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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706.

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eine andere/ und vornehmere/ welche an die hand giebet die betrachtung der
Winden. Es liget der Zürich-See also/ daß der rauhe Nord- oder Bise-
wind sonderbar kan bestreichen die Westseite des Sees/ und ist deßnahen
kein wunder/ wann dise Nordliche Kälte die Weinreben/ und Trauben zu-
samen zeuhet/ die aufsteigung des Nehrsafts/ und reiffung verhinderet/ folg-
lich eine Säure dem Wein hinderlasset. Uber diß liget eben disere West-
seiten bloß gegen dem Ostwind/ welcher mehrmalen sich mit dem Nordwind
vereiniget/ und bald gleiche Kälte mit sich führet. Da hingegen die Meili-
kumer Seite übertraget den Ostwind/ nur ein wenig bestrichen wird von dem
Bißw ind/ und hingegen offen stehet gegen dem Sud- und Abendwind/ wel-
che eine mehrere wärme/ und feuchte zubringen/ die Löchlein und gestalt der
Pflanzung eröffnen/ und überal die Früchte desto eher zur zeitigung bringen.
Endlich ist noch diß beyzufügen/ daß die Abendseite mehrere und längere käl-
te außzustehen hat wegen der nähe des Albis/ auf welchem Berge der Schnee
früher fallet/ und spähter weggehet/ folglich mit seiner gegenwart die selbige
ganze Seite erkältet. Die Nachbarschaft des auf den hohen Alpen beständig
ligenden Schnees empfindet mit nicht geringem schaden nicht nur die Mor-
genseite des Zürich-Sees/ sondern auch die übrigen Theil unsers Gebiets/
und des ganzen Schweizerlands/ deme die sonst warmen Sudwinde vil
Schnee und Eistheilichen zubringen: Weßwegen der Meister Ambtosius
ein gelehrter Arzet und Sternseher auß der Lombardey gebürtig/ so zu Zü-
rich bereits vor dem Concilio zu Basel muß gelebt haben (nach der Zeug-
nuß M. Felix Hämmerlins/ vor 200. und mehr Jahren Vorsingers zu Zü-
rich in Tract. de Arbore Torculari ducendo in Die Festo) prophezeyet/
es werde innert 100. Jahren die Kälte also in unseren Landen zunemmen/ daß
gar keine Weinreben mehr können gepflanzet werden. Nun sind so vil 100.
Jahr sint selbiger zeit verflossen/ und geniessen wir durch Gottes Güte noch
immer des edlen Rebensafts/ es wachsen bey uns noch allezeit die Reben/ ja
so fehr ist es/ daß dises edle Gewächs in Zürichischen Landen nimmer trühe/
daß vilmehr die einleg und pflanzung des Weinstoks solcher gestalt zuge-
nommen/ daß ein hohe Lands-Obrigkeit bewogen worden durch eine offent-
liche Erkantnuß vom 12. Aprel 1703. die fernere neue einsetzung der Reben
zu verbieten/ und hingegen den fleissigeren Ackerbau einer ganzen Landschaft
theils zu belieben/ theils anzubefehlen. Es ist gleichwol des M. Ambrosii
Weissagung/ wann sie nicht auß der Sternseherkunst mehr/ als auß der Na-
tur-wissenschaft hergeflossen/ nicht so gar zuverachten. Es gewahren die

Ein-

eine andere/ und vornehmere/ welche an die hand giebet die betrachtung der
Winden. Es liget der Zuͤrich-See alſo/ daß der rauhe Nord- oder Biſe-
wind ſonderbar kan beſtreichen die Weſtſeite des Sees/ und iſt deßnahen
kein wunder/ wann diſe Nordliche Kaͤlte die Weinreben/ und Trauben zu-
ſamen zeuhet/ die aufſteigung des Nehrſafts/ und reiffung verhinderet/ folg-
lich eine Saͤure dem Wein hinderlaſſet. Uber diß liget eben diſere Weſt-
ſeiten bloß gegen dem Oſtwind/ welcher mehrmalen ſich mit dem Nordwind
vereiniget/ und bald gleiche Kaͤlte mit ſich fuͤhret. Da hingegen die Meili-
kumer Seite uͤbertraget den Oſtwind/ nur ein wenig beſtrichen wird von dem
Bißw ind/ und hingegen offen ſtehet gegen dem Sud- und Abendwind/ wel-
che eine mehrere waͤrme/ und feuchte zubringen/ die Loͤchlein und geſtalt der
Pflanzung eroͤffnen/ und uͤberal die Fruͤchte deſto eher zur zeitigung bringen.
Endlich iſt noch diß beyzufuͤgen/ daß die Abendſeite mehrere und laͤngere kaͤl-
te außzuſtehen hat wegen der naͤhe des Albis/ auf welchem Berge der Schnee
fruͤher fallet/ und ſpaͤhter weggehet/ folglich mit ſeiner gegenwart die ſelbige
ganze Seite erkaͤltet. Die Nachbarſchaft des auf den hohen Alpen beſtaͤndig
ligenden Schnees empfindet mit nicht geringem ſchaden nicht nur die Mor-
genſeite des Zuͤrich-Sees/ ſondern auch die uͤbrigen Theil unſers Gebiets/
und des ganzen Schweizerlands/ deme die ſonſt warmen Sudwinde vil
Schnee und Eistheilichen zubringen: Weßwegen der Meiſter Ambtoſius
ein gelehrter Arzet und Sternſeher auß der Lombardey gebuͤrtig/ ſo zu Zuͤ-
rich bereits vor dem Concilio zu Baſel muß gelebt haben (nach der Zeug-
nuß M. Felix Haͤm̃erlins/ vor 200. und mehr Jahren Vorſingers zu Zuͤ-
rich in Tract. de Arbore Torculari ducendo in Die Feſto) prophezeyet/
es werde innert 100. Jahren die Kaͤlte alſo in unſeren Landen zunemmen/ daß
gar keine Weinreben mehr koͤnnen gepflanzet werden. Nun ſind ſo vil 100.
Jahr ſint ſelbiger zeit verfloſſen/ und genieſſen wir durch Gottes Guͤte noch
immer des edlen Rebenſafts/ es wachſen bey uns noch allezeit die Reben/ ja
ſo fehr iſt es/ daß diſes edle Gewaͤchs in Zuͤrichiſchen Landen nimmer truͤhe/
daß vilmehr die einleg und pflanzung des Weinſtoks ſolcher geſtalt zuge-
nommen/ daß ein hohe Lands-Obrigkeit bewogen worden durch eine offent-
liche Erkantnuß vom 12. Aprel 1703. die fernere neue einſetzung der Reben
zu verbieten/ und hingegen den fleiſſigeren Ackerbau einer ganzen Landſchaft
theils zu belieben/ theils anzubefehlen. Es iſt gleichwol des M. Ambroſii
Weiſſagung/ wann ſie nicht auß der Sternſeherkunſt mehr/ als auß der Na-
tur-wiſſenſchaft hergefloſſen/ nicht ſo gar zuverachten. Es gewahren die

