Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.sehr leidlich. Erst wenn Fremde dieselben Laute mit Anstrengung herauszwingen, wird ihr Ohr beleidigt. Auf der andern Seite kann den Organen bey einer solchen Gewöhnung das leichteste schwer fallen: sie werden durch harte Arbeit zu den sanfteren Biegungen ungeschickt; die Faust des Tagelöhners kann nicht auf Harmonikaglocken hingleiten. Doch das angegebne Gesetz betrift mehr die Vermeidung des Mißfälligen als die Hervorbringung dessen, was ich in den Sprachen liebe und hervorhebe. Das Wohlklingende muß wie alles Schöne einen Gehalt haben, und diesen bekommt es nur durch einen mannichfaltigen, tönenden und ausdrucksvollen Gebrauch der Stimme. Der Sitz der Stimme ist, wo nach Homer die Seele wohnt, in der Brust. Was nicht aus ihr hervorgeht, ist nicht Stimme; die Verrichtungen der Zunge, des Gaumens, der Lippen und Zähne beym Sprechen werden erst durch ihre Begleitung recht hörbar, da sie sonst ein unvernehmliches Geräusch seyn würden. Die Alten haben daher die Selbstlaute die Stimmigen, (phoneenta) wenn es solch ein Wort gäbe, oder schlechthin die Stimmen (voces)genannt. Deutscher. Jenes hat man ehedem durch "die Stimmer" zu verdeutschen gesucht. Poesie. Die Mitlauter hingegen hießen den Griechen die Stimmlosen (aphona). Wenn nun in einer Sprache die stimmlosen Buchstaben herrschen, und von den Stimmen höchstens nothdürftig begleitet werden, so entsteht nicht nur jenes, daß das Ohr die gehäuften sehr leidlich. Erst wenn Fremde dieselben Laute mit Anstrengung herauszwingen, wird ihr Ohr beleidigt. Auf der andern Seite kann den Organen bey einer solchen Gewoͤhnung das leichteste schwer fallen: sie werden durch harte Arbeit zu den sanfteren Biegungen ungeschickt; die Faust des Tageloͤhners kann nicht auf Harmonikaglocken hingleiten. Doch das angegebne Gesetz betrift mehr die Vermeidung des Mißfaͤlligen als die Hervorbringung dessen, was ich in den Sprachen liebe und hervorhebe. Das Wohlklingende muß wie alles Schoͤne einen Gehalt haben, und diesen bekommt es nur durch einen mannichfaltigen, toͤnenden und ausdrucksvollen Gebrauch der Stimme. Der Sitz der Stimme ist, wo nach Homer die Seele wohnt, in der Brust. Was nicht aus ihr hervorgeht, ist nicht Stimme; die Verrichtungen der Zunge, des Gaumens, der Lippen und Zaͤhne beym Sprechen werden erst durch ihre Begleitung recht hoͤrbar, da sie sonst ein unvernehmliches Geraͤusch seyn wuͤrden. Die Alten haben daher die Selbstlaute die Stimmigen, (φωνηεντα) wenn es solch ein Wort gaͤbe, oder schlechthin die Stimmen (voces)genannt. Deutscher. Jenes hat man ehedem durch „die Stimmer“ zu verdeutschen gesucht. Poesie. Die Mitlauter hingegen hießen den Griechen die Stimmlosen (αφωνα). Wenn nun in einer Sprache die stimmlosen Buchstaben herrschen, und von den Stimmen hoͤchstens nothduͤrftig begleitet werden, so entsteht nicht nur jenes, daß das Ohr die gehaͤuften <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0030" n="19"/> sehr leidlich. Erst wenn Fremde dieselben Laute mit Anstrengung herauszwingen, wird ihr Ohr beleidigt. Auf der andern Seite kann den Organen bey einer solchen Gewoͤhnung das leichteste schwer fallen: sie werden durch harte Arbeit zu den sanfteren Biegungen ungeschickt; die Faust des Tageloͤhners kann nicht auf Harmonikaglocken hingleiten. Doch das angegebne Gesetz betrift mehr die Vermeidung des Mißfaͤlligen als die Hervorbringung dessen, was ich in den Sprachen liebe und hervorhebe. Das Wohlklingende muß wie alles Schoͤne einen Gehalt haben, und diesen bekommt es nur durch einen mannichfaltigen, toͤnenden und ausdrucksvollen Gebrauch der Stimme. Der Sitz der Stimme ist, wo nach Homer die Seele wohnt, in der Brust. Was nicht aus ihr hervorgeht, ist nicht Stimme; die Verrichtungen der Zunge, des Gaumens, der Lippen und Zaͤhne beym Sprechen werden erst durch ihre Begleitung recht hoͤrbar, da sie sonst ein unvernehmliches Geraͤusch seyn wuͤrden. Die Alten haben daher die Selbstlaute die Stimmigen, (<foreign xml:lang="el">φωνηεντα</foreign>) wenn es solch ein Wort gaͤbe, oder schlechthin die Stimmen (<foreign xml:lang="it">voces</foreign>)genannt.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. Jenes hat man ehedem durch „die Stimmer“ zu verdeutschen gesucht.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Poesie</hi>. Die Mitlauter hingegen hießen den Griechen die Stimmlosen (<foreign xml:lang="el">αφωνα</foreign>). Wenn nun in einer Sprache die stimmlosen Buchstaben herrschen, und von den Stimmen hoͤchstens nothduͤrftig begleitet werden, so entsteht nicht nur jenes, daß das Ohr die gehaͤuften<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [19/0030]
sehr leidlich. Erst wenn Fremde dieselben Laute mit Anstrengung herauszwingen, wird ihr Ohr beleidigt. Auf der andern Seite kann den Organen bey einer solchen Gewoͤhnung das leichteste schwer fallen: sie werden durch harte Arbeit zu den sanfteren Biegungen ungeschickt; die Faust des Tageloͤhners kann nicht auf Harmonikaglocken hingleiten. Doch das angegebne Gesetz betrift mehr die Vermeidung des Mißfaͤlligen als die Hervorbringung dessen, was ich in den Sprachen liebe und hervorhebe. Das Wohlklingende muß wie alles Schoͤne einen Gehalt haben, und diesen bekommt es nur durch einen mannichfaltigen, toͤnenden und ausdrucksvollen Gebrauch der Stimme. Der Sitz der Stimme ist, wo nach Homer die Seele wohnt, in der Brust. Was nicht aus ihr hervorgeht, ist nicht Stimme; die Verrichtungen der Zunge, des Gaumens, der Lippen und Zaͤhne beym Sprechen werden erst durch ihre Begleitung recht hoͤrbar, da sie sonst ein unvernehmliches Geraͤusch seyn wuͤrden. Die Alten haben daher die Selbstlaute die Stimmigen, (φωνηεντα) wenn es solch ein Wort gaͤbe, oder schlechthin die Stimmen (voces)genannt.
Deutscher. Jenes hat man ehedem durch „die Stimmer“ zu verdeutschen gesucht.
Poesie. Die Mitlauter hingegen hießen den Griechen die Stimmlosen (αφωνα). Wenn nun in einer Sprache die stimmlosen Buchstaben herrschen, und von den Stimmen hoͤchstens nothduͤrftig begleitet werden, so entsteht nicht nur jenes, daß das Ohr die gehaͤuften
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