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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Jtaliäner. Wir sind achtsamer auf den Wohlklang als ihr waret, und unser Ohr stimmt hierin mit dem Griechischen überein.

Grieche. Die zusammentreffenden Vokale müssen aber nicht gleichsam gegen einander gähnen, sondern mit Stetigkeit hinüberschmelzen und dazu gehört unsre Biegsamkeit der Stimme.

Jtaliäner. Oder unsre.

Grammatik. Aber -- ehe die Parteyen weiter fortfahren -- ist der Streit der Sprachen über den Wohlklang nicht vergeblich und nie auszugleichen? Sage mir, Poesie, du bist ja Kennerin des Schönen, giebt es dabey etwas allgemeines, und an sich gültiges, oder hängt alles von der verschiednen Organisazion, Gewöhnung und Übereinkunft ab, und gilt auch hier das Sprichwort: jedem ist seine Königin schön?

Engländer. Oder jedem Narren gefällt seine Kappe.

Jtaliäner. Du siehst ja, Grammatik, daß sich alle Nazionen Europa's vereinigen, unsre Sprache wohlklingend zu finden.

Franzose. Für den Gesang.

Jtaliäner. Was sich gut singt, spricht sich auch gut.

Poesie. Hierin hast du nicht Unrecht, Jtaliäner. Aber dein selbstgefälliges Berufen auf jene Anerkennung war wenigstens sehr voreilig. Was ist das heutige Europa gegen den Umfang des Menschengeschlechtes in den verschiedensten Himmelsstrichen und Zeitaltern? Europäischer Geschmack ist nur ein erweiterter

Jtaliaͤner. Wir sind achtsamer auf den Wohlklang als ihr waret, und unser Ohr stimmt hierin mit dem Griechischen uͤberein.

Grieche. Die zusammentreffenden Vokale muͤssen aber nicht gleichsam gegen einander gaͤhnen, sondern mit Stetigkeit hinuͤberschmelzen und dazu gehoͤrt unsre Biegsamkeit der Stimme.

Jtaliaͤner. Oder unsre.

Grammatik. Aber — ehe die Parteyen weiter fortfahren — ist der Streit der Sprachen uͤber den Wohlklang nicht vergeblich und nie auszugleichen? Sage mir, Poesie, du bist ja Kennerin des Schoͤnen, giebt es dabey etwas allgemeines, und an sich guͤltiges, oder haͤngt alles von der verschiednen Organisazion, Gewoͤhnung und Übereinkunft ab, und gilt auch hier das Sprichwort: jedem ist seine Koͤnigin schoͤn?

Englaͤnder. Oder jedem Narren gefaͤllt seine Kappe.

Jtaliaͤner. Du siehst ja, Grammatik, daß sich alle Nazionen Europa's vereinigen, unsre Sprache wohlklingend zu finden.

Franzose. Fuͤr den Gesang.

Jtaliaͤner. Was sich gut singt, spricht sich auch gut.

Poesie. Hierin hast du nicht Unrecht, Jtaliaͤner. Aber dein selbstgefaͤlliges Berufen auf jene Anerkennung war wenigstens sehr voreilig. Was ist das heutige Europa gegen den Umfang des Menschengeschlechtes in den verschiedensten Himmelsstrichen und Zeitaltern? Europaͤischer Geschmack ist nur ein erweiterter

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[17/0028] Jtaliaͤner. Wir sind achtsamer auf den Wohlklang als ihr waret, und unser Ohr stimmt hierin mit dem Griechischen uͤberein. Grieche. Die zusammentreffenden Vokale muͤssen aber nicht gleichsam gegen einander gaͤhnen, sondern mit Stetigkeit hinuͤberschmelzen und dazu gehoͤrt unsre Biegsamkeit der Stimme. Jtaliaͤner. Oder unsre. Grammatik. Aber — ehe die Parteyen weiter fortfahren — ist der Streit der Sprachen uͤber den Wohlklang nicht vergeblich und nie auszugleichen? Sage mir, Poesie, du bist ja Kennerin des Schoͤnen, giebt es dabey etwas allgemeines, und an sich guͤltiges, oder haͤngt alles von der verschiednen Organisazion, Gewoͤhnung und Übereinkunft ab, und gilt auch hier das Sprichwort: jedem ist seine Koͤnigin schoͤn? Englaͤnder. Oder jedem Narren gefaͤllt seine Kappe. Jtaliaͤner. Du siehst ja, Grammatik, daß sich alle Nazionen Europa's vereinigen, unsre Sprache wohlklingend zu finden. Franzose. Fuͤr den Gesang. Jtaliaͤner. Was sich gut singt, spricht sich auch gut. Poesie. Hierin hast du nicht Unrecht, Jtaliaͤner. Aber dein selbstgefaͤlliges Berufen auf jene Anerkennung war wenigstens sehr voreilig. Was ist das heutige Europa gegen den Umfang des Menschengeschlechtes in den verschiedensten Himmelsstrichen und Zeitaltern? Europaͤischer Geschmack ist nur ein erweiterter

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/28>, abgerufen am 30.04.2024.