Ein-
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[23/0034] eine andere/ und vornehmere/ welche an die hand giebet die betrachtung der Winden. Es liget der Zuͤrich-See alſo/ daß der rauhe Nord- oder Biſe- wind ſonderbar kan beſtreichen die Weſtſeite des Sees/ und iſt deßnahen kein wunder/ wann diſe Nordliche Kaͤlte die Weinreben/ und Trauben zu- ſamen zeuhet/ die aufſteigung des Nehrſafts/ und reiffung verhinderet/ folg- lich eine Saͤure dem Wein hinderlaſſet. Uber diß liget eben diſere Weſt- ſeiten bloß gegen dem Oſtwind/ welcher mehrmalen ſich mit dem Nordwind vereiniget/ und bald gleiche Kaͤlte mit ſich fuͤhret. Da hingegen die Meili- kumer Seite uͤbertraget den Oſtwind/ nur ein wenig beſtrichen wird von dem Bißw ind/ und hingegen offen ſtehet gegen dem Sud- und Abendwind/ wel- che eine mehrere waͤrme/ und feuchte zubringen/ die Loͤchlein und geſtalt der Pflanzung eroͤffnen/ und uͤberal die Fruͤchte deſto eher zur zeitigung bringen. Endlich iſt noch diß beyzufuͤgen/ daß die Abendſeite mehrere und laͤngere kaͤl- te außzuſtehen hat wegen der naͤhe des Albis/ auf welchem Berge der Schnee fruͤher fallet/ und ſpaͤhter weggehet/ folglich mit ſeiner gegenwart die ſelbige ganze Seite erkaͤltet. Die Nachbarſchaft des auf den hohen Alpen beſtaͤndig ligenden Schnees empfindet mit nicht geringem ſchaden nicht nur die Mor- genſeite des Zuͤrich-Sees/ ſondern auch die uͤbrigen Theil unſers Gebiets/ und des ganzen Schweizerlands/ deme die ſonſt warmen Sudwinde vil Schnee und Eistheilichen zubringen: Weßwegen der Meiſter Ambtoſius ein gelehrter Arzet und Sternſeher auß der Lombardey gebuͤrtig/ ſo zu Zuͤ- rich bereits vor dem Concilio zu Baſel muß gelebt haben (nach der Zeug- nuß M. Felix Haͤm̃erlins/ vor 200. und mehr Jahren Vorſingers zu Zuͤ- rich in Tract. de Arbore Torculari ducendo in Die Feſto) prophezeyet/ es werde innert 100. Jahren die Kaͤlte alſo in unſeren Landen zunemmen/ daß gar keine Weinreben mehr koͤnnen gepflanzet werden. Nun ſind ſo vil 100. Jahr ſint ſelbiger zeit verfloſſen/ und genieſſen wir durch Gottes Guͤte noch immer des edlen Rebenſafts/ es wachſen bey uns noch allezeit die Reben/ ja ſo fehr iſt es/ daß diſes edle Gewaͤchs in Zuͤrichiſchen Landen nimmer truͤhe/ daß vilmehr die einleg und pflanzung des Weinſtoks ſolcher geſtalt zuge- nommen/ daß ein hohe Lands-Obrigkeit bewogen worden durch eine offent- liche Erkantnuß vom 12. Aprel 1703. die fernere neue einſetzung der Reben zu verbieten/ und hingegen den fleiſſigeren Ackerbau einer ganzen Landſchaft theils zu belieben/ theils anzubefehlen. Es iſt gleichwol des M. Ambroſii Weiſſagung/ wann ſie nicht auß der Sternſeherkunſt mehr/ als auß der Na- tur-wiſſenſchaft hergefloſſen/ nicht ſo gar zuverachten. Es gewahren die Ein-

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Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/34>, abgerufen am 29.04.2024.