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Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792.

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Die Einigkeit der Protestanten unter sich selbst würde doch endlich hingereicht haben, beyde streitende Partheyen in einer gleichen Schwankung zu erhalten, und dadurch den Frieden zu verlängern; aber, um die Verwirrung vollkommen zu machen, verschwand diese Eintracht bald. Die Lehre, welche Zwingli in Zürch und Kalvin in Genf verbreitet hatten, fing bald auch in Deutschland an, festen Boden zu gewinnen und die Protestanten unter sich selbst zu entzweyen, daß sie einander kaum mehr an etwas anderm als dem gemeinschaftlichen Hasse gegen das Pabstthum erkannten. Die Protestanten in diesem Zeitraume glichen denjenigen nicht mehr, welche fünfzig Jahre vorher ihr Bekenntniß zu Augsburg übergeben hatten, und die Ursache dieser Veränderung ist - in eben diesem Augsburgischen Bekenntniß zu suchen. Dieses Bekenntniß sezte dem protestantischen Glauben eine positive Grenze, ehe noch der erwachte Forschungsgeist sich diese Grenze gefallen ließ, und die Protestanten verscherzten unwissend einen Theil des Gewinns, den ihnen der Abfall von dem Pabstthum versicherte. Gleiche Beschwerden gegen die Römische Hierarchie und gegen die Mißbräuche in dieser Kirche, eine gleiche Mißbilligung der katholischen Lehrbegriffe, würden hinreichend gewesen seyn, den Vereinigungspunkt für die protestantische Kirche abzugeben; aber sie suchten diesen Vereinigungspunkt in einem neuen positiven Glaubenssystem, sezten in dieses das Unterscheidungszeichen, den Vorzug, das Wesen ihrer Kirche, und bezogen auf dieses den Vertrag, den sie mit den Katholischen schlossen. Bloß als Anhänger der Konfeßion gingen sie den Religionsfrieden ein, die Konfeßionsverwandten allein hatten Theil an der Wohlthat dieses Friedens. Wie also auch der Erfolg seyn mochte, so stand es gleich schlimm um die Konfeßionsverwandten. Dem Geist der Forschung war eine bleibende Schranke gesezt, wenn den Vorschriften der Konfession ein blinder Gehorsam geleistet wurde; der

Die Einigkeit der Protestanten unter sich selbst würde doch endlich hingereicht haben, beyde streitende Partheyen in einer gleichen Schwankung zu erhalten, und dadurch den Frieden zu verlängern; aber, um die Verwirrung vollkommen zu machen, verschwand diese Eintracht bald. Die Lehre, welche Zwingli in Zürch und Kalvin in Genf verbreitet hatten, fing bald auch in Deutschland an, festen Boden zu gewinnen und die Protestanten unter sich selbst zu entzweyen, daß sie einander kaum mehr an etwas anderm als dem gemeinschaftlichen Hasse gegen das Pabstthum erkannten. Die Protestanten in diesem Zeitraume glichen denjenigen nicht mehr, welche fünfzig Jahre vorher ihr Bekenntniß zu Augsburg übergeben hatten, und die Ursache dieser Veränderung ist – in eben diesem Augsburgischen Bekenntniß zu suchen. Dieses Bekenntniß sezte dem protestantischen Glauben eine positive Grenze, ehe noch der erwachte Forschungsgeist sich diese Grenze gefallen ließ, und die Protestanten verscherzten unwissend einen Theil des Gewinns, den ihnen der Abfall von dem Pabstthum versicherte. Gleiche Beschwerden gegen die Römische Hierarchie und gegen die Mißbräuche in dieser Kirche, eine gleiche Mißbilligung der katholischen Lehrbegriffe, würden hinreichend gewesen seyn, den Vereinigungspunkt für die protestantische Kirche abzugeben; aber sie suchten diesen Vereinigungspunkt in einem neuen positiven Glaubenssystem, sezten in dieses das Unterscheidungszeichen, den Vorzug, das Wesen ihrer Kirche, und bezogen auf dieses den Vertrag, den sie mit den Katholischen schlossen. Bloß als Anhänger der Konfeßion gingen sie den Religionsfrieden ein, die Konfeßionsverwandten allein hatten Theil an der Wohlthat dieses Friedens. Wie also auch der Erfolg seyn mochte, so stand es gleich schlimm um die Konfeßionsverwandten. Dem Geist der Forschung war eine bleibende Schranke gesezt, wenn den Vorschriften der Konfession ein blinder Gehorsam geleistet wurde; der

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[20/0028] Die Einigkeit der Protestanten unter sich selbst würde doch endlich hingereicht haben, beyde streitende Partheyen in einer gleichen Schwankung zu erhalten, und dadurch den Frieden zu verlängern; aber, um die Verwirrung vollkommen zu machen, verschwand diese Eintracht bald. Die Lehre, welche Zwingli in Zürch und Kalvin in Genf verbreitet hatten, fing bald auch in Deutschland an, festen Boden zu gewinnen und die Protestanten unter sich selbst zu entzweyen, daß sie einander kaum mehr an etwas anderm als dem gemeinschaftlichen Hasse gegen das Pabstthum erkannten. Die Protestanten in diesem Zeitraume glichen denjenigen nicht mehr, welche fünfzig Jahre vorher ihr Bekenntniß zu Augsburg übergeben hatten, und die Ursache dieser Veränderung ist – in eben diesem Augsburgischen Bekenntniß zu suchen. Dieses Bekenntniß sezte dem protestantischen Glauben eine positive Grenze, ehe noch der erwachte Forschungsgeist sich diese Grenze gefallen ließ, und die Protestanten verscherzten unwissend einen Theil des Gewinns, den ihnen der Abfall von dem Pabstthum versicherte. Gleiche Beschwerden gegen die Römische Hierarchie und gegen die Mißbräuche in dieser Kirche, eine gleiche Mißbilligung der katholischen Lehrbegriffe, würden hinreichend gewesen seyn, den Vereinigungspunkt für die protestantische Kirche abzugeben; aber sie suchten diesen Vereinigungspunkt in einem neuen positiven Glaubenssystem, sezten in dieses das Unterscheidungszeichen, den Vorzug, das Wesen ihrer Kirche, und bezogen auf dieses den Vertrag, den sie mit den Katholischen schlossen. Bloß als Anhänger der Konfeßion gingen sie den Religionsfrieden ein, die Konfeßionsverwandten allein hatten Theil an der Wohlthat dieses Friedens. Wie also auch der Erfolg seyn mochte, so stand es gleich schlimm um die Konfeßionsverwandten. Dem Geist der Forschung war eine bleibende Schranke gesezt, wenn den Vorschriften der Konfession ein blinder Gehorsam geleistet wurde; der

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_krieg_1792/28>, abgerufen am 23.04.2024.