Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.emanzipiren will. Jst es aber eine Handlung, so kann vom Recht gar nicht die Frage seyn, sondern nur von der Schicklichkeit. Denn dieser allein ist die Willkühr unterworfen, welche alles bestimmen soll was in den reinen Gesetzen nicht bestimmt werden kann, wie das Jetzt, und das Hier, und alles bestimmen darf, was nicht die Willkühr andrer, und dadurch sie selbst vernichtet. Es ist nie Unrecht, freywillig zu sterben, aber oft unanständig, länger zu leben. Wenn das Wesen des Cynismus darin besteht, der Natur vor der Kunst, der Tugend vor der Schönheit und Wissenschaft den Vorzug zu geben; unbekümmert um den Buchstaben, auf den der Stoiker streng hält, nur auf den Geist zu sehen, allen ökonomischen Werth und politischen Glanz unbedingt zu verachten, und die Rechte der selbstständigen Willkühr tapfer zu behaupten: so dürfte der Christianismus wohl nichts anders seyn, als universeller Cynismus. Die dramatische Form kann man wählen aus Hang zur systematischen Vollständigkeit, oder um Menschen nicht blos darzustellen, sondern nachzuahmen und nachzumachen, oder aus Bequemlichkeit, oder aus Gefälligkeit für die Musik, oder auch aus reiner Freude am Sprechen, und Sprechen lassen. Es giebt verdiente Schriftsteller, die mit jugendlichem Eifer die Bildung ihres Volkes betrieben haben, emanzipiren will. Jst es aber eine Handlung, so kann vom Recht gar nicht die Frage seyn, sondern nur von der Schicklichkeit. Denn dieser allein ist die Willkuͤhr unterworfen, welche alles bestimmen soll was in den reinen Gesetzen nicht bestimmt werden kann, wie das Jetzt, und das Hier, und alles bestimmen darf, was nicht die Willkuͤhr andrer, und dadurch sie selbst vernichtet. Es ist nie Unrecht, freywillig zu sterben, aber oft unanstaͤndig, laͤnger zu leben. Wenn das Wesen des Cynismus darin besteht, der Natur vor der Kunst, der Tugend vor der Schoͤnheit und Wissenschaft den Vorzug zu geben; unbekuͤmmert um den Buchstaben, auf den der Stoiker streng haͤlt, nur auf den Geist zu sehen, allen oͤkonomischen Werth und politischen Glanz unbedingt zu verachten, und die Rechte der selbststaͤndigen Willkuͤhr tapfer zu behaupten: so duͤrfte der Christianismus wohl nichts anders seyn, als universeller Cynismus. Die dramatische Form kann man waͤhlen aus Hang zur systematischen Vollstaͤndigkeit, oder um Menschen nicht blos darzustellen, sondern nachzuahmen und nachzumachen, oder aus Bequemlichkeit, oder aus Gefaͤlligkeit fuͤr die Musik, oder auch aus reiner Freude am Sprechen, und Sprechen lassen. Es giebt verdiente Schriftsteller, die mit jugendlichem Eifer die Bildung ihres Volkes betrieben haben, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0195" n="6"/> emanzipiren will. Jst es aber eine Handlung, so kann vom Recht gar nicht die Frage seyn, sondern nur von der Schicklichkeit. Denn dieser allein ist die Willkuͤhr unterworfen, welche alles bestimmen soll was in den reinen Gesetzen nicht bestimmt werden kann, wie das Jetzt, und das Hier, und alles bestimmen darf, was nicht die Willkuͤhr andrer, und dadurch sie selbst vernichtet. Es ist nie Unrecht, freywillig zu sterben, aber oft unanstaͤndig, laͤnger zu leben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Wenn das Wesen des Cynismus darin besteht, der Natur vor der Kunst, der Tugend vor der Schoͤnheit und Wissenschaft den Vorzug zu geben; unbekuͤmmert um den Buchstaben, auf den der Stoiker streng haͤlt, nur auf den Geist zu sehen, allen oͤkonomischen Werth und politischen Glanz unbedingt zu verachten, und die Rechte der selbststaͤndigen Willkuͤhr tapfer zu behaupten: so duͤrfte der Christianismus wohl nichts anders seyn, als universeller Cynismus.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Die dramatische Form kann man waͤhlen aus Hang zur systematischen Vollstaͤndigkeit, oder um Menschen nicht blos darzustellen, sondern nachzuahmen und nachzumachen, oder aus Bequemlichkeit, oder aus Gefaͤlligkeit fuͤr die Musik, oder auch aus reiner Freude am Sprechen, und Sprechen lassen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Es giebt verdiente Schriftsteller, die mit jugendlichem Eifer die Bildung ihres Volkes betrieben haben,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0195]
emanzipiren will. Jst es aber eine Handlung, so kann vom Recht gar nicht die Frage seyn, sondern nur von der Schicklichkeit. Denn dieser allein ist die Willkuͤhr unterworfen, welche alles bestimmen soll was in den reinen Gesetzen nicht bestimmt werden kann, wie das Jetzt, und das Hier, und alles bestimmen darf, was nicht die Willkuͤhr andrer, und dadurch sie selbst vernichtet. Es ist nie Unrecht, freywillig zu sterben, aber oft unanstaͤndig, laͤnger zu leben.
Wenn das Wesen des Cynismus darin besteht, der Natur vor der Kunst, der Tugend vor der Schoͤnheit und Wissenschaft den Vorzug zu geben; unbekuͤmmert um den Buchstaben, auf den der Stoiker streng haͤlt, nur auf den Geist zu sehen, allen oͤkonomischen Werth und politischen Glanz unbedingt zu verachten, und die Rechte der selbststaͤndigen Willkuͤhr tapfer zu behaupten: so duͤrfte der Christianismus wohl nichts anders seyn, als universeller Cynismus.
Die dramatische Form kann man waͤhlen aus Hang zur systematischen Vollstaͤndigkeit, oder um Menschen nicht blos darzustellen, sondern nachzuahmen und nachzumachen, oder aus Bequemlichkeit, oder aus Gefaͤlligkeit fuͤr die Musik, oder auch aus reiner Freude am Sprechen, und Sprechen lassen.
Es giebt verdiente Schriftsteller, die mit jugendlichem Eifer die Bildung ihres Volkes betrieben haben,
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