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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Anmerkung. Dieser Satz bedarf keiner Erläuterung, um so
mehr, da die folgenden Sätze dienen werden, ihn noch weiter ins Licht
zu stellen. -- Die Idee der Götter ist nothwendig für die Kunst. Die
wissenschaftliche Construktion derselben führt uns eben dahin zurück,
wohin der Instinkt die Poesie in ihrem ersten Beginn schon geführt
hat. Was für die Philosophie Ideen sind, sind für die Kunst Götter,
und umgekehrt.

§. 29. Die absolute Realität der Götter folgtunmit-
telbar aus ihrer absoluten Idealität
. -- Denn sie sind ab-
solut, im Absoluten aber ist Idealität und Realität eins, absolute
Möglichkeit = absolute Wirklichkeit. Die höchste Identität ist unmit-
telbar die höchste Objektivität.

Wer sich noch nicht zu dem Punkte erhoben hat, daß ihm das
absolut Ideale unmittelbar und eben darum auch das absolute Reale
ist, ist weder des philosophischen noch des poetischen Sinns fähig. Die
Frage nach einer Wirklichkeit, wie sie im gemeinen Bewußtseyn gemacht
wird, hat in Ansehung dessen, was absolut ist, gar keine Bedeutung,
im Poetischen so wenig als im Philosophischen. Diese Wirklichkeit ist
keine wahre Wirklichkeit, vielmehr im wahren Sinn Nichtwirklichkeit.

Alle Gestalten der Kunst, also vornämlich die Götter sind wirk-
lich
, weil sie möglich sind. Wer noch fragen kann, wie so hoch ge-
bildete Geister als die Griechen an die Wirklichkeit der Götter haben
glauben können, wie Sokrates Opfer anbefohlen, der Sokratiker
Xenophon als Heerführer bei dem berühmten Rückzug selbst habe
opfern können u. s. w., -- wer solche Fragen macht, beweist nur, daß
er selbst nicht auf dem Punkt der Bildung angekommen ist, auf dem
eben das Ideale das Wirkliche und viel wirklicher als das sogenannte
Wirkliche selbst ist. In dem Sinn, wie etwa ein gemeiner Verstand
an die Wirklichkeit der sinnlichen Dinge glaubt, haben jene Menschen
die Götter überhaupt nicht genommen und weder für wirklich noch für
nicht wirklich gehalten. In dem höheren Sinne waren sie den Griechen
reeller als jedes andere Reelle.

§. 30. Reine Begrenzung von der einen und unge-

Anmerkung. Dieſer Satz bedarf keiner Erläuterung, um ſo
mehr, da die folgenden Sätze dienen werden, ihn noch weiter ins Licht
zu ſtellen. — Die Idee der Götter iſt nothwendig für die Kunſt. Die
wiſſenſchaftliche Conſtruktion derſelben führt uns eben dahin zurück,
wohin der Inſtinkt die Poeſie in ihrem erſten Beginn ſchon geführt
hat. Was für die Philoſophie Ideen ſind, ſind für die Kunſt Götter,
und umgekehrt.

§. 29. Die abſolute Realität der Götter folgtunmit-
telbar aus ihrer abſoluten Idealität
. — Denn ſie ſind ab-
ſolut, im Abſoluten aber iſt Idealität und Realität eins, abſolute
Möglichkeit = abſolute Wirklichkeit. Die höchſte Identität iſt unmit-
telbar die höchſte Objektivität.

Wer ſich noch nicht zu dem Punkte erhoben hat, daß ihm das
abſolut Ideale unmittelbar und eben darum auch das abſolute Reale
iſt, iſt weder des philoſophiſchen noch des poetiſchen Sinns fähig. Die
Frage nach einer Wirklichkeit, wie ſie im gemeinen Bewußtſeyn gemacht
wird, hat in Anſehung deſſen, was abſolut iſt, gar keine Bedeutung,
im Poetiſchen ſo wenig als im Philoſophiſchen. Dieſe Wirklichkeit iſt
keine wahre Wirklichkeit, vielmehr im wahren Sinn Nichtwirklichkeit.

