Anmerkung. Dieser Satz bedarf keiner Erläuterung, um so mehr, da die folgenden Sätze dienen werden, ihn noch weiter ins Licht zu stellen. -- Die Idee der Götter ist nothwendig für die Kunst. Die wissenschaftliche Construktion derselben führt uns eben dahin zurück, wohin der Instinkt die Poesie in ihrem ersten Beginn schon geführt hat. Was für die Philosophie Ideen sind, sind für die Kunst Götter, und umgekehrt.
§. 29. Die absolute Realität der Götter folgtunmit- telbar aus ihrer absoluten Idealität. -- Denn sie sind ab- solut, im Absoluten aber ist Idealität und Realität eins, absolute Möglichkeit = absolute Wirklichkeit. Die höchste Identität ist unmit- telbar die höchste Objektivität.
Wer sich noch nicht zu dem Punkte erhoben hat, daß ihm das absolut Ideale unmittelbar und eben darum auch das absolute Reale ist, ist weder des philosophischen noch des poetischen Sinns fähig. Die Frage nach einer Wirklichkeit, wie sie im gemeinen Bewußtseyn gemacht wird, hat in Ansehung dessen, was absolut ist, gar keine Bedeutung, im Poetischen so wenig als im Philosophischen. Diese Wirklichkeit ist keine wahre Wirklichkeit, vielmehr im wahren Sinn Nichtwirklichkeit.
Alle Gestalten der Kunst, also vornämlich die Götter sind wirk- lich, weil sie möglich sind. Wer noch fragen kann, wie so hoch ge- bildete Geister als die Griechen an die Wirklichkeit der Götter haben glauben können, wie Sokrates Opfer anbefohlen, der Sokratiker Xenophon als Heerführer bei dem berühmten Rückzug selbst habe opfern können u. s. w., -- wer solche Fragen macht, beweist nur, daß er selbst nicht auf dem Punkt der Bildung angekommen ist, auf dem eben das Ideale das Wirkliche und viel wirklicher als das sogenannte Wirkliche selbst ist. In dem Sinn, wie etwa ein gemeiner Verstand an die Wirklichkeit der sinnlichen Dinge glaubt, haben jene Menschen die Götter überhaupt nicht genommen und weder für wirklich noch für nicht wirklich gehalten. In dem höheren Sinne waren sie den Griechen reeller als jedes andere Reelle.
§. 30. Reine Begrenzung von der einen und unge-
Anmerkung. Dieſer Satz bedarf keiner Erläuterung, um ſo mehr, da die folgenden Sätze dienen werden, ihn noch weiter ins Licht zu ſtellen. — Die Idee der Götter iſt nothwendig für die Kunſt. Die wiſſenſchaftliche Conſtruktion derſelben führt uns eben dahin zurück, wohin der Inſtinkt die Poeſie in ihrem erſten Beginn ſchon geführt hat. Was für die Philoſophie Ideen ſind, ſind für die Kunſt Götter, und umgekehrt.
§. 29. Die abſolute Realität der Götter folgtunmit- telbar aus ihrer abſoluten Idealität. — Denn ſie ſind ab- ſolut, im Abſoluten aber iſt Idealität und Realität eins, abſolute Möglichkeit = abſolute Wirklichkeit. Die höchſte Identität iſt unmit- telbar die höchſte Objektivität.
Wer ſich noch nicht zu dem Punkte erhoben hat, daß ihm das abſolut Ideale unmittelbar und eben darum auch das abſolute Reale iſt, iſt weder des philoſophiſchen noch des poetiſchen Sinns fähig. Die Frage nach einer Wirklichkeit, wie ſie im gemeinen Bewußtſeyn gemacht wird, hat in Anſehung deſſen, was abſolut iſt, gar keine Bedeutung, im Poetiſchen ſo wenig als im Philoſophiſchen. Dieſe Wirklichkeit iſt keine wahre Wirklichkeit, vielmehr im wahren Sinn Nichtwirklichkeit.
Alle Geſtalten der Kunſt, alſo vornämlich die Götter ſind wirk- lich, weil ſie möglich ſind. Wer noch fragen kann, wie ſo hoch ge- bildete Geiſter als die Griechen an die Wirklichkeit der Götter haben glauben können, wie Sokrates Opfer anbefohlen, der Sokratiker Xenophon als Heerführer bei dem berühmten Rückzug ſelbſt habe opfern können u. ſ. w., — wer ſolche Fragen macht, beweist nur, daß er ſelbſt nicht auf dem Punkt der Bildung angekommen iſt, auf dem eben das Ideale das Wirkliche und viel wirklicher als das ſogenannte Wirkliche ſelbſt iſt. In dem Sinn, wie etwa ein gemeiner Verſtand an die Wirklichkeit der ſinnlichen Dinge glaubt, haben jene Menſchen die Götter überhaupt nicht genommen und weder für wirklich noch für nicht wirklich gehalten. In dem höheren Sinne waren ſie den Griechen reeller als jedes andere Reelle.
