chem er steht, selbst anzugreifen. Ihr habt, könnten sie den Naturalisten sagen, für die Betrachtungsweise, die ihr annehmt, voll¬ kommen Recht, und unsere Ansicht schließt es ein, daß ihr auf euerm Standpunct richtig urtheilet. Wir läugnen nur diesen selbst oder las¬ sen ihn als einen bloß untergeordneten gelten. Es ist derselbe Fall wie mit dem Empiriker, der dem Philosophen unwidersprechlich beweist, daß alles Wissen nur durch die äußere Noth¬ wendigkeit der Eindrücke gesetzt ist.
Dasselbe Verhältniß findet eben so in Ansehung aller Dogmen der Theologie statt. Von der Idee der Dreyeinigkeit ist es klar, daß sie, nicht speculativ aufgefaßt, überhaupt ohne Sinn ist. Die Menschwerdung Gottes in Christo deuten die Theologen eben so em¬ pirisch, nämlich daß Gott in einem bestimm¬ ten Moment der Zeit menschliche Natur an¬ genommen habe, wobey schlechterdings nichts zu denken seyn kann, da Gott ewig außer aller Zeit ist. Die Menschwerdung Gottes ist also eine Menschwerdung von Ewigkeit. Der
chem er ſteht, ſelbſt anzugreifen. Ihr habt, koͤnnten ſie den Naturaliſten ſagen, fuͤr die Betrachtungsweiſe, die ihr annehmt, voll¬ kommen Recht, und unſere Anſicht ſchließt es ein, daß ihr auf euerm Standpunct richtig urtheilet. Wir laͤugnen nur dieſen ſelbſt oder laſ¬ ſen ihn als einen bloß untergeordneten gelten. Es iſt derſelbe Fall wie mit dem Empiriker, der dem Philoſophen unwiderſprechlich beweiſt, daß alles Wiſſen nur durch die aͤußere Noth¬ wendigkeit der Eindruͤcke geſetzt iſt.
Daſſelbe Verhaͤltniß findet eben ſo in Anſehung aller Dogmen der Theologie ſtatt. Von der Idee der Dreyeinigkeit iſt es klar, daß ſie, nicht ſpeculativ aufgefaßt, uͤberhaupt ohne Sinn iſt. Die Menſchwerdung Gottes in Chriſto deuten die Theologen eben ſo em¬ piriſch, naͤmlich daß Gott in einem beſtimm¬ ten Moment der Zeit menſchliche Natur an¬ genommen habe, wobey ſchlechterdings nichts zu denken ſeyn kann, da Gott ewig außer aller Zeit iſt. Die Menſchwerdung Gottes iſt alſo eine Menſchwerdung von Ewigkeit. Der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0201"n="192"/>
chem er ſteht, ſelbſt anzugreifen. Ihr habt,<lb/>
koͤnnten ſie den Naturaliſten ſagen, fuͤr die<lb/>
Betrachtungsweiſe, die ihr annehmt, voll¬<lb/>
kommen Recht, und unſere Anſicht ſchließt<lb/>
es ein, daß ihr auf euerm Standpunct richtig<lb/>
urtheilet. Wir laͤugnen nur dieſen ſelbſt oder laſ¬<lb/>ſen ihn als einen bloß untergeordneten gelten.<lb/>
Es iſt derſelbe Fall wie mit dem Empiriker,<lb/>
der dem Philoſophen unwiderſprechlich beweiſt,<lb/>
daß alles Wiſſen nur durch die aͤußere Noth¬<lb/>
wendigkeit der Eindruͤcke geſetzt iſt.</p><lb/><p>Daſſelbe Verhaͤltniß findet eben ſo in<lb/>
Anſehung aller Dogmen der Theologie ſtatt.<lb/>
Von der Idee der Dreyeinigkeit iſt es klar,<lb/>
daß ſie, nicht ſpeculativ aufgefaßt, uͤberhaupt<lb/>
ohne Sinn iſt. Die Menſchwerdung Gottes<lb/>
in Chriſto deuten die Theologen eben ſo em¬<lb/>
piriſch, naͤmlich daß Gott in einem beſtimm¬<lb/>
ten Moment der Zeit menſchliche Natur an¬<lb/>
genommen habe, wobey ſchlechterdings nichts<lb/>
zu denken ſeyn kann, da Gott ewig außer<lb/>
aller Zeit iſt. Die Menſchwerdung Gottes iſt<lb/>
alſo eine Menſchwerdung von Ewigkeit. Der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[192/0201]
chem er ſteht, ſelbſt anzugreifen. Ihr habt,
koͤnnten ſie den Naturaliſten ſagen, fuͤr die
Betrachtungsweiſe, die ihr annehmt, voll¬
kommen Recht, und unſere Anſicht ſchließt
es ein, daß ihr auf euerm Standpunct richtig
urtheilet. Wir laͤugnen nur dieſen ſelbſt oder laſ¬
ſen ihn als einen bloß untergeordneten gelten.
Es iſt derſelbe Fall wie mit dem Empiriker,
der dem Philoſophen unwiderſprechlich beweiſt,
daß alles Wiſſen nur durch die aͤußere Noth¬
wendigkeit der Eindruͤcke geſetzt iſt.
Daſſelbe Verhaͤltniß findet eben ſo in
Anſehung aller Dogmen der Theologie ſtatt.
Von der Idee der Dreyeinigkeit iſt es klar,
daß ſie, nicht ſpeculativ aufgefaßt, uͤberhaupt
ohne Sinn iſt. Die Menſchwerdung Gottes
in Chriſto deuten die Theologen eben ſo em¬
piriſch, naͤmlich daß Gott in einem beſtimm¬
ten Moment der Zeit menſchliche Natur an¬
genommen habe, wobey ſchlechterdings nichts
zu denken ſeyn kann, da Gott ewig außer
aller Zeit iſt. Die Menſchwerdung Gottes iſt
alſo eine Menſchwerdung von Ewigkeit. Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/201>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.