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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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begeben, als ein glaubenreicher Schwärmer, und
er verließ es als Zweifler, und zulezt als ein ausge¬
machter Freygeist.

Unter den Zirkeln, in die man ihn zu ziehen
gewußt hatte, war eine gewisse geschlossene Gesell¬
schaft, der Bucentauro genannt, die unter
dem äußerlichen Schein einer edeln vernünftigen
Geistesfreyheit die zügelloseste Lizenz der Meynungen
wie der Sitten begünstigte. Da sie unter ihren
Mitgliedern viele Geistliche zählte, und sogar die
Namen einiger Kardinäle an ihrer Spitze trug, so
wurde der Prinz um so leichter bewogen, sich darin
einführen zu lassen. Gewisse gefährliche Wahrhei¬
ten der Vernunft, meynte er, könnten nirgends
besser aufgehoben seyn, als in den Händen solcher
Personen, die ihr Stand schon zur Mäßigung ver¬
pflichtete, und die den Vortheil hätten, auch die
Gegenparthey gehört und geprüft zu haben. Der
Prinz vergaß hier, daß Libertinage des Geists und
der Sitten bey Personen dieses Standes eben darum
weiter um sich greift, weil sie hier einen Zügel we¬
niger findet. Und dieses war der Fall bey dem Bu¬
centauro, dessen mehreste Mitglieder durch eine
verdammliche Philosophie, und durch Sitten, die
einer solchen Führerinn würdig waren, nicht ihren
Stand allein, sondern selbst die Menschheit be¬
schimpften. Die Gesellschaft hatte ihre geheimen
Grade, und ich will zur Ehre des Prinzen glau¬
ben, daß man ihn des innersten Heiligthums nie
gewürdigt habe. Jeder, der in diese Gesellschaft

ein¬

begeben, als ein glaubenreicher Schwärmer, und
er verließ es als Zweifler, und zulezt als ein ausge¬
machter Freygeiſt.

Unter den Zirkeln, in die man ihn zu ziehen
gewußt hatte, war eine gewiſſe geſchloſſene Geſell¬
ſchaft, der Bucentauro genannt, die unter
dem äußerlichen Schein einer edeln vernünftigen
Geiſtesfreyheit die zügelloſeſte Lizenz der Meynungen
wie der Sitten begünſtigte. Da ſie unter ihren
Mitgliedern viele Geiſtliche zählte, und ſogar die
Namen einiger Kardinäle an ihrer Spitze trug, ſo
wurde der Prinz um ſo leichter bewogen, ſich darin
einführen zu laſſen. Gewiſſe gefährliche Wahrhei¬
ten der Vernunft, meynte er, könnten nirgends
beſſer aufgehoben ſeyn, als in den Händen ſolcher
Perſonen, die ihr Stand ſchon zur Mäßigung ver¬
pflichtete, und die den Vortheil hätten, auch die
Gegenparthey gehört und geprüft zu haben. Der
Prinz vergaß hier, daß Libertinage des Geiſts und
der Sitten bey Perſonen dieſes Standes eben darum
weiter um ſich greift, weil ſie hier einen Zügel we¬
niger findet. Und dieſes war der Fall bey dem Bu¬
centauro, deſſen mehreſte Mitglieder durch eine
verdammliche Philoſophie, und durch Sitten, die
einer ſolchen Führerinn würdig waren, nicht ihren
Stand allein, ſondern ſelbſt die Menſchheit be¬
ſchimpften. Die Geſellſchaft hatte ihre geheimen
Grade, und ich will zur Ehre des Prinzen glau¬
ben, daß man ihn des innerſten Heiligthums nie
gewürdigt habe. Jeder, der in dieſe Geſellſchaft

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[98/0106] begeben, als ein glaubenreicher Schwärmer, und er verließ es als Zweifler, und zulezt als ein ausge¬ machter Freygeiſt. Unter den Zirkeln, in die man ihn zu ziehen gewußt hatte, war eine gewiſſe geſchloſſene Geſell¬ ſchaft, der Bucentauro genannt, die unter dem äußerlichen Schein einer edeln vernünftigen Geiſtesfreyheit die zügelloſeſte Lizenz der Meynungen wie der Sitten begünſtigte. Da ſie unter ihren Mitgliedern viele Geiſtliche zählte, und ſogar die Namen einiger Kardinäle an ihrer Spitze trug, ſo wurde der Prinz um ſo leichter bewogen, ſich darin einführen zu laſſen. Gewiſſe gefährliche Wahrhei¬ ten der Vernunft, meynte er, könnten nirgends beſſer aufgehoben ſeyn, als in den Händen ſolcher Perſonen, die ihr Stand ſchon zur Mäßigung ver¬ pflichtete, und die den Vortheil hätten, auch die Gegenparthey gehört und geprüft zu haben. Der Prinz vergaß hier, daß Libertinage des Geiſts und der Sitten bey Perſonen dieſes Standes eben darum weiter um ſich greift, weil ſie hier einen Zügel we¬ niger findet. Und dieſes war der Fall bey dem Bu¬ centauro, deſſen mehreſte Mitglieder durch eine verdammliche Philoſophie, und durch Sitten, die einer ſolchen Führerinn würdig waren, nicht ihren Stand allein, ſondern ſelbſt die Menſchheit be¬ ſchimpften. Die Geſellſchaft hatte ihre geheimen Grade, und ich will zur Ehre des Prinzen glau¬ ben, daß man ihn des innerſten Heiligthums nie gewürdigt habe. Jeder, der in dieſe Geſellſchaft ein¬

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/106>, abgerufen am 21.11.2024.