren-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/127
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/127>, abgerufen am 23.11.2024.