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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Mit Friedrich Nicolai hatte ich viel
Umgang, er stellte mich auch in seinem Gar-
ten der Frau von der Recke vor, die von

Unart und Eigensinn auslegt, ein innres Bangen
seiner Natur sey. Die Angst, von welcher das
Genie in Verhältnissen, die allen andern Men-
schen leicht und handlich sind, oft ergriffen wird,
und die uns Rousseau so überaus beredt geschil-
dert hat, leidet mein Lieblingsdichter im Leben
unbeschreiblich. Man glaubt es ihm nicht, weil
er so manches, das andre Menschen wie eine un-
geheure Last drückt, leicht handhabt und bewegt.
Jst nur ein Mensch gegenwärtig, fast hätt' ich
gesagt nur ein Körper, der mit seiner physischen
Natur in gar keiner Wahlverwandtschaft steht, so
ist dadurch sein Genie wie gelähmt. Da er zu-
gleich die menschliche Freyheit stark in sich fühlt,
wird er verdrießlich, angstvoll, daß er über diese
Lähmung nicht Herr werden kann. Jch gestehr,
daß es mich geschmerzt hat, ihn so zu sehen,
wenn die andern über seinen vermeintlichen Hoch-
muth und seine Eigensucht erbittert waren. Man
wird um so leichter über ihn irre geführt, weil
er nie sein Herkommen aus einer angesehenen
obrigkeitlichen Familie einer freyen Reichsstadt in
seiner äußern Haltung verlengnet hat. Das Le-
ben an einem kleinen Hofe diente zur Bewahrung
dieser reichsbürgerlichen Feyerlichkeit und Reprä-
sentation, ward bey ihm zur Folie derselben.
"Behält er dann, fragte ich, dieses repräsentive
Wesen auch in seiner Freude und Freundlichkeit,

Mit Friedrich Nicolai hatte ich viel
Umgang, er ſtellte mich auch in ſeinem Gar-
ten der Frau von der Recke vor, die von

Unart und Eigenſinn auslegt, ein innres Bangen
ſeiner Natur ſey. Die Angſt, von welcher das
Genie in Verhaͤltniſſen, die allen andern Men-
ſchen leicht und handlich ſind, oft ergriffen wird,
und die uns Rouſſeau ſo uͤberaus beredt geſchil-
dert hat, leidet mein Lieblingsdichter im Leben
unbeſchreiblich. Man glaubt es ihm nicht, weil
er ſo manches, das andre Menſchen wie eine un-
geheure Laſt druͤckt, leicht handhabt und bewegt.
Jſt nur ein Menſch gegenwaͤrtig, faſt haͤtt’ ich
geſagt nur ein Koͤrper, der mit ſeiner phyſiſchen
Natur in gar keiner Wahlverwandtſchaft ſteht, ſo
iſt dadurch ſein Genie wie gelaͤhmt. Da er zu-
gleich die menſchliche Freyheit ſtark in ſich fuͤhlt,
wird er verdrießlich, angſtvoll, daß er uͤber dieſe
Laͤhmung nicht Herr werden kann. Jch geſtehr,
daß es mich geſchmerzt hat, ihn ſo zu ſehen,
wenn die andern uͤber ſeinen vermeintlichen Hoch-
muth und ſeine Eigenſucht erbittert waren. Man
wird um ſo leichter uͤber ihn irre gefuͤhrt, weil
er nie ſein Herkommen aus einer angeſehenen
obrigkeitlichen Familie einer freyen Reichsſtadt in
ſeiner aͤußern Haltung verlengnet hat. Das Le-
ben an einem kleinen Hofe diente zur Bewahrung
dieſer reichsbuͤrgerlichen Feyerlichkeit und Repraͤ-
ſentation, ward bey ihm zur Folie derſelben.
„Behaͤlt er dann, fragte ich, dieſes repraͤſentive
Weſen auch in ſeiner Freude und Freundlichkeit,
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[218/0235] Mit Friedrich Nicolai hatte ich viel Umgang, er ſtellte mich auch in ſeinem Gar- ten der Frau von der Recke vor, die von *) *) Unart und Eigenſinn auslegt, ein innres Bangen ſeiner Natur ſey. Die Angſt, von welcher das Genie in Verhaͤltniſſen, die allen andern Men- ſchen leicht und handlich ſind, oft ergriffen wird, und die uns Rouſſeau ſo uͤberaus beredt geſchil- dert hat, leidet mein Lieblingsdichter im Leben unbeſchreiblich. Man glaubt es ihm nicht, weil er ſo manches, das andre Menſchen wie eine un- geheure Laſt druͤckt, leicht handhabt und bewegt. Jſt nur ein Menſch gegenwaͤrtig, faſt haͤtt’ ich geſagt nur ein Koͤrper, der mit ſeiner phyſiſchen Natur in gar keiner Wahlverwandtſchaft ſteht, ſo iſt dadurch ſein Genie wie gelaͤhmt. Da er zu- gleich die menſchliche Freyheit ſtark in ſich fuͤhlt, wird er verdrießlich, angſtvoll, daß er uͤber dieſe Laͤhmung nicht Herr werden kann. Jch geſtehr, daß es mich geſchmerzt hat, ihn ſo zu ſehen, wenn die andern uͤber ſeinen vermeintlichen Hoch- muth und ſeine Eigenſucht erbittert waren. Man wird um ſo leichter uͤber ihn irre gefuͤhrt, weil er nie ſein Herkommen aus einer angeſehenen obrigkeitlichen Familie einer freyen Reichsſtadt in ſeiner aͤußern Haltung verlengnet hat. Das Le- ben an einem kleinen Hofe diente zur Bewahrung dieſer reichsbuͤrgerlichen Feyerlichkeit und Repraͤ- ſentation, ward bey ihm zur Folie derſelben. „Behaͤlt er dann, fragte ich, dieſes repraͤſentive Weſen auch in ſeiner Freude und Freundlichkeit,

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/235>, abgerufen am 24.11.2024.