Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

die Fälle ereigneten, wie bey einer Gedicht-
sammlung, in der die Anfangsbuchstaben ei-
nes langen geistlichen Liedes sich lefen lie-
ßen: "Es lebe die Mamsel Rosentreterin."
Jn einer dieser Recensionen bracht ich die
Nothwendigkeit, gehörig lesen zu lernen,
welches man damals noch weit weniger als
jetzt beachtete, zur Verwunderung meiner
ältern Landsleute, die ihre ehemaligen Buch-
stabierstudien dadurch angetastet wähnten, in
Anregung, auch rieth ich zum Gebrauch
verschiedener Sylbenmaaße auf dem Theater,
um das Sprechen nach dem Jnhalt der
Rede und dem Charakter, dem das damalige
allgemeine Alexandrisiren äußerst nachtheilig
war, zu erleichtern. Einmal ließ ich auch
aus solchem Recensentenmuthwillen eine Pa-
rodie auf ein Paar Strophen einer Ode,
in der ein junger Schöngeist den lyrischen
Alp zu hoch hatte steigen lassen, einrücken,
deren unvergeßne Frivolität mich in spätern
Jahren so lebhaft gereut hat, daß ich zu
ihrer Vergütung dem Gekränkten manche
Dienste und Gefälligkeiten-erwiesen, die er zu
fordern nicht berechtigt, und ich sonst zu
thun eben nicht bereit und willig gewesen
wäre. Ueber einen von mir getadelten und

die Faͤlle ereigneten, wie bey einer Gedicht-
ſammlung, in der die Anfangsbuchſtaben ei-
nes langen geiſtlichen Liedes ſich lefen lie-
ßen: „Es lebe die Mamſel Roſentreterin.“
Jn einer dieſer Recenſionen bracht ich die
Nothwendigkeit, gehoͤrig leſen zu lernen,
welches man damals noch weit weniger als
jetzt beachtete, zur Verwunderung meiner
aͤltern Landsleute, die ihre ehemaligen Buch-
ſtabierſtudien dadurch angetaſtet waͤhnten, in
Anregung, auch rieth ich zum Gebrauch
verſchiedener Sylbenmaaße auf dem Theater,
um das Sprechen nach dem Jnhalt der
Rede und dem Charakter, dem das damalige
allgemeine Alexandriſiren aͤußerſt nachtheilig
war, zu erleichtern. Einmal ließ ich auch
aus ſolchem Recenſentenmuthwillen eine Pa-
rodie auf ein Paar Strophen einer Ode,
in der ein junger Schoͤngeiſt den lyriſchen
Alp zu hoch hatte ſteigen laſſen, einruͤcken,
deren unvergeßne Frivolitaͤt mich in ſpaͤtern
Jahren ſo lebhaft gereut hat, daß ich zu
ihrer Verguͤtung dem Gekraͤnkten manche
Dienſte und Gefaͤlligkeiten-erwieſen, die er zu
fordern nicht berechtigt, und ich ſonſt zu
thun eben nicht bereit und willig geweſen
waͤre. Ueber einen von mir getadelten und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0141" n="124"/>
die Fa&#x0364;lle ereigneten, wie bey einer Gedicht-<lb/>
&#x017F;ammlung, in der die Anfangsbuch&#x017F;taben ei-<lb/>
nes langen gei&#x017F;tlichen Liedes &#x017F;ich lefen lie-<lb/>
ßen: &#x201E;Es lebe die Mam&#x017F;el Ro&#x017F;entreterin.&#x201C;<lb/>
Jn einer die&#x017F;er Recen&#x017F;ionen bracht ich die<lb/>
Nothwendigkeit, <hi rendition="#g">geho&#x0364;rig</hi> le&#x017F;en zu lernen,<lb/>
welches man damals noch weit weniger als<lb/>
jetzt beachtete, zur Verwunderung meiner<lb/>
a&#x0364;ltern Landsleute, die ihre ehemaligen Buch-<lb/>
&#x017F;tabier&#x017F;tudien dadurch angeta&#x017F;tet wa&#x0364;hnten, in<lb/>
Anregung, auch rieth ich zum Gebrauch<lb/>
ver&#x017F;chiedener Sylbenmaaße auf dem Theater,<lb/>
um das Sprechen nach dem Jnhalt der<lb/>
Rede und dem Charakter, dem das damalige<lb/>
allgemeine Alexandri&#x017F;iren a&#x0364;ußer&#x017F;t nachtheilig<lb/>
war, zu erleichtern. Einmal ließ ich auch<lb/>
aus &#x017F;olchem Recen&#x017F;entenmuthwillen eine Pa-<lb/>
rodie auf ein Paar Strophen einer Ode,<lb/>
in der ein junger Scho&#x0364;ngei&#x017F;t den lyri&#x017F;chen<lb/>
Alp zu hoch hatte &#x017F;teigen la&#x017F;&#x017F;en, einru&#x0364;cken,<lb/>
deren unvergeßne Frivolita&#x0364;t mich in &#x017F;pa&#x0364;tern<lb/>
Jahren &#x017F;o lebhaft gereut hat, daß ich zu<lb/>
ihrer Vergu&#x0364;tung dem Gekra&#x0364;nkten manche<lb/>
Dien&#x017F;te und Gefa&#x0364;lligkeiten-erwie&#x017F;en, die er zu<lb/>
fordern nicht berechtigt, und ich &#x017F;on&#x017F;t zu<lb/>
thun eben nicht bereit und willig gewe&#x017F;en<lb/>
wa&#x0364;re. Ueber einen von mir getadelten und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0141] die Faͤlle ereigneten, wie bey einer Gedicht- ſammlung, in der die Anfangsbuchſtaben ei- nes langen geiſtlichen Liedes ſich lefen lie- ßen: „Es lebe die Mamſel Roſentreterin.“ Jn einer dieſer Recenſionen bracht ich die Nothwendigkeit, gehoͤrig leſen zu lernen, welches man damals noch weit weniger als jetzt beachtete, zur Verwunderung meiner aͤltern Landsleute, die ihre ehemaligen Buch- ſtabierſtudien dadurch angetaſtet waͤhnten, in Anregung, auch rieth ich zum Gebrauch verſchiedener Sylbenmaaße auf dem Theater, um das Sprechen nach dem Jnhalt der Rede und dem Charakter, dem das damalige allgemeine Alexandriſiren aͤußerſt nachtheilig war, zu erleichtern. Einmal ließ ich auch aus ſolchem Recenſentenmuthwillen eine Pa- rodie auf ein Paar Strophen einer Ode, in der ein junger Schoͤngeiſt den lyriſchen Alp zu hoch hatte ſteigen laſſen, einruͤcken, deren unvergeßne Frivolitaͤt mich in ſpaͤtern Jahren ſo lebhaft gereut hat, daß ich zu ihrer Verguͤtung dem Gekraͤnkten manche Dienſte und Gefaͤlligkeiten-erwieſen, die er zu fordern nicht berechtigt, und ich ſonſt zu thun eben nicht bereit und willig geweſen waͤre. Ueber einen von mir getadelten und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/141
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/141>, abgerufen am 23.11.2024.