Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.
"Wenn alles vor mir und hinter mir versinkt Gnädigster Herr, sonst glaubten Sie an ein "O entspann, Ihnen ganz so wie es vorfiel, getreu
zu überliefern; aber dieß war mir unmöglich, ob ich mich gleich noch an demselbigen Abend daran machte. Um meinem eigenen Gedächtniß, nachzu¬ helfen, mußte ich die hingeworfnen Ideen des Prinzen in eine gewisse Ordnung binden, die sie nicht hatten; und so entstand denn dieses Mittel¬ ding von freyem Gespräch und philosophischer Vor¬ lesung, das besser und schlechter ist als die Quelle, aus der ich es schöpfte; doch versichre ich Ihnen, daß ich dem Prinzen eher genommen, als gegeben habe, und daß nichts davon mein ist, als die An¬ ordnung -- und einige Anmerkungen, die Sie an ihrer Albernheit schon erkennen werden. Anmerk. des Baron v. F***. „Wenn alles vor mir und hinter mir verſinkt Gnädigſter Herr, ſonſt glaubten Sie an ein „O entſpann, Ihnen ganz ſo wie es vorfiel, getreu
zu überliefern; aber dieß war mir unmöglich, ob ich mich gleich noch an demſelbigen Abend daran machte. Um meinem eigenen Gedächtniß, nachzu¬ helfen, mußte ich die hingeworfnen Ideen des Prinzen in eine gewiſſe Ordnung binden, die ſie nicht hatten; und ſo entſtand denn dieſes Mittel¬ ding von freyem Geſpräch und philoſophiſcher Vor¬ leſung, das beſſer und ſchlechter iſt als die Quelle, aus der ich es ſchöpfte; doch verſichre ich Ihnen, daß ich dem Prinzen eher genommen, als gegeben habe, und daß nichts davon mein iſt, als die An¬ ordnung — und einige Anmerkungen, die Sie an ihrer Albernheit ſchon erkennen werden. Anmerk. des Baron v. F***. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0135" n="127"/> <p>„Wenn alles vor mir und hinter mir verſinkt<lb/> — die Vergangenheit im traurigen Einerley wie<lb/> ein Reich der Verſteinerung hinter mir liegt —<lb/> wenn die Zukunft mir nichts biethet — wenn ich<lb/> meines Daſeyns ganzen Kreis im ſchmalen Raume<lb/> der Gegenwart beſchloſſen ſehe — wer verargt es<lb/> mir, daß ich dieſes magre Geſchenk der Zeit, feu¬<lb/> rig und unerſättlich wie einen Freund, den ich zum<lb/> leztenmale ſehe, in meine Arme ſchließe? Wenn<lb/> ich mit dieſem flüchtigen Gute zu wuchern eile, wie<lb/> der achtzigjährige Greis mit ſeiner Tiare? — O<lb/> ich hab' ihn ſchätzen lernen den Augenblick! Der<lb/> Augenblick iſt unſre Mutter, und wie eine Mutter<lb/> laßt uns ihn lieben!“</p><lb/> <p>Gnädigſter Herr, ſonſt glaubten Sie an ein<lb/> bleibenderes Gut —</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">„O<lb/></fw> <note xml:id="note-0135" prev="#note-0134" place="foot" n="*)"> <p xml:id="p-0135" prev="#p-0134">entſpann, Ihnen ganz ſo wie es vorfiel, getreu<lb/> zu überliefern; aber dieß war mir unmöglich, ob<lb/> ich mich gleich noch an demſelbigen Abend daran<lb/> machte. Um meinem eigenen Gedächtniß, nachzu¬<lb/> helfen, mußte ich die hingeworfnen Ideen des<lb/> Prinzen in eine gewiſſe Ordnung binden, die ſie<lb/> nicht hatten; und ſo entſtand denn dieſes Mittel¬<lb/> ding von freyem Geſpräch und philoſophiſcher Vor¬<lb/> leſung, das beſſer und ſchlechter iſt als die Quelle,<lb/> aus der ich es ſchöpfte; doch verſichre ich Ihnen,<lb/> daß ich dem Prinzen eher genommen, als gegeben<lb/> habe, und daß nichts davon mein iſt, als die An¬<lb/> ordnung — und einige Anmerkungen, die Sie an<lb/> ihrer Albernheit ſchon erkennen werden.</p><lb/> <p rendition="#right">Anmerk. des Baron v. F***.</p><lb/> </note> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [127/0135]
„Wenn alles vor mir und hinter mir verſinkt
— die Vergangenheit im traurigen Einerley wie
ein Reich der Verſteinerung hinter mir liegt —
wenn die Zukunft mir nichts biethet — wenn ich
meines Daſeyns ganzen Kreis im ſchmalen Raume
der Gegenwart beſchloſſen ſehe — wer verargt es
mir, daß ich dieſes magre Geſchenk der Zeit, feu¬
rig und unerſättlich wie einen Freund, den ich zum
leztenmale ſehe, in meine Arme ſchließe? Wenn
ich mit dieſem flüchtigen Gute zu wuchern eile, wie
der achtzigjährige Greis mit ſeiner Tiare? — O
ich hab' ihn ſchätzen lernen den Augenblick! Der
Augenblick iſt unſre Mutter, und wie eine Mutter
laßt uns ihn lieben!“
Gnädigſter Herr, ſonſt glaubten Sie an ein
bleibenderes Gut —
„O
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*) entſpann, Ihnen ganz ſo wie es vorfiel, getreu
zu überliefern; aber dieß war mir unmöglich, ob
ich mich gleich noch an demſelbigen Abend daran
machte. Um meinem eigenen Gedächtniß, nachzu¬
helfen, mußte ich die hingeworfnen Ideen des
Prinzen in eine gewiſſe Ordnung binden, die ſie
nicht hatten; und ſo entſtand denn dieſes Mittel¬
ding von freyem Geſpräch und philoſophiſcher Vor¬
leſung, das beſſer und ſchlechter iſt als die Quelle,
aus der ich es ſchöpfte; doch verſichre ich Ihnen,
daß ich dem Prinzen eher genommen, als gegeben
habe, und daß nichts davon mein iſt, als die An¬
ordnung — und einige Anmerkungen, die Sie an
ihrer Albernheit ſchon erkennen werden.
Anmerk. des Baron v. F***.
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| Zitationshilfe: | Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/135>, abgerufen am 21.11.2024. |
