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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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der Plastik nur nach dem Gesetz und Grund der Kunsttriebe stattfinden
können.

Wir haben jetzt also dieses zu bestimmen.

In der Naturphilosophie ist bewiesen, daß der sogenannte Kunst-
trieb der Thiere nichts anderes als eine bestimmte Richtung oder Mo-
dification des allgemeinen Bildungstriebs ist; und der vornehmste Be-
weis, den ich hier anführen kann, ist, daß der Kunsttrieb in den
meisten Gattungen als Aequivalent des Zeugungstriebs auftritt. So
sind es die geschlechtslosen Bienen, die nach außen die anorgischen
Massen ihrer Zellen produciren. In andern Gattungen begleiten die
Erscheinungen des Kunsttriebs die der Metamorphose oder der Geschlechts-
entwicklung, so daß mit dem entwickelten Geschlecht auch der Kunsttrieb
verschwindet. In andern Gattungen gehen die Aeußerungen des Kunst-
triebs der Zeit der Begattung voran. -- Schon die bisherige Betrach-
tung führt uns darauf, eine gewisse Identität zwischen den Produkten
und dem Producirenden in allen Fällen des Kunsttriebs zu erkennen.
Die Biene producirt aus sich selbst den Stoff ihres Gebäudes, die
Spinne und der Seidenwurm ziehen die Fäden ihres Gespinnstes aus
sich selbst. Ja wenn wir noch tiefer heruntergehen, so verliert sich der
Kunsttrieb ganz in anorgische Absätze nach außen, die mit dem Pro-
ducirenden oder dem Thiere in Cohäsion bleiben. Von dieser Art sind
die Produkte der Polypen, die die Korallen bewohnen, die Schalen der
Mollusken und Austern, ja selbst die steinartigen und harten Be-
deckungen mancher Insekten, wie des Krebses, dem deßhalb der Kunst-
trieb versagt ist, der sich bei ihm ganz in die Produktion jener Be-
deckungen verliert. Die Identität zwischen Producirendem und Produ-
cirtem findet hier in dem Maße statt, daß wir, wie Steffens gezeigt
hat, diese Produktionen als das nach außen gekehrte Knochengerüste
der unteren Thiergattungen betrachten können. Erst auf den höheren
Stufen der Organisation gelingt es der Natur diese anorgische Masse
nach innen zurückzudrängen und den Gesetzen des Organismus zu unter-
werfen. Sowie dieß einigermaßen erreicht ist, z. B. in den Vögeln,
wo übrigens das Knochensystem noch sehr unvollkommen ausgeführt ist,

der Plaſtik nur nach dem Geſetz und Grund der Kunſttriebe ſtattfinden
können.

Wir haben jetzt alſo dieſes zu beſtimmen.

In der Naturphiloſophie iſt bewieſen, daß der ſogenannte Kunſt-
trieb der Thiere nichts anderes als eine beſtimmte Richtung oder Mo-
dification des allgemeinen Bildungstriebs iſt; und der vornehmſte Be-
weis, den ich hier anführen kann, iſt, daß der Kunſttrieb in den
meiſten Gattungen als Aequivalent des Zeugungstriebs auftritt. So
ſind es die geſchlechtsloſen Bienen, die nach außen die anorgiſchen
Maſſen ihrer Zellen produciren. In andern Gattungen begleiten die
Erſcheinungen des Kunſttriebs die der Metamorphoſe oder der Geſchlechts-
entwicklung, ſo daß mit dem entwickelten Geſchlecht auch der Kunſttrieb
verſchwindet. In andern Gattungen gehen die Aeußerungen des Kunſt-
triebs der Zeit der Begattung voran. — Schon die bisherige Betrach-
tung führt uns darauf, eine gewiſſe Identität zwiſchen den Produkten
und dem Producirenden in allen Fällen des Kunſttriebs zu erkennen.
Die Biene producirt aus ſich ſelbſt den Stoff ihres Gebäudes, die
Spinne und der Seidenwurm ziehen die Fäden ihres Geſpinnſtes aus
ſich ſelbſt. Ja wenn wir noch tiefer heruntergehen, ſo verliert ſich der
Kunſttrieb ganz in anorgiſche Abſätze nach außen, die mit dem Pro-
ducirenden oder dem Thiere in Cohäſion bleiben. Von dieſer Art ſind
die Produkte der Polypen, die die Korallen bewohnen, die Schalen der
Mollusken und Auſtern, ja ſelbſt die ſteinartigen und harten Be-
deckungen mancher Inſekten, wie des Krebſes, dem deßhalb der Kunſt-
trieb verſagt iſt, der ſich bei ihm ganz in die Produktion jener Be-
deckungen verliert. Die Identität zwiſchen Producirendem und Produ-
cirtem findet hier in dem Maße ſtatt, daß wir, wie Steffens gezeigt
hat, dieſe Produktionen als das nach außen gekehrte Knochengerüſte
der unteren Thiergattungen betrachten können. Erſt auf den höheren
Stufen der Organiſation gelingt es der Natur dieſe anorgiſche Maſſe
nach innen zurückzudrängen und den Geſetzen des Organismus zu unter-
werfen. Sowie dieß einigermaßen erreicht iſt, z. B. in den Vögeln,
wo übrigens das Knochenſyſtem noch ſehr unvollkommen ausgeführt iſt,

