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Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792.

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Gefahr, einen Theil ihrer Besitzungen an die Türken, den andern an die Protestanten zu verlieren, und unter einem furchtbaren Fürstenbund, den ein grosser Monarch in Europa gegen sie zusammen zog, ohne Rettung zu erliegen. In dem Innern Deutschlands geschah, was von jeher geschehen war, wenn es dem Thron an einem Kaiser, oder dem Kaiser an einem Kaisersinne fehlte. Bekränkt oder im Stich gelassen von dem Reichsoberhaupt, helfen die Stände sich selbst, und Bündnisse müssen ihnen die fehlende Autorität des Kaisers ersezen. Deutschland theilt sich in zwey Unionen, die einander gewaffnet gegenüber stehen; Rudolph, ein verachteter Gegner der einen, und ein ohnmächtiger Beschüzer der andern, steht müßig und überflüßig zwischen beyden, gleich unfähig die erste zu verstreuen, und über die andre zu herrschen. Was hätte auch das Deutsche Reich von einem Fürsten erwarten sollen, der nicht einmal vermögend war, seine eigenen Erbländer gegen einen innerlichen Feind zu behaupten? Den gänzlichen Ruin des Oesterreichischen Geschlechts aufzuhalten, tritt sein eigenes Haus gegen ihn zusammen, und eine mächtige Faktion wirft sich seinem Bruder in die Arme. Aus allen seinen Erbstaaten vertrieben, bleibt ihm nichts mehr zu verlieren, als der Kaiserthron, und der Tod reißt ihn noch eben zeitig genug weg, um ihm diese lezte Schande zu ersparen.

Deutschlands schlimmer Genius war es, der ihm gerade in dieser bedenklichen Epoche, wo nur eine geschmeidige Klugheit und ein mächtiger Arm den Frieden des Reichs retten konnte, einen Rudolph zum Kaiser gab. In einem ruhigern Zeitpunkte hätte der Deutsche Staatskörper sich selbst geholfen, und in einer mystischen Dunkelheit hätte Rudolph, wie so viele andre seines Ranges, seine Blößen versteckt. Das dringende Bedürfniß der Tugenden, die ihm fehlten, riß seine Unfähigkeit an's Licht. Deutschlands Lage foderte einen Kaiser, der durch eigne

Gefahr, einen Theil ihrer Besitzungen an die Türken, den andern an die Protestanten zu verlieren, und unter einem furchtbaren Fürstenbund, den ein grosser Monarch in Europa gegen sie zusammen zog, ohne Rettung zu erliegen. In dem Innern Deutschlands geschah, was von jeher geschehen war, wenn es dem Thron an einem Kaiser, oder dem Kaiser an einem Kaisersinne fehlte. Bekränkt oder im Stich gelassen von dem Reichsoberhaupt, helfen die Stände sich selbst, und Bündnisse müssen ihnen die fehlende Autorität des Kaisers ersezen. Deutschland theilt sich in zwey Unionen, die einander gewaffnet gegenüber stehen; Rudolph, ein verachteter Gegner der einen, und ein ohnmächtiger Beschüzer der andern, steht müßig und überflüßig zwischen beyden, gleich unfähig die erste zu verstreuen, und über die andre zu herrschen. Was hätte auch das Deutsche Reich von einem Fürsten erwarten sollen, der nicht einmal vermögend war, seine eigenen Erbländer gegen einen innerlichen Feind zu behaupten? Den gänzlichen Ruin des Oesterreichischen Geschlechts aufzuhalten, tritt sein eigenes Haus gegen ihn zusammen, und eine mächtige Faktion wirft sich seinem Bruder in die Arme. Aus allen seinen Erbstaaten vertrieben, bleibt ihm nichts mehr zu verlieren, als der Kaiserthron, und der Tod reißt ihn noch eben zeitig genug weg, um ihm diese lezte Schande zu ersparen.

Deutschlands schlimmer Genius war es, der ihm gerade in dieser bedenklichen Epoche, wo nur eine geschmeidige Klugheit und ein mächtiger Arm den Frieden des Reichs retten konnte, einen Rudolph zum Kaiser gab. In einem ruhigern Zeitpunkte hätte der Deutsche Staatskörper sich selbst geholfen, und in einer mystischen Dunkelheit hätte Rudolph, wie so viele andre seines Ranges, seine Blößen versteckt. Das dringende Bedürfniß der Tugenden, die ihm fehlten, riß seine Unfähigkeit an’s Licht. Deutschlands Lage foderte einen Kaiser, der durch eigne

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[27/0035] Gefahr, einen Theil ihrer Besitzungen an die Türken, den andern an die Protestanten zu verlieren, und unter einem furchtbaren Fürstenbund, den ein grosser Monarch in Europa gegen sie zusammen zog, ohne Rettung zu erliegen. In dem Innern Deutschlands geschah, was von jeher geschehen war, wenn es dem Thron an einem Kaiser, oder dem Kaiser an einem Kaisersinne fehlte. Bekränkt oder im Stich gelassen von dem Reichsoberhaupt, helfen die Stände sich selbst, und Bündnisse müssen ihnen die fehlende Autorität des Kaisers ersezen. Deutschland theilt sich in zwey Unionen, die einander gewaffnet gegenüber stehen; Rudolph, ein verachteter Gegner der einen, und ein ohnmächtiger Beschüzer der andern, steht müßig und überflüßig zwischen beyden, gleich unfähig die erste zu verstreuen, und über die andre zu herrschen. Was hätte auch das Deutsche Reich von einem Fürsten erwarten sollen, der nicht einmal vermögend war, seine eigenen Erbländer gegen einen innerlichen Feind zu behaupten? Den gänzlichen Ruin des Oesterreichischen Geschlechts aufzuhalten, tritt sein eigenes Haus gegen ihn zusammen, und eine mächtige Faktion wirft sich seinem Bruder in die Arme. Aus allen seinen Erbstaaten vertrieben, bleibt ihm nichts mehr zu verlieren, als der Kaiserthron, und der Tod reißt ihn noch eben zeitig genug weg, um ihm diese lezte Schande zu ersparen. Deutschlands schlimmer Genius war es, der ihm gerade in dieser bedenklichen Epoche, wo nur eine geschmeidige Klugheit und ein mächtiger Arm den Frieden des Reichs retten konnte, einen Rudolph zum Kaiser gab. In einem ruhigern Zeitpunkte hätte der Deutsche Staatskörper sich selbst geholfen, und in einer mystischen Dunkelheit hätte Rudolph, wie so viele andre seines Ranges, seine Blößen versteckt. Das dringende Bedürfniß der Tugenden, die ihm fehlten, riß seine Unfähigkeit an’s Licht. Deutschlands Lage foderte einen Kaiser, der durch eigne

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Geschichte des dreyßigjährigen Kriegs. Frankfurt u. a., 1792, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_krieg_1792/35>, abgerufen am 26.04.2024.