erscheint die anorgische Masse nicht mehr in unmittelbarer Identität mit dem Producirenden, aber sie tritt doch nicht gänzlich aus der Co- härenz mit ihm. Der Kunsttrieb äußert sich freier in dem Nesterbauen der Vögel, es findet hier eine scheinbare Wahl statt, und das Produkt empfängt den Abdruck eines höheren, inneren Lebens.
Noch weiter geht diese scheinbare Freiheit in Bildung eines von dem organischen Wesen unabhängigen, obgleich zu ihm gehörigen Pro- dukts in dem Bau des Bibers.
Fassen wir alle Verhältnisse zusammen, so ergibt sich von selbst das Gesetz, daß das Organische das Anorgische überall nur in der Identität oder in der Beziehung auf sich selbst producirt, und wenn wir die Anwendung auf den höheren Fall, die Produktion des An- orgischen durch menschliche Kunst, machen, daß das Anorgische, weil es an und für sich keine symbolische Bedeutung haben kann, sie in der Produktion durch menschliche Kunst, durch die Beziehung auf den Menschen und die Identität mit ihm erhalten muß, und daß also, da diese Beziehung und mög- liche Identität, bei der Vollendung der menschlichen Natur in sich, nicht eine unmittelbare, körperliche, sondern nur eine mittelbare, durch den Begriff vermittelte Beziehung seyn kann, daß -- aus diesen Grün- den -- die Plastik, inwiefern sie im Anorgischen producirt, etwas Aeußeres in der Beziehung auf den Menschen und sein Bedürfniß stehendes, und doch sowohl von ihm Unabhängiges als an sich Schö- nes produciren muß, und weil dieß nur in der Architektur der Fall seyn kann, so folgt, daß sie demnach Architektur seyn muß.
Verschiedene Anmerkungen.
1) Daß Architektur = Musik, folgt vorerst nur aus dem gemein- samen Begriff des Anorgischen. Denn die Musik ist allgemein die anorgische Kunstform.
2) Eine Frage, welche uns die angegebene Construktion der Archi- tektur von selbst aufdringt, ist: inwiefern eine Kunst, die dem Bedürf- niß untergeordnet einem Zweck außer ihr dient, unter die schönen Künste gezählt werden könne. Schöne Kunst ist in sich absolut, also
erſcheint die anorgiſche Maſſe nicht mehr in unmittelbarer Identität mit dem Producirenden, aber ſie tritt doch nicht gänzlich aus der Co- härenz mit ihm. Der Kunſttrieb äußert ſich freier in dem Neſterbauen der Vögel, es findet hier eine ſcheinbare Wahl ſtatt, und das Produkt empfängt den Abdruck eines höheren, inneren Lebens.
Noch weiter geht dieſe ſcheinbare Freiheit in Bildung eines von dem organiſchen Weſen unabhängigen, obgleich zu ihm gehörigen Pro- dukts in dem Bau des Bibers.
Faſſen wir alle Verhältniſſe zuſammen, ſo ergibt ſich von ſelbſt das Geſetz, daß das Organiſche das Anorgiſche überall nur in der Identität oder in der Beziehung auf ſich ſelbſt producirt, und wenn wir die Anwendung auf den höheren Fall, die Produktion des An- orgiſchen durch menſchliche Kunſt, machen, daß das Anorgiſche, weil es an und für ſich keine ſymboliſche Bedeutung haben kann, ſie in der Produktion durch menſchliche Kunſt, durch die Beziehung auf den Menſchen und die Identität mit ihm erhalten muß, und daß alſo, da dieſe Beziehung und mög- liche Identität, bei der Vollendung der menſchlichen Natur in ſich, nicht eine unmittelbare, körperliche, ſondern nur eine mittelbare, durch den Begriff vermittelte Beziehung ſeyn kann, daß — aus dieſen Grün- den — die Plaſtik, inwiefern ſie im Anorgiſchen producirt, etwas Aeußeres in der Beziehung auf den Menſchen und ſein Bedürfniß ſtehendes, und doch ſowohl von ihm Unabhängiges als an ſich Schö- nes produciren muß, und weil dieß nur in der Architektur der Fall ſeyn kann, ſo folgt, daß ſie demnach Architektur ſeyn muß.
Verſchiedene Anmerkungen.
1) Daß Architektur = Muſik, folgt vorerſt nur aus dem gemein- ſamen Begriff des Anorgiſchen. Denn die Muſik iſt allgemein die anorgiſche Kunſtform.
2) Eine Frage, welche uns die angegebene Conſtruktion der Archi- tektur von ſelbſt aufdringt, iſt: inwiefern eine Kunſt, die dem Bedürf- niß untergeordnet einem Zweck außer ihr dient, unter die ſchönen Künſte gezählt werden könne. Schöne Kunſt iſt in ſich abſolut, alſo
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erſcheint die anorgiſche Maſſe nicht mehr in unmittelbarer Identität
mit dem Producirenden, aber ſie tritt doch nicht gänzlich aus der Co-
härenz mit ihm. Der Kunſttrieb äußert ſich freier in dem Neſterbauen
der Vögel, es findet hier eine ſcheinbare Wahl ſtatt, und das Produkt
empfängt den Abdruck eines höheren, inneren Lebens.
Noch weiter geht dieſe ſcheinbare Freiheit in Bildung eines von
dem organiſchen Weſen unabhängigen, obgleich zu ihm gehörigen Pro-
dukts in dem Bau des Bibers.
Faſſen wir alle Verhältniſſe zuſammen, ſo ergibt ſich von ſelbſt
das Geſetz, daß das Organiſche das Anorgiſche überall nur in der
Identität oder in der Beziehung auf ſich ſelbſt producirt, und wenn
wir die Anwendung auf den höheren Fall, die Produktion des An-
orgiſchen durch menſchliche Kunſt, machen, daß das Anorgiſche,
weil es an und für ſich keine ſymboliſche Bedeutung haben
kann, ſie in der Produktion durch menſchliche Kunſt, durch
die Beziehung auf den Menſchen und die Identität mit
ihm erhalten muß, und daß alſo, da dieſe Beziehung und mög-
liche Identität, bei der Vollendung der menſchlichen Natur in ſich,
nicht eine unmittelbare, körperliche, ſondern nur eine mittelbare, durch
den Begriff vermittelte Beziehung ſeyn kann, daß — aus dieſen Grün-
den — die Plaſtik, inwiefern ſie im Anorgiſchen producirt, etwas
Aeußeres in der Beziehung auf den Menſchen und ſein Bedürfniß
ſtehendes, und doch ſowohl von ihm Unabhängiges als an ſich Schö-
nes produciren muß, und weil dieß nur in der Architektur der Fall
ſeyn kann, ſo folgt, daß ſie demnach Architektur ſeyn muß.
Verſchiedene Anmerkungen.
1) Daß Architektur = Muſik, folgt vorerſt nur aus dem gemein-
ſamen Begriff des Anorgiſchen. Denn die Muſik iſt allgemein die
anorgiſche Kunſtform.
2) Eine Frage, welche uns die angegebene Conſtruktion der Archi-
tektur von ſelbſt aufdringt, iſt: inwiefern eine Kunſt, die dem Bedürf-
niß untergeordnet einem Zweck außer ihr dient, unter die ſchönen
Künſte gezählt werden könne. Schöne Kunſt iſt in ſich abſolut, alſo
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/250>, abgerufen am 24.11.2024.
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