die Fälle ereigneten, wie bey einer Gedicht- sammlung, in der die Anfangsbuchstaben ei- nes langen geistlichen Liedes sich lefen lie- ßen: "Es lebe die Mamsel Rosentreterin." Jn einer dieser Recensionen bracht ich die Nothwendigkeit, gehörig lesen zu lernen, welches man damals noch weit weniger als jetzt beachtete, zur Verwunderung meiner ältern Landsleute, die ihre ehemaligen Buch- stabierstudien dadurch angetastet wähnten, in Anregung, auch rieth ich zum Gebrauch verschiedener Sylbenmaaße auf dem Theater, um das Sprechen nach dem Jnhalt der Rede und dem Charakter, dem das damalige allgemeine Alexandrisiren äußerst nachtheilig war, zu erleichtern. Einmal ließ ich auch aus solchem Recensentenmuthwillen eine Pa- rodie auf ein Paar Strophen einer Ode, in der ein junger Schöngeist den lyrischen Alp zu hoch hatte steigen lassen, einrücken, deren unvergeßne Frivolität mich in spätern Jahren so lebhaft gereut hat, daß ich zu ihrer Vergütung dem Gekränkten manche Dienste und Gefälligkeiten-erwiesen, die er zu fordern nicht berechtigt, und ich sonst zu thun eben nicht bereit und willig gewesen wäre. Ueber einen von mir getadelten und
die Faͤlle ereigneten, wie bey einer Gedicht- ſammlung, in der die Anfangsbuchſtaben ei- nes langen geiſtlichen Liedes ſich lefen lie- ßen: „Es lebe die Mamſel Roſentreterin.“ Jn einer dieſer Recenſionen bracht ich die Nothwendigkeit, gehoͤrig leſen zu lernen, welches man damals noch weit weniger als jetzt beachtete, zur Verwunderung meiner aͤltern Landsleute, die ihre ehemaligen Buch- ſtabierſtudien dadurch angetaſtet waͤhnten, in Anregung, auch rieth ich zum Gebrauch verſchiedener Sylbenmaaße auf dem Theater, um das Sprechen nach dem Jnhalt der Rede und dem Charakter, dem das damalige allgemeine Alexandriſiren aͤußerſt nachtheilig war, zu erleichtern. Einmal ließ ich auch aus ſolchem Recenſentenmuthwillen eine Pa- rodie auf ein Paar Strophen einer Ode, in der ein junger Schoͤngeiſt den lyriſchen Alp zu hoch hatte ſteigen laſſen, einruͤcken, deren unvergeßne Frivolitaͤt mich in ſpaͤtern Jahren ſo lebhaft gereut hat, daß ich zu ihrer Verguͤtung dem Gekraͤnkten manche Dienſte und Gefaͤlligkeiten-erwieſen, die er zu fordern nicht berechtigt, und ich ſonſt zu thun eben nicht bereit und willig geweſen waͤre. Ueber einen von mir getadelten und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0141"n="124"/>
die Faͤlle ereigneten, wie bey einer Gedicht-<lb/>ſammlung, in der die Anfangsbuchſtaben ei-<lb/>
nes langen geiſtlichen Liedes ſich lefen lie-<lb/>
ßen: „Es lebe die Mamſel Roſentreterin.“<lb/>
Jn einer dieſer Recenſionen bracht ich die<lb/>
Nothwendigkeit, <hirendition="#g">gehoͤrig</hi> leſen zu lernen,<lb/>
welches man damals noch weit weniger als<lb/>
jetzt beachtete, zur Verwunderung meiner<lb/>
aͤltern Landsleute, die ihre ehemaligen Buch-<lb/>ſtabierſtudien dadurch angetaſtet waͤhnten, in<lb/>
Anregung, auch rieth ich zum Gebrauch<lb/>
verſchiedener Sylbenmaaße auf dem Theater,<lb/>
um das Sprechen nach dem Jnhalt der<lb/>
Rede und dem Charakter, dem das damalige<lb/>
allgemeine Alexandriſiren aͤußerſt nachtheilig<lb/>
war, zu erleichtern. Einmal ließ ich auch<lb/>
aus ſolchem Recenſentenmuthwillen eine Pa-<lb/>
rodie auf ein Paar Strophen einer Ode,<lb/>
in der ein junger Schoͤngeiſt den lyriſchen<lb/>
Alp zu hoch hatte ſteigen laſſen, einruͤcken,<lb/>
deren unvergeßne Frivolitaͤt mich in ſpaͤtern<lb/>
Jahren ſo lebhaft gereut hat, daß ich zu<lb/>
ihrer Verguͤtung dem Gekraͤnkten manche<lb/>
Dienſte und Gefaͤlligkeiten-erwieſen, die er zu<lb/>
fordern nicht berechtigt, und ich ſonſt zu<lb/>
thun eben nicht bereit und willig geweſen<lb/>
waͤre. Ueber einen von mir getadelten und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[124/0141]
die Faͤlle ereigneten, wie bey einer Gedicht-
ſammlung, in der die Anfangsbuchſtaben ei-
nes langen geiſtlichen Liedes ſich lefen lie-
ßen: „Es lebe die Mamſel Roſentreterin.“
Jn einer dieſer Recenſionen bracht ich die
Nothwendigkeit, gehoͤrig leſen zu lernen,
welches man damals noch weit weniger als
jetzt beachtete, zur Verwunderung meiner
aͤltern Landsleute, die ihre ehemaligen Buch-
ſtabierſtudien dadurch angetaſtet waͤhnten, in
Anregung, auch rieth ich zum Gebrauch
verſchiedener Sylbenmaaße auf dem Theater,
um das Sprechen nach dem Jnhalt der
Rede und dem Charakter, dem das damalige
allgemeine Alexandriſiren aͤußerſt nachtheilig
war, zu erleichtern. Einmal ließ ich auch
aus ſolchem Recenſentenmuthwillen eine Pa-
rodie auf ein Paar Strophen einer Ode,
in der ein junger Schoͤngeiſt den lyriſchen
Alp zu hoch hatte ſteigen laſſen, einruͤcken,
deren unvergeßne Frivolitaͤt mich in ſpaͤtern
Jahren ſo lebhaft gereut hat, daß ich zu
ihrer Verguͤtung dem Gekraͤnkten manche
Dienſte und Gefaͤlligkeiten-erwieſen, die er zu
fordern nicht berechtigt, und ich ſonſt zu
thun eben nicht bereit und willig geweſen
waͤre. Ueber einen von mir getadelten und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/141>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.