ahndende Anticipation desselben, das Erste, wodurch er ausgesprochen wurde. Das römi¬ sche Reich war Jahrhunderte zuvor reif zum Christenthum, ehe Constantin das Kreuz zum Panier der neuen Weltherrschaft wählte; die vollste Befriedigung durch alles Aeußere führ¬ te die Sehnsucht nach dem Innern und Un¬ sichtbaren herbey, ein zerfallendes Reich, des¬ sen Macht bloß zeitlich war, der verlorne Muth zum Objectiven, das Unglück der Zeit mußten die allgemeine Empfänglichkeit für ei¬ ne Religion schaffen, welche den Menschen an das Ideale zurückwieß, Verläugnung lehrte und zum Glück machte.
Die christlichen Religionslehrer können keine ihrer historischen Behauptungen recht¬ fertigen, ohne zuvor die höhere Ansicht der Geschichte selbst, welche durch die Philoso¬ phie wie durch das Christenthum vorge¬ schrieben ist, zu der ihrigen gemacht zu ha¬ ben. Sie haben lange genug mit dem Un¬ glauben auf seinem eigenen Boden gekämpft, anstatt diesen, als den Standpunct, auf wel¬
ahndende Anticipation deſſelben, das Erſte, wodurch er ausgeſprochen wurde. Das roͤmi¬ ſche Reich war Jahrhunderte zuvor reif zum Chriſtenthum, ehe Conſtantin das Kreuz zum Panier der neuen Weltherrſchaft waͤhlte; die vollſte Befriedigung durch alles Aeußere fuͤhr¬ te die Sehnſucht nach dem Innern und Un¬ ſichtbaren herbey, ein zerfallendes Reich, deſ¬ ſen Macht bloß zeitlich war, der verlorne Muth zum Objectiven, das Ungluͤck der Zeit mußten die allgemeine Empfaͤnglichkeit fuͤr ei¬ ne Religion ſchaffen, welche den Menſchen an das Ideale zuruͤckwieß, Verlaͤugnung lehrte und zum Gluͤck machte.
Die chriſtlichen Religionslehrer koͤnnen keine ihrer hiſtoriſchen Behauptungen recht¬ fertigen, ohne zuvor die hoͤhere Anſicht der Geſchichte ſelbſt, welche durch die Philoſo¬ phie wie durch das Chriſtenthum vorge¬ ſchrieben iſt, zu der ihrigen gemacht zu ha¬ ben. Sie haben lange genug mit dem Un¬ glauben auf ſeinem eigenen Boden gekaͤmpft, anſtatt dieſen, als den Standpunct, auf wel¬
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[191/0200]
ahndende Anticipation deſſelben, das Erſte,
wodurch er ausgeſprochen wurde. Das roͤmi¬
ſche Reich war Jahrhunderte zuvor reif zum
Chriſtenthum, ehe Conſtantin das Kreuz zum
Panier der neuen Weltherrſchaft waͤhlte; die
vollſte Befriedigung durch alles Aeußere fuͤhr¬
te die Sehnſucht nach dem Innern und Un¬
ſichtbaren herbey, ein zerfallendes Reich, deſ¬
ſen Macht bloß zeitlich war, der verlorne
Muth zum Objectiven, das Ungluͤck der Zeit
mußten die allgemeine Empfaͤnglichkeit fuͤr ei¬
ne Religion ſchaffen, welche den Menſchen
an das Ideale zuruͤckwieß, Verlaͤugnung lehrte
und zum Gluͤck machte.
Die chriſtlichen Religionslehrer koͤnnen
keine ihrer hiſtoriſchen Behauptungen recht¬
fertigen, ohne zuvor die hoͤhere Anſicht der
Geſchichte ſelbſt, welche durch die Philoſo¬
phie wie durch das Chriſtenthum vorge¬
ſchrieben iſt, zu der ihrigen gemacht zu ha¬
ben. Sie haben lange genug mit dem Un¬
glauben auf ſeinem eigenen Boden gekaͤmpft,
anſtatt dieſen, als den Standpunct, auf wel¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/200>, abgerufen am 24.11.2024.
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