Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben Aehnliches, das mehr im Empsinden
der Kraftabnahme besteht, als es wirklichen
Kraftgenuß zuläßt. Jndessen war es eine
Thorheit und Ungerechtigkeit zugleich, wenn
man sich über eine längere Dauer des Lebens
ärgern, oder nicht Gott auch für sie danken
wollte, besonders wenn das Lebvermögen
noch nicht so erschöpft ist, daß man blos
schwerfallen und drücken, aber gar nicht
tragen oder heben könnte.

Mit meinem Alter muß ich sehr zufrie-
den seyn, denn erlaubt es mir auch nicht,
aus freyer Hand zu geben, so doch mit
dankbarer zu empfangen und denen, die
sich mit mir unterhalten, nicht alles schul-
dig zu bleiben. Hab ich doch sogar zum
Ersatz meines Jugendfreundes L'Estocq
einen neuen Freund im General Freyherrn
von Valentini gewonnen, dessen Zu-
trauen in den vielen Zwiesprachen, während
seines hiesigen Aufenthalts, mir bis zu dem
Grade zu Theil geworden, daß er mir bey
seinem Ausmarsch zu den jetzt fast beendig-
ten Wunderkriege seine sämmtlichen Papiere
zurückgelassen.

Viele Wochen hat mich das Durchlesen
seines vieljährigen intereffanten Briefwechsels

Leben Aehnliches, das mehr im Empſinden
der Kraftabnahme beſteht, als es wirklichen
Kraftgenuß zulaͤßt. Jndeſſen war es eine
Thorheit und Ungerechtigkeit zugleich, wenn
man ſich uͤber eine laͤngere Dauer des Lebens
aͤrgern, oder nicht Gott auch fuͤr ſie danken
wollte, beſonders wenn das Lebvermoͤgen
noch nicht ſo erſchoͤpft iſt, daß man blos
ſchwerfallen und druͤcken, aber gar nicht
tragen oder heben koͤnnte.

Mit meinem Alter muß ich ſehr zufrie-
den ſeyn, denn erlaubt es mir auch nicht,
aus freyer Hand zu geben, ſo doch mit
dankbarer zu empfangen und denen, die
ſich mit mir unterhalten, nicht alles ſchul-
dig zu bleiben. Hab ich doch ſogar zum
Erſatz meines Jugendfreundes L’Estocq
einen neuen Freund im General Freyherrn
von Valentini gewonnen, deſſen Zu-
trauen in den vielen Zwieſprachen, waͤhrend
ſeines hieſigen Aufenthalts, mir bis zu dem
Grade zu Theil geworden, daß er mir bey
ſeinem Ausmarſch zu den jetzt faſt beendig-
ten Wunderkriege ſeine ſaͤmmtlichen Papiere
zuruͤckgelaſſen.

Viele Wochen hat mich das Durchleſen
ſeines vieljaͤhrigen intereffanten Briefwechſels

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0496" n="479"/>
Leben Aehnliches, das mehr im Emp&#x017F;inden<lb/>
der Kraftabnahme be&#x017F;teht, als es wirklichen<lb/>
Kraftgenuß zula&#x0364;ßt. Jnde&#x017F;&#x017F;en war es eine<lb/>
Thorheit und Ungerechtigkeit zugleich, wenn<lb/>
man &#x017F;ich u&#x0364;ber eine la&#x0364;ngere Dauer des Lebens<lb/>
a&#x0364;rgern, oder nicht Gott auch fu&#x0364;r &#x017F;ie danken<lb/>
wollte, be&#x017F;onders wenn das Lebvermo&#x0364;gen<lb/>
noch nicht &#x017F;o er&#x017F;cho&#x0364;pft i&#x017F;t, daß man blos<lb/>
&#x017F;chwerfallen und dru&#x0364;cken, aber gar nicht<lb/>
tragen oder heben ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
          <p>Mit meinem Alter muß ich &#x017F;ehr zufrie-<lb/>
den &#x017F;eyn, denn erlaubt es mir auch nicht,<lb/>
aus freyer Hand zu <hi rendition="#g">geben,</hi> &#x017F;o doch mit<lb/>
dankbarer zu <hi rendition="#g">empfangen</hi> und denen, die<lb/>
&#x017F;ich mit mir unterhalten, nicht <hi rendition="#g">alles</hi> &#x017F;chul-<lb/>
dig zu bleiben. Hab ich doch &#x017F;ogar zum<lb/>
Er&#x017F;atz meines Jugendfreundes <hi rendition="#aq">L&#x2019;Estocq</hi><lb/>
einen neuen Freund im General Freyherrn<lb/>
von <hi rendition="#g">Valentini</hi> gewonnen, de&#x017F;&#x017F;en Zu-<lb/>
trauen in den vielen Zwie&#x017F;prachen, wa&#x0364;hrend<lb/>
&#x017F;eines hie&#x017F;igen Aufenthalts, mir bis zu dem<lb/>
Grade zu Theil geworden, daß er mir bey<lb/>
&#x017F;einem Ausmar&#x017F;ch zu den jetzt fa&#x017F;t beendig-<lb/>
ten Wunderkriege &#x017F;eine &#x017F;a&#x0364;mmtlichen Papiere<lb/>
zuru&#x0364;ckgela&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Viele Wochen hat mich das Durchle&#x017F;en<lb/>
&#x017F;eines vielja&#x0364;hrigen intereffanten Briefwech&#x017F;els<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[479/0496] Leben Aehnliches, das mehr im Empſinden der Kraftabnahme beſteht, als es wirklichen Kraftgenuß zulaͤßt. Jndeſſen war es eine Thorheit und Ungerechtigkeit zugleich, wenn man ſich uͤber eine laͤngere Dauer des Lebens aͤrgern, oder nicht Gott auch fuͤr ſie danken wollte, beſonders wenn das Lebvermoͤgen noch nicht ſo erſchoͤpft iſt, daß man blos ſchwerfallen und druͤcken, aber gar nicht tragen oder heben koͤnnte. Mit meinem Alter muß ich ſehr zufrie- den ſeyn, denn erlaubt es mir auch nicht, aus freyer Hand zu geben, ſo doch mit dankbarer zu empfangen und denen, die ſich mit mir unterhalten, nicht alles ſchul- dig zu bleiben. Hab ich doch ſogar zum Erſatz meines Jugendfreundes L’Estocq einen neuen Freund im General Freyherrn von Valentini gewonnen, deſſen Zu- trauen in den vielen Zwieſprachen, waͤhrend ſeines hieſigen Aufenthalts, mir bis zu dem Grade zu Theil geworden, daß er mir bey ſeinem Ausmarſch zu den jetzt faſt beendig- ten Wunderkriege ſeine ſaͤmmtlichen Papiere zuruͤckgelaſſen. Viele Wochen hat mich das Durchleſen ſeines vieljaͤhrigen intereffanten Briefwechſels

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/496
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/496>, abgerufen am 25.11.2024.