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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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den Ideen, die in ihm sind, dadurch eine von ihrem Princip unabhän-
gige Existenz vergönnen, daß es sie als die Begriffe einzelner wirklicher
Dinge existiren läßt, sie in Leiber gestaltet. Hievon ist der Beweis
§§. 62 und 63 gegeben. Die Möglichkeit dieser objektiven Bildung ist
es nun, was wir darzuthun haben. Erst damit wird sich uns das
ganze Kunstsystem vollends entfalten.

Wir haben uns hier zu erinnern, daß die Philosophie der Kunst
die allgemeine Philosophie selbst ist, nur dargestellt in der Potenz der
Kunst. Wir werden also die Art, wie die Kunst ihren Ideen die Ob-
jektivität gibt, vollkommen nach der Weise begreifen, wie die Ideen ein-
zelner wirklicher Dinge in der Erscheinung objektiv werden, oder: die
gegenwärtige Aufgabe, den Uebergang der ästhetischen Idee in das con-
krete Kunstwerk zu begreifen, ist dieselbe, wie die allgemeine der
Philosophie überhaupt von der Erscheinung der Ideen durch besondere
Dinge. Natürlich können wir hier nur gewisse Sätze als durch die
allgemeine Philosophie gegeben annehmen, ohne sie zu beweisen, und
wir schicken in dieser Hinsicht folgenden Lehnsatz voran.

§. 70. (Lehnsatz.) Das Absolute wird in der Erschei-
nung durch die drei Einheiten objektiv, sofern diese nicht
in ihrer Absolutheit, sondern in ihrer relativen Differenz
als Potenzen aufgenommen und dadurch zum Symbol der
Idee werden
. Dieser Satz, da er nur Lehnsatz aus der allgemeinen
Philosophie ist, bedarf hier nur der Erläuterung.

Stoff und Form ist im Absoluten eins, es hat keinen Stoff des
Producirens als sich selbst in der Allheit seiner Formen. Erscheinen
aber kann es nicht, als wenn jede dieser Einheiten als besondere
Einheit zum Symbol von ihm wird. In der Absolutheit sind diese
Einheiten nicht von einander unterschieden; hier ist bloß Stoff, reine
Unendlichkeit und Idee. Sie können als die Urideen objektiv werden
nur, inwiefern jede sich selbst als besondere Einheit wieder zum
Leib, zum Gegenbild nimmt. Unmittelbar dadurch ist für die Erschei-
nung die Differenziirung dessen gesetzt, was im Absoluten eins ist. So
ist die erste der beiden Einheiten in ihrer Absolutheit Idee; inwiefern

den Ideen, die in ihm ſind, dadurch eine von ihrem Princip unabhän-
gige Exiſtenz vergönnen, daß es ſie als die Begriffe einzelner wirklicher
Dinge exiſtiren läßt, ſie in Leiber geſtaltet. Hievon iſt der Beweis
§§. 62 und 63 gegeben. Die Möglichkeit dieſer objektiven Bildung iſt
es nun, was wir darzuthun haben. Erſt damit wird ſich uns das
ganze Kunſtſyſtem vollends entfalten.

Wir haben uns hier zu erinnern, daß die Philoſophie der Kunſt
die allgemeine Philoſophie ſelbſt iſt, nur dargeſtellt in der Potenz der
Kunſt. Wir werden alſo die Art, wie die Kunſt ihren Ideen die Ob-
jektivität gibt, vollkommen nach der Weiſe begreifen, wie die Ideen ein-
zelner wirklicher Dinge in der Erſcheinung objektiv werden, oder: die
gegenwärtige Aufgabe, den Uebergang der äſthetiſchen Idee in das con-
krete Kunſtwerk zu begreifen, iſt dieſelbe, wie die allgemeine der
Philoſophie überhaupt von der Erſcheinung der Ideen durch beſondere
Dinge. Natürlich können wir hier nur gewiſſe Sätze als durch die
allgemeine Philoſophie gegeben annehmen, ohne ſie zu beweiſen, und
wir ſchicken in dieſer Hinſicht folgenden Lehnſatz voran.