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[573/0249] der Plaſtik nur nach dem Geſetz und Grund der Kunſttriebe ſtattfinden können. Wir haben jetzt alſo dieſes zu beſtimmen. In der Naturphiloſophie iſt bewieſen, daß der ſogenannte Kunſt- trieb der Thiere nichts anderes als eine beſtimmte Richtung oder Mo- dification des allgemeinen Bildungstriebs iſt; und der vornehmſte Be- weis, den ich hier anführen kann, iſt, daß der Kunſttrieb in den meiſten Gattungen als Aequivalent des Zeugungstriebs auftritt. So ſind es die geſchlechtsloſen Bienen, die nach außen die anorgiſchen Maſſen ihrer Zellen produciren. In andern Gattungen begleiten die Erſcheinungen des Kunſttriebs die der Metamorphoſe oder der Geſchlechts- entwicklung, ſo daß mit dem entwickelten Geſchlecht auch der Kunſttrieb verſchwindet. In andern Gattungen gehen die Aeußerungen des Kunſt- triebs der Zeit der Begattung voran. — Schon die bisherige Betrach- tung führt uns darauf, eine gewiſſe Identität zwiſchen den Produkten und dem Producirenden in allen Fällen des Kunſttriebs zu erkennen. Die Biene producirt aus ſich ſelbſt den Stoff ihres Gebäudes, die Spinne und der Seidenwurm ziehen die Fäden ihres Geſpinnſtes aus ſich ſelbſt. Ja wenn wir noch tiefer heruntergehen, ſo verliert ſich der Kunſttrieb ganz in anorgiſche Abſätze nach außen, die mit dem Pro- ducirenden oder dem Thiere in Cohäſion bleiben. Von dieſer Art ſind die Produkte der Polypen, die die Korallen bewohnen, die Schalen der Mollusken und Auſtern, ja ſelbſt die ſteinartigen und harten Be- deckungen mancher Inſekten, wie des Krebſes, dem deßhalb der Kunſt- trieb verſagt iſt, der ſich bei ihm ganz in die Produktion jener Be- deckungen verliert. Die Identität zwiſchen Producirendem und Produ- cirtem findet hier in dem Maße ſtatt, daß wir, wie Steffens gezeigt hat, dieſe Produktionen als das nach außen gekehrte Knochengerüſte der unteren Thiergattungen betrachten können. Erſt auf den höheren Stufen der Organiſation gelingt es der Natur dieſe anorgiſche Maſſe nach innen zurückzudrängen und den Geſetzen des Organismus zu unter- werfen. Sowie dieß einigermaßen erreicht iſt, z. B. in den Vögeln, wo übrigens das Knochenſyſtem noch ſehr unvollkommen ausgeführt iſt,

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/249>, abgerufen am 21.11.2024.