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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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gepflanzt, und hundert tausend Thoren von euch im¬
mer fester und fester darin gegründet haben? Jeder
will doch gern ganz seyn, was er ist, und unsre Exi¬
stenz ist nun einmal, glücklich scheinen.
Weil wir es nicht seyn können auf Eure Weise,
sollen wir es darum gar nicht seyn? Wenn wir die
Freude aus ihrem reinen Quell unmittelbar nicht
mehr schöpfen dürfen, sollen wir uns auch nicht
mit einem künstlichen Genuß hintergehen, nicht
von eben der Hand, die uns beraubte, eine schwa¬
che Entschädigung empfangen dürfen?"

Sonst fanden Sie diese in Ihrem Herzen.

"Wenn ich sie nun nicht mehr darin finde? --
O wie kommen wir darauf? Warum mußten Sie
diese Erinnerungen in mir aufwecken? -- Wenn
ich nun eben zu diesem Sinnentumult meine Zuflucht
nahm, um eine innere Stimme zu betäuben, die
das Unglück meines Lebens macht -- um diese
grübelnde Vernunft zur Ruhe zu bringen, die wie
eine schneidende Sichel in meinem Gehirn hin und
her fährt, und mit jeder neuen Forschung einen
neuen Zweig meiner Glückseligkeit zerschneidet?"

Mein bester Prinz! -- Er war aufgestanden,
und ging im Zimmer herum, in ungewöhnlicher
Bewegung *).

"Wenn
ent¬
*) Ich habe mir Mühe gegeben, liebster O***,
das wichtige Gespräch, das sich jezt zwischen uns

gepflanzt, und hundert tauſend Thoren von euch im¬
mer feſter und feſter darin gegründet haben? Jeder
will doch gern ganz ſeyn, was er iſt, und unſre Exi¬
ſtenz iſt nun einmal, glücklich ſcheinen.
Weil wir es nicht ſeyn können auf Eure Weiſe,
ſollen wir es darum gar nicht ſeyn? Wenn wir die
Freude aus ihrem reinen Quell unmittelbar nicht
mehr ſchöpfen dürfen, ſollen wir uns auch nicht
mit einem künſtlichen Genuß hintergehen, nicht
von eben der Hand, die uns beraubte, eine ſchwa¬
che Entſchädigung empfangen dürfen?“

Sonſt fanden Sie dieſe in Ihrem Herzen.

„Wenn ich ſie nun nicht mehr darin finde? —
O wie kommen wir darauf? Warum mußten Sie
dieſe Erinnerungen in mir aufwecken? — Wenn
ich nun eben zu dieſem Sinnentumult meine Zuflucht
nahm, um eine innere Stimme zu betäuben, die
das Unglück meines Lebens macht — um dieſe
grübelnde Vernunft zur Ruhe zu bringen, die wie
eine ſchneidende Sichel in meinem Gehirn hin und
her fährt, und mit jeder neuen Forſchung einen
neuen Zweig meiner Glückſeligkeit zerſchneidet?“

Mein beſter Prinz! — Er war aufgeſtanden,
und ging im Zimmer herum, in ungewöhnlicher
Bewegung *).

„Wenn
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*) Ich habe mir Mühe gegeben, liebſter O***,
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[126/0134] gepflanzt, und hundert tauſend Thoren von euch im¬ mer feſter und feſter darin gegründet haben? Jeder will doch gern ganz ſeyn, was er iſt, und unſre Exi¬ ſtenz iſt nun einmal, glücklich ſcheinen. Weil wir es nicht ſeyn können auf Eure Weiſe, ſollen wir es darum gar nicht ſeyn? Wenn wir die Freude aus ihrem reinen Quell unmittelbar nicht mehr ſchöpfen dürfen, ſollen wir uns auch nicht mit einem künſtlichen Genuß hintergehen, nicht von eben der Hand, die uns beraubte, eine ſchwa¬ che Entſchädigung empfangen dürfen?“ Sonſt fanden Sie dieſe in Ihrem Herzen. „Wenn ich ſie nun nicht mehr darin finde? — O wie kommen wir darauf? Warum mußten Sie dieſe Erinnerungen in mir aufwecken? — Wenn ich nun eben zu dieſem Sinnentumult meine Zuflucht nahm, um eine innere Stimme zu betäuben, die das Unglück meines Lebens macht — um dieſe grübelnde Vernunft zur Ruhe zu bringen, die wie eine ſchneidende Sichel in meinem Gehirn hin und her fährt, und mit jeder neuen Forſchung einen neuen Zweig meiner Glückſeligkeit zerſchneidet?“ Mein beſter Prinz! — Er war aufgeſtanden, und ging im Zimmer herum, in ungewöhnlicher Bewegung *). „Wenn ent¬ *) Ich habe mir Mühe gegeben, liebſter O***, das wichtige Geſpräch, das ſich jezt zwiſchen uns

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/134>, abgerufen am 24.11.2024.