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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Herzen die bizarreste Mischung machte -- einen Wi¬
derwillen gegen einen Herrn, vor welchem er
zitterte.

Kein Wunder, daß er die erste Gelegenheit er¬
griff, einem so strengen Joche zu entfliehen --
aber er entlief ihm wie ein leibeigener Sclave sei¬
nem harten Herrn, der auch mitten in der Frey¬
heit das Gefühl seiner Knechtschaft herumträgt.
Eben darum, weil er dem Glauben seiner Jugend
nicht mit ruhiger Wahl entsagt, weil er nicht ge¬
wartet hatte, bis seine reife gereinigte Vernunft
sich gemächlich davon abgelös't hatte, weil er ihm
als ein Flüchtling entsprungen war, auf den die
Eigenthumsrechte seines Herrn immer noch fort¬
dauern -- so mußte er auch, nach so großen Di¬
stractionen, immer wieder zu ihm zurückkehren.
Er war mit der Kette entsprungen, und eben dar¬
um mußte er der Raub eines jeden Betrügers wer¬
den der sie entdeckte und zu gebrauchen verstand.
Daß sich ein solcher fand, wird, wenn man es noch
nicht errathen hat, der Verfolg dieser Geschichte
ausweisen.

Die Geständnisse des Sicilianers ließen in sei¬
nem Gemüth wichtigere Folgen zurück, als dieser
ganze Gegenstand werth war, und der kleine Sieg, den
seine Vernunft über diese schwache Täuschung davon
getragen, hatte die Zuversicht zu seiner Vernunft
überhaupt merklich erhöht. Die Leichtigkeit, mit
der es ihm gelungen war, diesen Betrug aufzu¬
lösen, schien ihn selbst überrascht zu haben; in die¬

sem

Herzen die bizarreſte Miſchung machte — einen Wi¬
derwillen gegen einen Herrn, vor welchem er
zitterte.

Kein Wunder, daß er die erſte Gelegenheit er¬
griff, einem ſo ſtrengen Joche zu entfliehen —
aber er entlief ihm wie ein leibeigener Sclave ſei¬
nem harten Herrn, der auch mitten in der Frey¬
heit das Gefühl ſeiner Knechtſchaft herumträgt.
Eben darum, weil er dem Glauben ſeiner Jugend
nicht mit ruhiger Wahl entſagt, weil er nicht ge¬
wartet hatte, bis ſeine reife gereinigte Vernunft
ſich gemächlich davon abgelöſ't hatte, weil er ihm
als ein Flüchtling entſprungen war, auf den die
Eigenthumsrechte ſeines Herrn immer noch fort¬
dauern — ſo mußte er auch, nach ſo großen Di¬
ſtractionen, immer wieder zu ihm zurückkehren.
Er war mit der Kette entſprungen, und eben dar¬
um mußte er der Raub eines jeden Betrügers wer¬
den der ſie entdeckte und zu gebrauchen verſtand.
Daß ſich ein ſolcher fand, wird, wenn man es noch
nicht errathen hat, der Verfolg dieſer Geſchichte
ausweiſen.

Die Geſtändniſſe des Sicilianers ließen in ſei¬
nem Gemüth wichtigere Folgen zurück, als dieſer
ganze Gegenſtand werth war, und der kleine Sieg, den
ſeine Vernunft über dieſe ſchwache Täuſchung davon
getragen, hatte die Zuverſicht zu ſeiner Vernunft
überhaupt merklich erhöht. Die Leichtigkeit, mit
der es ihm gelungen war, dieſen Betrug aufzu¬
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[94/0102] Herzen die bizarreſte Miſchung machte — einen Wi¬ derwillen gegen einen Herrn, vor welchem er zitterte. Kein Wunder, daß er die erſte Gelegenheit er¬ griff, einem ſo ſtrengen Joche zu entfliehen — aber er entlief ihm wie ein leibeigener Sclave ſei¬ nem harten Herrn, der auch mitten in der Frey¬ heit das Gefühl ſeiner Knechtſchaft herumträgt. Eben darum, weil er dem Glauben ſeiner Jugend nicht mit ruhiger Wahl entſagt, weil er nicht ge¬ wartet hatte, bis ſeine reife gereinigte Vernunft ſich gemächlich davon abgelöſ't hatte, weil er ihm als ein Flüchtling entſprungen war, auf den die Eigenthumsrechte ſeines Herrn immer noch fort¬ dauern — ſo mußte er auch, nach ſo großen Di¬ ſtractionen, immer wieder zu ihm zurückkehren. Er war mit der Kette entſprungen, und eben dar¬ um mußte er der Raub eines jeden Betrügers wer¬ den der ſie entdeckte und zu gebrauchen verſtand. Daß ſich ein ſolcher fand, wird, wenn man es noch nicht errathen hat, der Verfolg dieſer Geſchichte ausweiſen. Die Geſtändniſſe des Sicilianers ließen in ſei¬ nem Gemüth wichtigere Folgen zurück, als dieſer ganze Gegenſtand werth war, und der kleine Sieg, den ſeine Vernunft über dieſe ſchwache Täuſchung davon getragen, hatte die Zuverſicht zu ſeiner Vernunft überhaupt merklich erhöht. Die Leichtigkeit, mit der es ihm gelungen war, dieſen Betrug aufzu¬ löſen, ſchien ihn ſelbſt überraſcht zu haben; in die¬ ſem

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/102>, abgerufen am 24.11.2024.