Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.
psc_298.001 Quelle der Heldensage ist gehobenes Selbstgefühl... Aber dies psc_298.004 Dagegen scheint das Nationalgefühl allein kaum auszureichen. psc_298.016 Es scheint also zu dem Nationalgefühl jenes Standesgefühl psc_298.027 Adeliges Selbstgefühl bedingt auch das Achten auf Details der psc_298.035
psc_298.001 Quelle der Heldensage ist gehobenes Selbstgefühl... Aber dies psc_298.004 Dagegen scheint das Nationalgefühl allein kaum auszureichen. psc_298.016 Es scheint also zu dem Nationalgefühl jenes Standesgefühl psc_298.027 Adeliges Selbstgefühl bedingt auch das Achten auf Details der psc_298.035 <TEI> <text> <back> <div n="1"> <p><hi rendition="#aq"><pb facs="#f0314" n="298"/><lb n="psc_298.001"/> sage, indem er Analogie bietet zwischen Götter- und adeliger <lb n="psc_298.002"/> Menschenwelt</hi>.</p> <lb n="psc_298.003"/> <p> Quelle der Heldensage ist gehobenes Selbstgefühl... Aber dies <lb n="psc_298.004"/> nicht individuell (individueller Größenwahn erzeugt poetisch neue Legenden: <lb n="psc_298.005"/> Religionsstifter), sondern Standes- oder Nationalgefühl. <lb n="psc_298.006"/> Besonders ersterer Zustand scheint geeignet Heldensage hervorzurufen, <lb n="psc_298.007"/> d. h. adeliges Selbstgefühl — göttergleiche Menschen, die sich denn <lb n="psc_298.008"/> auch von Göttern abstammend glauben; dies Begriff des germanischen <lb n="psc_298.009"/> Adels. Diese Menschen trauen sich Thaten zu, wie sie der Mythus <lb n="psc_298.010"/> von den Göttern berichtet; bei Germanen treten sie an Stelle der <lb n="psc_298.011"/> Götter beinahe, während bei Griechen und Jndern die Götter noch <lb n="psc_298.012"/> herbeigezogen (dort bei den Germanen so starke Erweiterung des Jch). <lb n="psc_298.013"/> Der Begriff Adel im germanischen Epos so erweitert, daß andere <lb n="psc_298.014"/> Stände ganz übersehen (Beowulf).</p> <lb n="psc_298.015"/> <p> <hi rendition="#aq">Dagegen scheint das Nationalgefühl allein kaum auszureichen. <lb n="psc_298.016"/> Zwar ist das Epos</hi> Verherrlichung alter Nationalkämpfe: <lb n="psc_298.017"/> germanisch, französisch, griechisch, indisch, persisch, russisch? serbisch, <lb n="psc_298.018"/> finnisch. Aber unzählige solche Kämpfe müssen in einer Nation <lb n="psc_298.019"/> während ihrer Wanderungsperiode vorgefallen sein. Wie kommt es, <lb n="psc_298.020"/> daß gerade diese fixirt werden? Ein dauernder Gegensatz ist bei <lb n="psc_298.021"/> Persern und Finnen (Turanier, Lappen) zu beachten. <hi rendition="#aq">Aber unter <lb n="psc_298.022"/> gleichen nationalen Verhältnissen kommt das Epos doch nicht <lb n="psc_298.023"/> überall zu Stande. Nicht bei den Semiten</hi>: die Eroberung Kanaans <lb n="psc_298.024"/> wäre z. B. der rechte Stoff gewesen. <hi rendition="#aq">Freilich kommen z. B. <lb n="psc_298.025"/> bei den Arabern noch technische Schwierigkeiten hinzu</hi>.</p> <lb n="psc_298.026"/> <p> <hi rendition="#aq">Es scheint also zu dem Nationalgefühl jenes Standesgefühl <lb n="psc_298.027"/> noch hinzutreten zu müssen</hi>. Wo sich adeliges Selbstgefühl nicht <lb n="psc_298.028"/> entwickelt, kommts nicht zur Heldensage und zum Epos. So in <lb n="psc_298.029"/> Rom, wo die alten demokratischen Bauernschaften fortbestehen bis <lb n="psc_298.030"/> zum Eintritt der Schriftlitteratur. — Für arische Völker kann man <lb n="psc_298.031"/> wohl geradezu das adelige Selbstgefühl als Quelle hinstellen. Aber <lb n="psc_298.032"/> wie stehts mit Finnen, Esthen, Mongolen, Tartaren? Was ist da <lb n="psc_298.033"/> analog?</p> <lb n="psc_298.034"/> <p> Adeliges Selbstgefühl bedingt auch das Achten auf Details der <lb n="psc_298.035"/> Erscheinung — und daher epische Ausführlichkeit.</p> </div> </back> </text> </TEI> [298/0314]
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sage, indem er Analogie bietet zwischen Götter- und adeliger psc_298.002
Menschenwelt.
