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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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arbeitenden Geschichte vorkam, und mir noch
bis jetzt die hochrothe Farbe widerlich macht.

Jch war in meinem eilften Jahr, und
da mein erster Hofmeister in der glänzenden
adlichen Condition das dünne der Vergol-
dung entdeckt hatte, so übernahm er von
neuem meinen kleinen bürgerlichen Kopf,
wurde zugleich mich im Französischen zu un-
terrichten beauftragt und fand dabey Ge-
legenheit, noch öftrer als ehemals mein rech-
tes Ohr zu suchen, zu dem sich der Weg
leichter als zu meinem Geiste finden ließ.

Daß mein Vater nicht an meiner Fähigkeit
zum Studiren verzweifelte, scheint mir noch
jetzt sonderbar, insonderheit, wenn er gehört
hatte, daß der einst durch seine Witzkunst
(art de bien penser dans les ouvrages
d'esprit
betittelt) bekannt gewordene Pater
Bouchours in seiner Jugend ein äußerst
dummer Junge gewesen, allein seit der
glücklichen Heilung eines Sturzes von einer
beträchtlichen Höhe ein witziger Kopf gewor-
den war; denn ich war etwa in meinem
dritten Jahre auch aus einem Fenster ge-
fallen und glücklich curirt, ohne ein offner
Kopf geworden zu seyn, vermuthlich weil
ich zu jung, oder das Fenster nicht hoch ge-

arbeitenden Geſchichte vorkam, und mir noch
bis jetzt die hochrothe Farbe widerlich macht.

Jch war in meinem eilften Jahr, und
da mein erſter Hofmeiſter in der glaͤnzenden
adlichen Condition das duͤnne der Vergol-
dung entdeckt hatte, ſo uͤbernahm er von
neuem meinen kleinen buͤrgerlichen Kopf,
wurde zugleich mich im Franzoͤſiſchen zu un-
terrichten beauftragt und fand dabey Ge-
legenheit, noch oͤftrer als ehemals mein rech-
tes Ohr zu ſuchen, zu dem ſich der Weg
leichter als zu meinem Geiſte finden ließ.

Daß mein Vater nicht an meiner Faͤhigkeit
zum Studiren verzweifelte, ſcheint mir noch
jetzt ſonderbar, inſonderheit, wenn er gehoͤrt
hatte, daß der einſt durch ſeine Witzkunſt
(art de bien penſer dans les ouvrages
d’esprit
betittelt) bekannt gewordene Pater
Bouchours in ſeiner Jugend ein aͤußerſt
dummer Junge geweſen, allein ſeit der
gluͤcklichen Heilung eines Sturzes von einer
betraͤchtlichen Hoͤhe ein witziger Kopf gewor-
den war; denn ich war etwa in meinem
dritten Jahre auch aus einem Fenſter ge-
fallen und gluͤcklich curirt, ohne ein offner
Kopf geworden zu ſeyn, vermuthlich weil
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[15/0032] arbeitenden Geſchichte vorkam, und mir noch bis jetzt die hochrothe Farbe widerlich macht. Jch war in meinem eilften Jahr, und da mein erſter Hofmeiſter in der glaͤnzenden adlichen Condition das duͤnne der Vergol- dung entdeckt hatte, ſo uͤbernahm er von neuem meinen kleinen buͤrgerlichen Kopf, wurde zugleich mich im Franzoͤſiſchen zu un- terrichten beauftragt und fand dabey Ge- legenheit, noch oͤftrer als ehemals mein rech- tes Ohr zu ſuchen, zu dem ſich der Weg leichter als zu meinem Geiſte finden ließ. Daß mein Vater nicht an meiner Faͤhigkeit zum Studiren verzweifelte, ſcheint mir noch jetzt ſonderbar, inſonderheit, wenn er gehoͤrt hatte, daß der einſt durch ſeine Witzkunſt (art de bien penſer dans les ouvrages d’esprit betittelt) bekannt gewordene Pater Bouchours in ſeiner Jugend ein aͤußerſt dummer Junge geweſen, allein ſeit der gluͤcklichen Heilung eines Sturzes von einer betraͤchtlichen Hoͤhe ein witziger Kopf gewor- den war; denn ich war etwa in meinem dritten Jahre auch aus einem Fenſter ge- fallen und gluͤcklich curirt, ohne ein offner Kopf geworden zu ſeyn, vermuthlich weil ich zu jung, oder das Fenſter nicht hoch ge-

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/32>, abgerufen am 23.11.2024.