Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Deutscher. Gleichwohl scheint ihr selbst das Fehlerhafte gefühlt zu haben. "Jhr Griechen gingt in der Verwerfung der Worte nicht so weit als die Römer, und Homer war unter euren Dichtern der enthaltsamste." Grieche. Das brachte die Einfalt seines Zeitalters und der Geist der Gattung mit sich. Auf diese Art würfest du aber der Sprache vor, was die Dichter versehen hätten. Eine Freyheit ist ja niemals ein Übel. Man kann sich ihrer bedienen, oder auch nicht. Deutscher."Eure verworfne Wortfolge war eine Sache der Noth. Sie ist vermuthlich bloß daher entstanden, daß ihr aus lauter Längen oder Kürzen bestehende Wörter habt, daß also die natürliche Ordnung zu viel lange oder kurze Sylben zusammenbrachte, die des Sylbenmaßes und in Prosa des Numerus wegen getrennt werden mußten." Grieche. Du siehst das als einen Nothbehelf an, was die durchgängige Unabhängigkeit unsrer Poesie vom Bedürfnisse auf das schönste beurkundet. Du kennst doch die orientalische Weise, mit Blumen Briefe zu schreiben? Nimm nun an, die Bedeutung jeder Blume sey bestimmt, und ihre Verhältnisse zu einander ebenfalls; möchtest du dann den Kranz daraus lieber so geflochten sehen, daß die gleichartigen Blumen beysammen blieben, oder daß sie sich mannichfaltig durchschlängen? Unsre Strophen, unsre Distichen sind solche Kränze; eben durch die Stellung werden sie zu Ganzen, wo nichts herausgerissen werden kann, ohne sie zu zerstören. Das Bild, der Gedanke wirkt nun als eine untheilbare, innig vereinigte Masse. Deutscher. Gleichwohl scheint ihr selbst das Fehlerhafte gefuͤhlt zu haben. „Jhr Griechen gingt in der Verwerfung der Worte nicht so weit als die Roͤmer, und Homer war unter euren Dichtern der enthaltsamste.“ Grieche. Das brachte die Einfalt seines Zeitalters und der Geist der Gattung mit sich. Auf diese Art wuͤrfest du aber der Sprache vor, was die Dichter versehen haͤtten. Eine Freyheit ist ja niemals ein Übel. Man kann sich ihrer bedienen, oder auch nicht. Deutscher.„Eure verworfne Wortfolge war eine Sache der Noth. Sie ist vermuthlich bloß daher entstanden, daß ihr aus lauter Laͤngen oder Kuͤrzen bestehende Woͤrter habt, daß also die natuͤrliche Ordnung zu viel lange oder kurze Sylben zusammenbrachte, die des Sylbenmaßes und in Prosa des Numerus wegen getrennt werden mußten.“ Grieche. Du siehst das als einen Nothbehelf an, was die durchgaͤngige Unabhaͤngigkeit unsrer Poesie vom Beduͤrfnisse auf das schoͤnste beurkundet. Du kennst doch die orientalische Weise, mit Blumen Briefe zu schreiben? Nimm nun an, die Bedeutung jeder Blume sey bestimmt, und ihre Verhaͤltnisse zu einander ebenfalls; moͤchtest du dann den Kranz daraus lieber so geflochten sehen, daß die gleichartigen Blumen beysammen blieben, oder daß sie sich mannichfaltig durchschlaͤngen? Unsre Strophen, unsre Distichen sind solche Kraͤnze; eben durch die Stellung werden sie zu Ganzen, wo nichts herausgerissen werden kann, ohne sie zu zerstoͤren. Das Bild, der Gedanke wirkt nun als eine untheilbare, innig vereinigte Masse. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0073" n="62"/> <p><hi rendition="#g">Deutscher.</hi> Gleichwohl scheint ihr selbst das Fehlerhafte gefuͤhlt zu haben. „Jhr Griechen gingt in der Verwerfung der Worte nicht so weit als die Roͤmer, und Homer war unter euren Dichtern der enthaltsamste.“</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche.</hi> Das brachte die Einfalt seines Zeitalters und der Geist der Gattung mit sich. Auf diese Art wuͤrfest du aber der Sprache vor, was die Dichter versehen haͤtten. Eine Freyheit ist ja niemals ein Übel. Man kann sich ihrer bedienen, oder auch nicht.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher.</hi>„Eure verworfne Wortfolge war eine Sache der Noth. Sie ist vermuthlich bloß daher entstanden, daß ihr aus lauter Laͤngen oder Kuͤrzen bestehende Woͤrter habt, daß also die natuͤrliche Ordnung zu viel lange oder kurze Sylben zusammenbrachte, die des Sylbenmaßes und in Prosa des Numerus wegen getrennt werden mußten.“</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche.</hi> Du siehst das als einen Nothbehelf an, was die durchgaͤngige Unabhaͤngigkeit unsrer Poesie vom Beduͤrfnisse auf das schoͤnste beurkundet. Du kennst doch die orientalische Weise, mit Blumen Briefe zu schreiben? Nimm nun an, die Bedeutung jeder Blume sey bestimmt, und ihre Verhaͤltnisse zu einander ebenfalls; moͤchtest du dann den Kranz daraus lieber so geflochten sehen, daß die gleichartigen Blumen beysammen blieben, oder daß sie sich mannichfaltig durchschlaͤngen? Unsre Strophen, unsre Distichen sind solche Kraͤnze; eben durch die Stellung werden sie zu Ganzen, wo nichts herausgerissen werden kann, ohne sie zu zerstoͤren. Das Bild, der Gedanke wirkt nun als eine untheilbare, innig vereinigte Masse.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0073]
Deutscher. Gleichwohl scheint ihr selbst das Fehlerhafte gefuͤhlt zu haben. „Jhr Griechen gingt in der Verwerfung der Worte nicht so weit als die Roͤmer, und Homer war unter euren Dichtern der enthaltsamste.“
Grieche. Das brachte die Einfalt seines Zeitalters und der Geist der Gattung mit sich. Auf diese Art wuͤrfest du aber der Sprache vor, was die Dichter versehen haͤtten. Eine Freyheit ist ja niemals ein Übel. Man kann sich ihrer bedienen, oder auch nicht.
Deutscher.„Eure verworfne Wortfolge war eine Sache der Noth. Sie ist vermuthlich bloß daher entstanden, daß ihr aus lauter Laͤngen oder Kuͤrzen bestehende Woͤrter habt, daß also die natuͤrliche Ordnung zu viel lange oder kurze Sylben zusammenbrachte, die des Sylbenmaßes und in Prosa des Numerus wegen getrennt werden mußten.“
Grieche. Du siehst das als einen Nothbehelf an, was die durchgaͤngige Unabhaͤngigkeit unsrer Poesie vom Beduͤrfnisse auf das schoͤnste beurkundet. Du kennst doch die orientalische Weise, mit Blumen Briefe zu schreiben? Nimm nun an, die Bedeutung jeder Blume sey bestimmt, und ihre Verhaͤltnisse zu einander ebenfalls; moͤchtest du dann den Kranz daraus lieber so geflochten sehen, daß die gleichartigen Blumen beysammen blieben, oder daß sie sich mannichfaltig durchschlaͤngen? Unsre Strophen, unsre Distichen sind solche Kraͤnze; eben durch die Stellung werden sie zu Ganzen, wo nichts herausgerissen werden kann, ohne sie zu zerstoͤren. Das Bild, der Gedanke wirkt nun als eine untheilbare, innig vereinigte Masse.
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