§. 30. Reine Begrenzung von der einen und unge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0067"n="391"/><p><hirendition="#g">Anmerkung</hi>. Dieſer Satz bedarf keiner Erläuterung, um ſo<lb/>
mehr, da die folgenden Sätze dienen werden, ihn noch weiter ins Licht<lb/>
zu ſtellen. — Die Idee der Götter iſt nothwendig für die Kunſt. Die<lb/>
wiſſenſchaftliche Conſtruktion derſelben führt uns eben dahin zurück,<lb/>
wohin der Inſtinkt die Poeſie in ihrem erſten Beginn ſchon geführt<lb/>
hat. Was für die Philoſophie Ideen ſind, ſind für die Kunſt Götter,<lb/>
und umgekehrt.</p><lb/><p>§. 29. <hirendition="#g">Die abſolute Realität der Götter folgtunmit-<lb/>
telbar aus ihrer abſoluten Idealität</hi>. — Denn ſie ſind ab-<lb/>ſolut, im Abſoluten aber iſt Idealität und Realität eins, abſolute<lb/>
Möglichkeit = abſolute Wirklichkeit. Die höchſte Identität iſt unmit-<lb/>
telbar die höchſte Objektivität.</p><lb/><p>Wer ſich noch nicht zu dem Punkte erhoben hat, daß ihm das<lb/>
abſolut Ideale unmittelbar und eben darum auch das abſolute Reale<lb/>
iſt, iſt weder des philoſophiſchen noch des poetiſchen Sinns fähig. Die<lb/>
Frage nach einer Wirklichkeit, wie ſie im gemeinen Bewußtſeyn gemacht<lb/>
wird, hat in Anſehung deſſen, was abſolut iſt, gar keine Bedeutung,<lb/>
im Poetiſchen ſo wenig als im Philoſophiſchen. <hirendition="#g">Dieſe</hi> Wirklichkeit <hirendition="#g">iſt</hi><lb/>
keine wahre Wirklichkeit, vielmehr im wahren Sinn Nichtwirklichkeit.</p><lb/><p>Alle Geſtalten der Kunſt, alſo vornämlich die Götter ſind <hirendition="#g">wirk-<lb/>
lich</hi>, weil ſie <hirendition="#g">möglich</hi>ſind. Wer noch fragen kann, wie ſo hoch ge-<lb/>
bildete Geiſter als die Griechen an die Wirklichkeit der Götter haben<lb/>
glauben können, wie Sokrates Opfer anbefohlen, der Sokratiker<lb/>
Xenophon als Heerführer bei dem berühmten Rückzug ſelbſt habe<lb/>
opfern können u. ſ. w., — wer ſolche Fragen macht, beweist nur, daß<lb/>
er ſelbſt nicht auf dem Punkt der Bildung angekommen iſt, auf dem<lb/>
eben das <hirendition="#g">Ideale</hi> das Wirkliche und viel wirklicher als das ſogenannte<lb/>
Wirkliche ſelbſt iſt. In dem Sinn, wie etwa ein gemeiner Verſtand<lb/>
an die Wirklichkeit der ſinnlichen Dinge glaubt, haben <hirendition="#g">jene</hi> Menſchen<lb/>
die Götter überhaupt nicht genommen und weder für wirklich noch für<lb/>
nicht wirklich gehalten. In dem höheren Sinne waren ſie den Griechen<lb/>
reeller als jedes andere Reelle.</p><lb/><p>§. 30. <hirendition="#g">Reine Begrenzung von der einen und unge-<lb/></hi></p></div></div></div></body></text></TEI>
[391/0067]
Anmerkung. Dieſer Satz bedarf keiner Erläuterung, um ſo
mehr, da die folgenden Sätze dienen werden, ihn noch weiter ins Licht
zu ſtellen. — Die Idee der Götter iſt nothwendig für die Kunſt. Die
wiſſenſchaftliche Conſtruktion derſelben führt uns eben dahin zurück,
wohin der Inſtinkt die Poeſie in ihrem erſten Beginn ſchon geführt
hat. Was für die Philoſophie Ideen ſind, ſind für die Kunſt Götter,
und umgekehrt.
§. 29. Die abſolute Realität der Götter folgtunmit-
telbar aus ihrer abſoluten Idealität. — Denn ſie ſind ab-
ſolut, im Abſoluten aber iſt Idealität und Realität eins, abſolute
Möglichkeit = abſolute Wirklichkeit. Die höchſte Identität iſt unmit-
telbar die höchſte Objektivität.
Wer ſich noch nicht zu dem Punkte erhoben hat, daß ihm das
abſolut Ideale unmittelbar und eben darum auch das abſolute Reale
iſt, iſt weder des philoſophiſchen noch des poetiſchen Sinns fähig. Die
Frage nach einer Wirklichkeit, wie ſie im gemeinen Bewußtſeyn gemacht
wird, hat in Anſehung deſſen, was abſolut iſt, gar keine Bedeutung,
im Poetiſchen ſo wenig als im Philoſophiſchen. Dieſe Wirklichkeit iſt
keine wahre Wirklichkeit, vielmehr im wahren Sinn Nichtwirklichkeit.
Alle Geſtalten der Kunſt, alſo vornämlich die Götter ſind wirk-
lich, weil ſie möglich ſind. Wer noch fragen kann, wie ſo hoch ge-
bildete Geiſter als die Griechen an die Wirklichkeit der Götter haben
glauben können, wie Sokrates Opfer anbefohlen, der Sokratiker
Xenophon als Heerführer bei dem berühmten Rückzug ſelbſt habe
opfern können u. ſ. w., — wer ſolche Fragen macht, beweist nur, daß
er ſelbſt nicht auf dem Punkt der Bildung angekommen iſt, auf dem
eben das Ideale das Wirkliche und viel wirklicher als das ſogenannte
Wirkliche ſelbſt iſt. In dem Sinn, wie etwa ein gemeiner Verſtand
an die Wirklichkeit der ſinnlichen Dinge glaubt, haben jene Menſchen
die Götter überhaupt nicht genommen und weder für wirklich noch für
nicht wirklich gehalten. In dem höheren Sinne waren ſie den Griechen
reeller als jedes andere Reelle.
§. 30. Reine Begrenzung von der einen und unge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/67>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.