Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_153.001 Jn all diesen Fällen arbeiten also die Dichter zusammen, psc_153.005 B. Die Dichter wissen nicht von einander. psc_153.007 Wie ist das möglich? Können zwei oder mehrere Dichter psc_153.008 Dies fände statt z. B. in folgendem Fall, den ich gleich in psc_153.010 psc_153.001 Jn all diesen Fällen arbeiten also die Dichter zusammen, psc_153.005 B. Die Dichter wissen nicht von einander. psc_153.007 Wie ist das möglich? Können zwei oder mehrere Dichter psc_153.008 Dies fände statt z. B. in folgendem Fall, den ich gleich in psc_153.010 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0169" n="153"/><lb n="psc_153.001"/> verdunkelt, und man hat das Ursprüngliche fallen lassen, <lb n="psc_153.002"/> Strophen umgestaltet u. s. w. Von der eigentlichen Blüthe <lb n="psc_153.003"/> des Volksliedes besitzen wir wenig.</p> <lb n="psc_153.004"/> <p> Jn all diesen Fällen arbeiten also die Dichter zusammen, <lb n="psc_153.005"/> indem sie von einander wissen. Aber auch das Andere kommt vor:</p> <lb n="psc_153.006"/> <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">B</hi>. Die Dichter wissen nicht von einander.</hi> </p> <lb n="psc_153.007"/> <p> Wie ist das möglich? Können zwei oder mehrere Dichter <lb n="psc_153.008"/> genau an einander arbeiten, ohne von einander zu wissen?</p> <lb n="psc_153.009"/> <p> Dies fände statt z. B. in folgendem Fall, den ich gleich in <lb n="psc_153.010"/> ein concretes Beispiel kleide, wie es für Entwicklungen der Sage <lb n="psc_153.011"/> oft vorkommen mag. Ein Dichter verfaßt ein Lied von Kriemhilds <lb n="psc_153.012"/> Untreue gegen ihre Brüder (wir wissen, daß im Anfang <lb n="psc_153.013"/> des 12. Jahrhunderts ein solches existirte). Weiter nehmen wir <lb n="psc_153.014"/> an, ein anderer Dichter, der es kennt, überarbeite es total <lb n="psc_153.015"/> (nach <hi rendition="#aq">A. e</hi>), indem er es ausführlicher macht; er sucht das <lb n="psc_153.016"/> alte Gedicht auf eine andere Stufe des Geschmacks zu <lb n="psc_153.017"/> bringen, indem er dem sich bildenden Geschmack des Publicums <lb n="psc_153.018"/> folgt, welches epische Vorgänge nicht mehr balladenartig <lb n="psc_153.019"/> vorwärts stürmend, sondern an gewissen Stellen behaglich <lb n="psc_153.020"/> verweilend dargestellt zu finden wünscht. Wenn wir dort <lb n="psc_153.021"/> nach W. Grimms Ausdruck nur leuchtende Berggipfel sehen, <lb n="psc_153.022"/> und die Thäler verschwinden, so läßt uns der neue Autor <lb n="psc_153.023"/> auch durch die Thäler gehen. Diese Annahme ist durchaus <lb n="psc_153.024"/> möglich. Das nun ausführlichere Gedicht wird aber zu <lb n="psc_153.025"/> lang, um hinter einander auf einem Sitz angehört zu werden. <lb n="psc_153.026"/> Der Sänger vertheilt es nun auf zwei oder drei Vorträge, z. B. <lb n="psc_153.027"/> 1) Werbung Attilas um Kriemhild; 2) Einladung und Zug <lb n="psc_153.028"/> der Burgunden nach Hunnenland; 3) Empfang der Burgunden, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [153/0169]
psc_153.001
verdunkelt, und man hat das Ursprüngliche fallen lassen, psc_153.002
Strophen umgestaltet u. s. w. Von der eigentlichen Blüthe psc_153.003
des Volksliedes besitzen wir wenig.
psc_153.004
Jn all diesen Fällen arbeiten also die Dichter zusammen, psc_153.005
indem sie von einander wissen. Aber auch das Andere kommt vor:
psc_153.006
B. Die Dichter wissen nicht von einander.
psc_153.007
Wie ist das möglich? Können zwei oder mehrere Dichter psc_153.008
genau an einander arbeiten, ohne von einander zu wissen?
psc_153.009
Dies fände statt z. B. in folgendem Fall, den ich gleich in psc_153.010
ein concretes Beispiel kleide, wie es für Entwicklungen der Sage psc_153.011
oft vorkommen mag. Ein Dichter verfaßt ein Lied von Kriemhilds psc_153.012
Untreue gegen ihre Brüder (wir wissen, daß im Anfang psc_153.013
des 12. Jahrhunderts ein solches existirte). Weiter nehmen wir psc_153.014
an, ein anderer Dichter, der es kennt, überarbeite es total psc_153.015
(nach A. e), indem er es ausführlicher macht; er sucht das psc_153.016
alte Gedicht auf eine andere Stufe des Geschmacks zu psc_153.017
bringen, indem er dem sich bildenden Geschmack des Publicums psc_153.018
folgt, welches epische Vorgänge nicht mehr balladenartig psc_153.019
vorwärts stürmend, sondern an gewissen Stellen behaglich psc_153.020
verweilend dargestellt zu finden wünscht. Wenn wir dort psc_153.021
nach W. Grimms Ausdruck nur leuchtende Berggipfel sehen, psc_153.022
und die Thäler verschwinden, so läßt uns der neue Autor psc_153.023
auch durch die Thäler gehen. Diese Annahme ist durchaus psc_153.024
möglich. Das nun ausführlichere Gedicht wird aber zu psc_153.025
lang, um hinter einander auf einem Sitz angehört zu werden. psc_153.026
Der Sänger vertheilt es nun auf zwei oder drei Vorträge, z. B. psc_153.027
1) Werbung Attilas um Kriemhild; 2) Einladung und Zug psc_153.028
der Burgunden nach Hunnenland; 3) Empfang der Burgunden,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |