dennoch den Charakter der Wissenschaft trage, und ihr Höchstes die Wahrheit sey, so ist zu bemerken, daß die Bestimmung der Philo- sophie als Wissenschaft bloß ihre formelle Bestimmung ist. Sie ist Wissenschaft, aber von der Art, daß in ihr Wahrheit, Güte und Schönheit, also Wissenschaft, Tugend und Kunst selbst sich durchdringen; insofern ist sie also auch nicht Wissenschaft, sondern ein Gemein- sames der Wissenschaft, der Tugend und Kunst. Dieß ihr großer Un- terschied von allen andern Wissenschaften. Mathematik z. B. macht eben keine besonderen sittlichen Forderungen. Philosophie fordert Cha- rakter, und zwar von bestimmter sittlicher Höhe und Energie. Ebenso ist ohne alle Kunst und Erkenntniß der Schönheit Philosophie undenkbar.
2) Der Wahrheit entspricht die Nothwendigkeit, der Güte die Freiheit. Unsere Erklärung der Schönheit, sie sey die Ineinsbildung des Realen und Idealen, sofern sie im Gegenbild dargestellt ist, schließt also auch die in sich: Schönheit ist Indifferenz der Freiheit und der Nothwendigkeit, in einem Realen angeschaut. Wir nennen z. B. schön eine Gestalt, in deren Entwurf die Natur mit der größten Freiheit und der erhabensten Besonnenheit, jedoch immer in den Formen, den Grenzen der strengsten Nothwendigkeit und Gesetzmäßig- keit gespielt zu haben scheint. Schön ist ein Gedicht, in welchem die höchste Freiheit sich selbst wieder in der Nothwendigkeit faßt. Kunst demnach eine absolute Synthese oder Wechseldurchdringung der Freiheit und der Nothwendigkeit.
Nun zu den übrigen Verhältnissen des Kunstwerks.
§. 17. In der idealen Welt verhält sich die Philoso- phie ebenso zur Kunst, wie in der realen die Vernunft zum Organismus. -- Denn wie die Vernunft unmittelbar nur durch den Organismus objektiv wird, und die ewigen Vernunftideen als Seelen organischer Leiber objektiv werden in der Natur, so wird die Philosophie unmittelbar durch die Kunst, und so werden auch die Ideen der Philosophie durch die Kunst als Seelen wirklicher Dinge objektiv. Eben daher verhält sich dann auch Kunst in der idealen Welt, wie sich Organismus in der realen verhält.
dennoch den Charakter der Wiſſenſchaft trage, und ihr Höchſtes die Wahrheit ſey, ſo iſt zu bemerken, daß die Beſtimmung der Philo- ſophie als Wiſſenſchaft bloß ihre formelle Beſtimmung iſt. Sie iſt Wiſſenſchaft, aber von der Art, daß in ihr Wahrheit, Güte und Schönheit, alſo Wiſſenſchaft, Tugend und Kunſt ſelbſt ſich durchdringen; inſofern iſt ſie alſo auch nicht Wiſſenſchaft, ſondern ein Gemein- ſames der Wiſſenſchaft, der Tugend und Kunſt. Dieß ihr großer Un- terſchied von allen andern Wiſſenſchaften. Mathematik z. B. macht eben keine beſonderen ſittlichen Forderungen. Philoſophie fordert Cha- rakter, und zwar von beſtimmter ſittlicher Höhe und Energie. Ebenſo iſt ohne alle Kunſt und Erkenntniß der Schönheit Philoſophie undenkbar.