Alle Geſtalten der Kunſt, alſo vornämlich die Götter ſind wirk-
lich
, weil ſie möglich ſind. Wer noch fragen kann, wie ſo hoch ge-
bildete Geiſter als die Griechen an die Wirklichkeit der Götter haben
glauben können, wie Sokrates Opfer anbefohlen, der Sokratiker
Xenophon als Heerführer bei dem berühmten Rückzug ſelbſt habe
opfern können u. ſ. w., — wer ſolche Fragen macht, beweist nur, daß
er ſelbſt nicht auf dem Punkt der Bildung angekommen iſt, auf dem
eben das Ideale das Wirkliche und viel wirklicher als das ſogenannte
Wirkliche ſelbſt iſt. In dem Sinn, wie etwa ein gemeiner Verſtand
an die Wirklichkeit der ſinnlichen Dinge glaubt, haben jene Menſchen
die Götter überhaupt nicht genommen und weder für wirklich noch für
nicht wirklich gehalten. In dem höheren Sinne waren ſie den Griechen
reeller als jedes andere Reelle.

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[391/0067] Anmerkung. Dieſer Satz bedarf keiner Erläuterung, um ſo mehr, da die folgenden Sätze dienen werden, ihn noch weiter ins Licht zu ſtellen. — Die Idee der Götter iſt nothwendig für die Kunſt. Die wiſſenſchaftliche Conſtruktion derſelben führt uns eben dahin zurück, wohin der Inſtinkt die Poeſie in ihrem erſten Beginn ſchon geführt hat. Was für die Philoſophie Ideen ſind, ſind für die Kunſt Götter, und umgekehrt. §. 29. Die abſolute Realität der Götter folgtunmit- telbar aus ihrer abſoluten Idealität. — Denn ſie ſind ab- ſolut, im Abſoluten aber iſt Idealität und Realität eins, abſolute Möglichkeit = abſolute Wirklichkeit. Die höchſte Identität iſt unmit- telbar die höchſte Objektivität. Wer ſich noch nicht zu dem Punkte erhoben hat, daß ihm das abſolut Ideale unmittelbar und eben darum auch das abſolute Reale iſt, iſt weder des philoſophiſchen noch des poetiſchen Sinns fähig. Die Frage nach einer Wirklichkeit, wie ſie im gemeinen Bewußtſeyn gemacht wird, hat in Anſehung deſſen, was abſolut iſt, gar keine Bedeutung, im Poetiſchen ſo wenig als im Philoſophiſchen. Dieſe Wirklichkeit iſt keine wahre Wirklichkeit, vielmehr im wahren Sinn Nichtwirklichkeit. Alle Geſtalten der Kunſt, alſo vornämlich die Götter ſind wirk- lich, weil ſie möglich ſind. Wer noch fragen kann, wie ſo hoch ge- bildete Geiſter als die Griechen an die Wirklichkeit der Götter haben glauben können, wie Sokrates Opfer anbefohlen, der Sokratiker Xenophon als Heerführer bei dem berühmten Rückzug ſelbſt habe opfern können u. ſ. w., — wer ſolche Fragen macht, beweist nur, daß er ſelbſt nicht auf dem Punkt der Bildung angekommen iſt, auf dem eben das Ideale das Wirkliche und viel wirklicher als das ſogenannte Wirkliche ſelbſt iſt. In dem Sinn, wie etwa ein gemeiner Verſtand an die Wirklichkeit der ſinnlichen Dinge glaubt, haben jene Menſchen die Götter überhaupt nicht genommen und weder für wirklich noch für nicht wirklich gehalten. In dem höheren Sinne waren ſie den Griechen reeller als jedes andere Reelle. §. 30. Reine Begrenzung von der einen und unge-

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/67>, abgerufen am 21.11.2024.