dung zu haben, die sie im System der alten Atomistik, vorzüglich des Epikurus, erlangt hat. Dieses befreyt durch die Vernichtung der Natur selbst das Gemüth von der Sehnsucht und Furcht, anstatt daß jene vielmehr sich mit allen Vorstellungen des Dogmatismus befreun¬ det und selbst dient, die Entzweyung zu erhal¬ ten, aus der sie hervorgegangen ist.
Dieses Denksystem, welches seinen Ur¬ sprung vom Cartesius herschreibt, hat das Ver¬ hältniß des Geistes und der Wissenschaft zur Natur selbst wesentlich verändert. Ohne hö¬ here Vorstellungen der Materie und der Natur, als die Atomenlehre, und doch ohne den Muth, diese zum umfassenden Ganzen zu erweitern, betrachtet es die Natur im Allgemeinen als ein verschlossenes Buch, als ein Geheimniß, das man immer nur im Einzelnen, und auch die¬ ses nur durch Zufall oder Glück, niemals aber im Ganzen erforschen könne. Wenn es we¬ sentlich zum Begriff der Wissenschaft ist, daß sie selbst nicht atomistisch, sondern aus Ei¬ nem Geiste gebildet sey und die Idee des Gan¬
dung zu haben, die ſie im Syſtem der alten Atomiſtik, vorzuͤglich des Epikurus, erlangt hat. Dieſes befreyt durch die Vernichtung der Natur ſelbſt das Gemuͤth von der Sehnſucht und Furcht, anſtatt daß jene vielmehr ſich mit allen Vorſtellungen des Dogmatismus befreun¬ det und ſelbſt dient, die Entzweyung zu erhal¬ ten, aus der ſie hervorgegangen iſt.
Dieſes Denkſyſtem, welches ſeinen Ur¬ ſprung vom Carteſius herſchreibt, hat das Ver¬ haͤltniß des Geiſtes und der Wiſſenſchaft zur Natur ſelbſt weſentlich veraͤndert. Ohne hoͤ¬ here Vorſtellungen der Materie und der Natur, als die Atomenlehre, und doch ohne den Muth, dieſe zum umfaſſenden Ganzen zu erweitern, betrachtet es die Natur im Allgemeinen als ein verſchloſſenes Buch, als ein Geheimniß, das man immer nur im Einzelnen, und auch die¬ ſes nur durch Zufall oder Gluͤck, niemals aber im Ganzen erforſchen koͤnne. Wenn es we¬ ſentlich zum Begriff der Wiſſenſchaft iſt, daß ſie ſelbſt nicht atomiſtiſch, ſondern aus Ei¬ nem Geiſte gebildet ſey und die Idee des Gan¬
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dung zu haben, die ſie im Syſtem der alten
Atomiſtik, vorzuͤglich des Epikurus, erlangt
hat. Dieſes befreyt durch die Vernichtung der
Natur ſelbſt das Gemuͤth von der Sehnſucht
und Furcht, anſtatt daß jene vielmehr ſich mit
allen Vorſtellungen des Dogmatismus befreun¬
det und ſelbſt dient, die Entzweyung zu erhal¬
ten, aus der ſie hervorgegangen iſt.
Dieſes Denkſyſtem, welches ſeinen Ur¬
ſprung vom Carteſius herſchreibt, hat das Ver¬
haͤltniß des Geiſtes und der Wiſſenſchaft zur
Natur ſelbſt weſentlich veraͤndert. Ohne hoͤ¬
here Vorſtellungen der Materie und der Natur,
als die Atomenlehre, und doch ohne den Muth,
dieſe zum umfaſſenden Ganzen zu erweitern,
betrachtet es die Natur im Allgemeinen als ein
verſchloſſenes Buch, als ein Geheimniß, das
man immer nur im Einzelnen, und auch die¬
ſes nur durch Zufall oder Gluͤck, niemals aber
im Ganzen erforſchen koͤnne. Wenn es we¬
ſentlich zum Begriff der Wiſſenſchaft iſt, daß
ſie ſelbſt nicht atomiſtiſch, ſondern aus Ei¬
nem Geiſte gebildet ſey und die Idee des Gan¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/253>, abgerufen am 22.11.2024.
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