2) Der Wahrheit entſpricht die Nothwendigkeit, der Güte die Freiheit. Unſere Erklärung der Schönheit, ſie ſey die Ineinsbildung des Realen und Idealen, ſofern ſie im Gegenbild dargeſtellt iſt, ſchließt alſo auch die in ſich: Schönheit iſt Indifferenz der Freiheit und der Nothwendigkeit, in einem Realen angeſchaut. Wir nennen z. B. ſchön eine Geſtalt, in deren Entwurf die Natur mit der größten Freiheit und der erhabenſten Beſonnenheit, jedoch immer in den Formen, den Grenzen der ſtrengſten Nothwendigkeit und Geſetzmäßig- keit geſpielt zu haben ſcheint. Schön iſt ein Gedicht, in welchem die höchſte Freiheit ſich ſelbſt wieder in der Nothwendigkeit faßt. Kunſt demnach eine abſolute Syntheſe oder Wechſeldurchdringung der Freiheit und der Nothwendigkeit.
Nun zu den übrigen Verhältniſſen des Kunſtwerks.
§. 17. In der idealen Welt verhält ſich die Philoſo- phie ebenſo zur Kunſt, wie in der realen die Vernunft zum Organismus. — Denn wie die Vernunft unmittelbar nur durch den Organismus objektiv wird, und die ewigen Vernunftideen als Seelen organiſcher Leiber objektiv werden in der Natur, ſo wird die Philoſophie unmittelbar durch die Kunſt, und ſo werden auch die Ideen der Philoſophie durch die Kunſt als Seelen wirklicher Dinge objektiv. Eben daher verhält ſich dann auch Kunſt in der idealen Welt, wie ſich Organismus in der realen verhält.
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dennoch den Charakter der Wiſſenſchaft trage, und ihr Höchſtes die
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ſophie als Wiſſenſchaft bloß ihre formelle Beſtimmung iſt. Sie iſt
Wiſſenſchaft, aber von der Art, daß in ihr Wahrheit, Güte und
Schönheit, alſo Wiſſenſchaft, Tugend und Kunſt ſelbſt ſich durchdringen;
inſofern iſt ſie alſo auch nicht Wiſſenſchaft, ſondern ein Gemein-
ſames der Wiſſenſchaft, der Tugend und Kunſt. Dieß ihr großer Un-
terſchied von allen andern Wiſſenſchaften. Mathematik z. B. macht
eben keine beſonderen ſittlichen Forderungen. Philoſophie fordert Cha-
rakter, und zwar von beſtimmter ſittlicher Höhe und Energie. Ebenſo iſt
ohne alle Kunſt und Erkenntniß der Schönheit Philoſophie undenkbar.
2) Der Wahrheit entſpricht die Nothwendigkeit, der Güte die
Freiheit. Unſere Erklärung der Schönheit, ſie ſey die Ineinsbildung
des Realen und Idealen, ſofern ſie im Gegenbild dargeſtellt iſt,
ſchließt alſo auch die in ſich: Schönheit iſt Indifferenz der Freiheit
und der Nothwendigkeit, in einem Realen angeſchaut. Wir nennen
z. B. ſchön eine Geſtalt, in deren Entwurf die Natur mit der größten
Freiheit und der erhabenſten Beſonnenheit, jedoch immer in den
Formen, den Grenzen der ſtrengſten Nothwendigkeit und Geſetzmäßig-
keit geſpielt zu haben ſcheint. Schön iſt ein Gedicht, in welchem die
höchſte Freiheit ſich ſelbſt wieder in der Nothwendigkeit faßt. Kunſt
demnach eine abſolute Syntheſe oder Wechſeldurchdringung der Freiheit
und der Nothwendigkeit.
Nun zu den übrigen Verhältniſſen des Kunſtwerks.
§. 17. In der idealen Welt verhält ſich die Philoſo-
phie ebenſo zur Kunſt, wie in der realen die Vernunft
zum Organismus. — Denn wie die Vernunft unmittelbar nur
durch den Organismus objektiv wird, und die ewigen Vernunftideen
als Seelen organiſcher Leiber objektiv werden in der Natur, ſo wird
die Philoſophie unmittelbar durch die Kunſt, und ſo werden auch die
Ideen der Philoſophie durch die Kunſt als Seelen wirklicher Dinge
objektiv. Eben daher verhält ſich dann auch Kunſt in der idealen Welt,
wie ſich Organismus in der realen verhält.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/59>, abgerufen am 21.11.2024.
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