Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.ihre eigenen Kinder verzehren, wäre sie selbst Diese trostlose Behauptung widerlegt schon die "Und der nützliche Mann, der den Pflug zu¬ Und dieser Trieb zur ewigen Fortdauer? Kann "O in dieser Wirkung eben liegt alles. Ver¬ len d. Geisterseher. J
ihre eigenen Kinder verzehren, wäre ſie ſelbſt Dieſe troſtloſe Behauptung widerlegt ſchon die „Und der nützliche Mann, der den Pflug zu¬ Und dieſer Trieb zur ewigen Fortdauer? Kann „O in dieſer Wirkung eben liegt alles. Ver¬ len d. Geiſterſeher. J
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0137" n="129"/> ihre eigenen Kinder verzehren, <hi rendition="#g">wäre</hi> ſie ſelbſt<lb/> nur, überlebte ſie auch nur die vergangene Sekun¬<lb/> de! — Ein unermeßlicher Baum ſteht ſie da im<lb/> unermeßlichen Raume. Die Weisheit und die<lb/> Tugend ganzer Generationen rinnen wie Säfte in<lb/> ſeinen Röhren, Jahrtauſende und die Nationen,<lb/> die darin Geräuſch machten, fallen wie welke Blü¬<lb/> then, wie verdorrte Blätter von ſeinen Zweigen,<lb/> die er mit innrer und unvergänglicher Zeugungs¬<lb/> kraft aus dem Stamme treibt. Kannſt du von ihr<lb/> verlangen, was ſie ſelbſt nicht beſitzet? Du eine<lb/> Furche, die der Wind in die Meeresfläche bläßt,<lb/> deines Daſeyns Spur darin zu ſichern verlangen?“</p><lb/> <p>Dieſe troſtloſe Behauptung widerlegt ſchon die<lb/> Weltgeſchichte. Die Namen Lykurg, Sokrates,<lb/> Ariſtides haben ihre Werke überdauert.</p><lb/> <p>„Und der nützliche Mann, der den Pflug zu¬<lb/> ſammenſezte — wie hieß der? Trauen Sie einer<lb/> Belohnerinn, die nicht <hi rendition="#g">gerecht</hi> iſt? Sie leben<lb/> in der Geſchichte, wie Mumien im Balſam, um<lb/> mit ihrer Geſchichte etwas ſpäter zu vergehen.“</p><lb/> <p>Und dieſer Trieb zur ewigen Fortdauer? Kann<lb/> oder darf ihre Nothwendigkeit <hi rendition="#g">verſchwenden</hi>?<lb/> Durfte in der Kraft <hi rendition="#g">etwas</hi> ſeyn, dem nichts in<lb/> der Wirkung entſpräche?</p><lb/> <p>„O in dieſer Wirkung eben liegt alles. Ver¬<lb/> ſchwenden? Steigt nicht auch der Waſſerſtrahl in<lb/> der Caſcade mit einer Kraft in die Höhe, die ihn<lb/> durch einen unendlichen Raum ſchlendern könnte?<lb/> Aber ſchon in erſten Moment ſeines Aufſprungs zieht<lb/> die Schwerkraft an ihm, drücken tauſend Luſtſäu¬<lb/> <fw place="bottom" type="sig">d. Geiſterſeher. J<lb/></fw> <fw place="bottom" type="catch">len<lb/></fw> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [129/0137]
ihre eigenen Kinder verzehren, wäre ſie ſelbſt
nur, überlebte ſie auch nur die vergangene Sekun¬
de! — Ein unermeßlicher Baum ſteht ſie da im
unermeßlichen Raume. Die Weisheit und die
Tugend ganzer Generationen rinnen wie Säfte in
ſeinen Röhren, Jahrtauſende und die Nationen,
die darin Geräuſch machten, fallen wie welke Blü¬
then, wie verdorrte Blätter von ſeinen Zweigen,
die er mit innrer und unvergänglicher Zeugungs¬
kraft aus dem Stamme treibt. Kannſt du von ihr
verlangen, was ſie ſelbſt nicht beſitzet? Du eine
Furche, die der Wind in die Meeresfläche bläßt,
deines Daſeyns Spur darin zu ſichern verlangen?“
Dieſe troſtloſe Behauptung widerlegt ſchon die
Weltgeſchichte. Die Namen Lykurg, Sokrates,
Ariſtides haben ihre Werke überdauert.
„Und der nützliche Mann, der den Pflug zu¬
ſammenſezte — wie hieß der? Trauen Sie einer
Belohnerinn, die nicht gerecht iſt? Sie leben
in der Geſchichte, wie Mumien im Balſam, um
mit ihrer Geſchichte etwas ſpäter zu vergehen.“
Und dieſer Trieb zur ewigen Fortdauer? Kann
oder darf ihre Nothwendigkeit verſchwenden?
Durfte in der Kraft etwas ſeyn, dem nichts in
der Wirkung entſpräche?
„O in dieſer Wirkung eben liegt alles. Ver¬
ſchwenden? Steigt nicht auch der Waſſerſtrahl in
der Caſcade mit einer Kraft in die Höhe, die ihn
durch einen unendlichen Raum ſchlendern könnte?
Aber ſchon in erſten Moment ſeines Aufſprungs zieht
die Schwerkraft an ihm, drücken tauſend Luſtſäu¬
len
d. Geiſterſeher. J
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