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Quelle der Heldensage ist gehobenes Selbstgefühl... Aber dies psc_298.004
nicht individuell (individueller Größenwahn erzeugt poetisch neue Legenden: psc_298.005
Religionsstifter), sondern Standes- oder Nationalgefühl. psc_298.006
Besonders ersterer Zustand scheint geeignet Heldensage hervorzurufen, psc_298.007
d. h. adeliges Selbstgefühl — göttergleiche Menschen, die sich denn psc_298.008
auch von Göttern abstammend glauben; dies Begriff des germanischen psc_298.009
Adels. Diese Menschen trauen sich Thaten zu, wie sie der Mythus psc_298.010
von den Göttern berichtet; bei Germanen treten sie an Stelle der psc_298.011
Götter beinahe, während bei Griechen und Jndern die Götter noch psc_298.012
herbeigezogen (dort bei den Germanen so starke Erweiterung des Jch). psc_298.013
Der Begriff Adel im germanischen Epos so erweitert, daß andere psc_298.014
Stände ganz übersehen (Beowulf).
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Dagegen scheint das Nationalgefühl allein kaum auszureichen. psc_298.016
Zwar ist das Epos Verherrlichung alter Nationalkämpfe: psc_298.017
germanisch, französisch, griechisch, indisch, persisch, russisch? serbisch, psc_298.018
finnisch. Aber unzählige solche Kämpfe müssen in einer Nation psc_298.019
während ihrer Wanderungsperiode vorgefallen sein. Wie kommt es, psc_298.020
daß gerade diese fixirt werden? Ein dauernder Gegensatz ist bei psc_298.021
Persern und Finnen (Turanier, Lappen) zu beachten. Aber unter psc_298.022
gleichen nationalen Verhältnissen kommt das Epos doch nicht psc_298.023
überall zu Stande. Nicht bei den Semiten: die Eroberung Kanaans psc_298.024
wäre z. B. der rechte Stoff gewesen. Freilich kommen z. B. psc_298.025
bei den Arabern noch technische Schwierigkeiten hinzu.
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Es scheint also zu dem Nationalgefühl jenes Standesgefühl psc_298.027
noch hinzutreten zu müssen. Wo sich adeliges Selbstgefühl nicht psc_298.028
entwickelt, kommts nicht zur Heldensage und zum Epos. So in psc_298.029
Rom, wo die alten demokratischen Bauernschaften fortbestehen bis psc_298.030
zum Eintritt der Schriftlitteratur. — Für arische Völker kann man psc_298.031
wohl geradezu das adelige Selbstgefühl als Quelle hinstellen. Aber psc_298.032
wie stehts mit Finnen, Esthen, Mongolen, Tartaren? Was ist da psc_298.033
analog?
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Adeliges Selbstgefühl bedingt auch das Achten auf Details der psc_298.035
Erscheinung — und daher epische Ausführlichkeit.
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