§. 70. (Lehnſatz.) Das Abſolute wird in der Erſchei-
nung durch die drei Einheiten objektiv, ſofern dieſe nicht
in ihrer Abſolutheit, ſondern in ihrer relativen Differenz
als Potenzen aufgenommen und dadurch zum Symbol der
Idee werden
. Dieſer Satz, da er nur Lehnſatz aus der allgemeinen
Philoſophie iſt, bedarf hier nur der Erläuterung.

Stoff und Form iſt im Abſoluten eins, es hat keinen Stoff des
Producirens als ſich ſelbſt in der Allheit ſeiner Formen. Erſcheinen
aber kann es nicht, als wenn jede dieſer Einheiten als beſondere
Einheit zum Symbol von ihm wird. In der Abſolutheit ſind dieſe
Einheiten nicht von einander unterſchieden; hier iſt bloß Stoff, reine
Unendlichkeit und Idee. Sie können als die Urideen objektiv werden
nur, inwiefern jede ſich ſelbſt als beſondere Einheit wieder zum
Leib, zum Gegenbild nimmt. Unmittelbar dadurch iſt für die Erſchei-
nung die Differenziirung deſſen geſetzt, was im Abſoluten eins iſt. So
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[480/0156] den Ideen, die in ihm ſind, dadurch eine von ihrem Princip unabhän- gige Exiſtenz vergönnen, daß es ſie als die Begriffe einzelner wirklicher Dinge exiſtiren läßt, ſie in Leiber geſtaltet. Hievon iſt der Beweis §§. 62 und 63 gegeben. Die Möglichkeit dieſer objektiven Bildung iſt es nun, was wir darzuthun haben. Erſt damit wird ſich uns das ganze Kunſtſyſtem vollends entfalten. Wir haben uns hier zu erinnern, daß die Philoſophie der Kunſt die allgemeine Philoſophie ſelbſt iſt, nur dargeſtellt in der Potenz der Kunſt. Wir werden alſo die Art, wie die Kunſt ihren Ideen die Ob- jektivität gibt, vollkommen nach der Weiſe begreifen, wie die Ideen ein- zelner wirklicher Dinge in der Erſcheinung objektiv werden, oder: die gegenwärtige Aufgabe, den Uebergang der äſthetiſchen Idee in das con- krete Kunſtwerk zu begreifen, iſt dieſelbe, wie die allgemeine der Philoſophie überhaupt von der Erſcheinung der Ideen durch beſondere Dinge. Natürlich können wir hier nur gewiſſe Sätze als durch die allgemeine Philoſophie gegeben annehmen, ohne ſie zu beweiſen, und wir ſchicken in dieſer Hinſicht folgenden Lehnſatz voran. §. 70. (Lehnſatz.) Das Abſolute wird in der Erſchei- nung durch die drei Einheiten objektiv, ſofern dieſe nicht in ihrer Abſolutheit, ſondern in ihrer relativen Differenz als Potenzen aufgenommen und dadurch zum Symbol der Idee werden. Dieſer Satz, da er nur Lehnſatz aus der allgemeinen Philoſophie iſt, bedarf hier nur der Erläuterung. Stoff und Form iſt im Abſoluten eins, es hat keinen Stoff des Producirens als ſich ſelbſt in der Allheit ſeiner Formen. Erſcheinen aber kann es nicht, als wenn jede dieſer Einheiten als beſondere Einheit zum Symbol von ihm wird. In der Abſolutheit ſind dieſe Einheiten nicht von einander unterſchieden; hier iſt bloß Stoff, reine Unendlichkeit und Idee. Sie können als die Urideen objektiv werden nur, inwiefern jede ſich ſelbſt als beſondere Einheit wieder zum Leib, zum Gegenbild nimmt. Unmittelbar dadurch iſt für die Erſchei- nung die Differenziirung deſſen geſetzt, was im Abſoluten eins iſt. So iſt die erſte der beiden Einheiten in ihrer Abſolutheit Idee; inwiefern

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/156>, abgerufen am 21.11.2024.